Die Zahl der Fälle von Kindern mit schwerer Lebensvergiftung in Saint-Quentin nordöstlich von Paris hat sich zuletzt mit jedem Tag erhöht. 17 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen eineinhalb und 13 Jahren sind einer vorläufigen Bilanz vom Sonntag zufolge von schweren Durchfallerkrankungen betroffen und mussten zumindest zeitweise im Krankenhaus behandelt werden.

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Vier von ihnen konnten inzwischen wieder nach Hause zurückkehren. Ein weiteres Mädchen, die elfjährige Élise, starb in der vergangenen Woche infolge eines akuten Nierenversagens. Der tragische Fall entsetzt viele in Frankreich, wo eine Spendensammlung für die Hinterbliebenen organisiert wurde. Ein Foto im Internet zeigt das Mädchen strahlend lächelnd in einem Turnkostüm und mit einer Medaille um den Hals.

Metzgereien und Fleischtheken wegen Verunreinigungen geschlossen

Nachdem eine Vergiftung durch Leitungswasser ausgeschlossen werden konnte, gilt bakteriell verunreinigtes Fleisch als die wahrscheinlichste Ursache für die Lebensmittelvergiftungen, von denen nach bisherigen Erkenntnissen nur Minderjährige betroffen sind. Vorsorglich wurden vier Metzgereien sowie die Fleisch- und Wurstwarenabteilungen von mehreren Supermärkten der Kleinstadt geschlossen und vor Ort jeweils Proben entnommen.

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Deren Ergebnisse sollen im Laufe der Woche bekannt werden. Zumindest ist inzwischen klar, dass die Vergiftung der Kinder jeweils durch das Bakterium Escherichia coli hervorgerufen wurde. Es handle sich also weder um eine Epidemie noch um einen Virus, sagte der französische Gesundheitsminister Yannick Neuder bei einem Besuch vor Ort.

Mehr als 30 Ermittler der örtlichen Gesundheitsbehörden würden eingesetzt, um allen Spuren nachzugehen und möglichst rasch Aufschluss über den Ursprung des Problems zu erhalten, versprach Neuder. Er habe sich auch mit der Familie der verstorbenen Élise unterhalten. „Wir schulden ihr die vollständige Wahrheit, damit so etwas nie wieder passiert.“

Kinder müssen für Nierenversagen behandelt werden

Sechs der betroffenen Kinder brauchen aufgrund von Nierenversagen eine Dialyse in den Krankenhäusern von Amiens, Lille und Reims. Alle Erkrankten entwickelten das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), das in der Regel bei Kindern infolge einer Infektion des Darms auftritt und zur Bildung von Blutgerinnseln führt. Diese blockieren vor allem Gehirn, Herz und Nieren. Es handelt sich um ein selten auftretendes Problem: Jährlich gibt es in Frankreich nur 100 bis 165 Erkrankungen von Kindern mit dem HUS-Syndrom.

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Die Betroffenen kennen einander nicht, besuchten nicht etwa dieselbe Schulkantine oder dasselbe Restaurant. Allerdings wohnen alle in Saint-Quentin oder der Umgebung. Die Bürgermeisterin der 53.000 Einwohner zählenden Stadt, Frédérique Macarez, rief alle Eltern dazu auf, „extrem wachsam“ zu sein, falls ihr Kind Symptome wie schweren Durchfall entwickele, Fleisch gut durchzukochen und saubere Küchenutensilien zu verwenden.

Produktrückrufe hinsichtlich sämtlicher zwischen dem 1. und dem 20. Juni gekauften Fleisch- und Wurstwaren in Saint-Quentin und Umfeld wurden veröffentlicht, um weiteren Vergiftungen vorzubeugen. Die Stadt hat eine Krisen-Hotline eingerichtet. In Frankreich hat der Fall bislang keine allgemeinere Debatte um Lebensmittelskandale entfacht; noch warten alle auf genauere Erkenntnisse über die Ursachen.

Ermittlungen gegen Nestlé nach Todesfällen bei Kindern

In den vergangenen Jahren kam es allerdings immer wieder zu schwerwiegenden Vorfällen im Zusammenhang mit verunreinigten Lebensmitteln. 2022 wurden rund 50 Erkrankungen und sogar zwei Todesfälle von Kindern aufgrund von E.-coli-Bakterien in Zusammengang mit Biotoni-Tiefkühlpizzen gebracht. Seit 2024 laufen Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und Täuschung gegen den verantwortlichen Mutterkonzern Nestlé Frankreich.

2017 musste der Hersteller Lactalis zwölf Millionen Packungen Babymilch zurückziehen, nachdem rund 40 kleine Kinder erkrankt und Salmonellen in einem Werk entdeckt worden waren. Auch hier gab es eine Anzeige wegen schwerer Täuschung und fahrlässiger Körperverletzung.

Für Aufsehen sorgte im Jahr 2013 ein europaweiter Skandal um als Rind deklariertes Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagnen. Betroffen waren rund 4,5 Millionen Fertiggerichte. In Frankreich war vor allem der Hersteller Spanghero involviert, dessen früherer Geschäftsführer Jacques Poujol sich 2019 in einem Prozess verantworten musste und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Der Fall deckte damals ein intransparentes Vorgehen beim Fleischhandel innerhalb der Europäischen Union auf.