Eigentlich wollten sich die EU-Außenminister am Montag bei ihrem Treffen in Brüssel auf Israels Vorgehen im Gazastreifen fokussieren. Verstößt die Regierung unter Benjamin Netanjahu gegen Menschenrechtsverpflichtungen? Die Antwort des Europäischen Auswärtigen Diensts fiel ungewöhnlich deutlich aus. So kam der Bericht unter Federführung der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zu dem Schluss, dass es „Hinweise“ darauf gebe, dass Israel seine humanitären Verpflichtungen bricht.
Trotzdem trat die Debatte der Chefdiplomaten um mögliche Konsequenzen der Analyse in den Hintergrund, nachdem am Wochenende die USA Atomanlagen im Iran bombardiert hatten – ohne die Europäer vorab zu informieren. Nicht nur daran ließ sich ablesen, wie begrenzt der Einfluss der EU im Nahen und Mittleren Osten dieser Tage ist.
Das Außenminister-Treffen bildete den Auftakt in „eine entscheidende Woche für die Sicherheit in Europa und in der Welt“, wie es Bundesaußenminister Johann Wadephul mit Blick auf den Nato-Gipfel am Mittwoch und den EU-Gipfel am Donnerstag bezeichnete. Inwieweit aber wird die Stimme der Europäer gehört? Brüssel agierte einst als zentraler Akteur und Vermittler in den zeitweise erfolgreichen Atomverhandlungen mit dem Iran. Mittlerweile aber findet die Gemeinschaft offenbar kaum noch Wege, wie sie – über Appelle zur Deeskalation in der Region hinaus – zu einer Rückkehr der Diplomatie beitragen kann.
Wadephul sagte am Rande des Außenminister-Treffens, man sei von den Amerikanern „aufgefordert worden, im Gespräch zu bleiben“. Das Regime in Teheran habe jedoch erklärt, es wolle „nur mit Europa verhandeln“ – was wiederum einige in der EU ablehnen, wohl auch in dem Wissen, dass greifbare Ergebnisse ohne Washington kaum zu erwarten sind. „Der Iran ist gefordert, auch bereit zu sein zu direkten Gesprächen mit den Vereinigten Staaten“, verlangte Wadephul.
Derweil offenbarten sich in der Diskussion um Israels Vorgehen in Gaza die alten Trennlinien innerhalb der Runde der 27 Mitgliedstaaten, die beim Thema Nahost-Konflikt tief gespalten sind. Nachdem die EU-Kommission in ihrem Prüfbericht „willkürliche Angriffe“ durch „schwere Waffen, einschließlich Bombardements aus der Luft auf Orte, wo Zivilisten Schutz suchen“, kritisierte, blieb die Frage offen, welche Konsequenzen die Analyse nun hat. Die Reaktionen auf das Urteil, dass Israel gegen seine Menschenrechtsverpflichtungen gemäß Artikel zwei des Vertrags verstoße, fielen äußerst unterschiedlich aus. Während Spaniens Außenminister José Manuel Albares die sofortige Aussetzung des Abkommens forderte, distanzierte sich die deutsche Bundesregierung von der Idee von Maßnahmen gegenüber Jerusalem. „Wir brauchen gute Beziehungen zu Israel“, sagte Wadephul. Es sei „der demokratische Rechtsstaat im Nahen Osten“ und das Abkommen sollte „in keiner Weise in Zweifel“ gezogen werden. Unabhängig davon aber müsse die humanitäre Situation im Gazastreifen adressiert werden.
Im Jahr 2000 schrieben die beiden Seiten die Grundlagen der Beziehungen in der Vereinbarung fest, um die enge politische und wirtschaftliche Partnerschaft zu besiegeln. Die Niederländer, traditionell enge Verbündete Israels, hatten die Überprüfung angestoßen, 16 weitere Mitgliedstaaten unterstützten den Vorstoß mit dem Ziel, „eine politische Botschaft an Jerusalem auszusenden“, wie es hieß. Beim EU-Gipfel am Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs dennoch über den Bericht beraten. Zahlreiche EU-Vertreter hoffen, dass das reichen wird, um Druck auf Israel auszuüben, damit dessen Regierung wieder so schnell wie möglich Hilfsgütertransporte in den Gazastreifen zulässt. Die israelische Regierung hatte die Überprüfung als „empörend und unanständig“ bezeichnet.