Einer arbeitet am Friedhof, einer geht den ganzen Tag klettern, ein dritter lebt mit der Familie in einem Haus und spielt mit seinen Kindern. Was sie gemeinsam haben: Alle sind mit Kryptowährung reich geworden. Anders als die Kryptoguys online haben sie aber fast so weitergelebt wie davor. Diese Menschen hat der Juan S. Guse für sein Buch „Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ gesucht und gefunden.

Von Diana Köhler

Malte, Basti und Arne sind keine besonders krasse Typen, die an der Wallstreet arbeiten und mit Aktenkoffern von Termin zu Termin laufen. Nein, sie hatten einfach nur zur richtigen Zeit ein bisschen Geld auf der Seite und sich in das Kryptozeug eingelesen. Solche Leute zu finden war gar nicht so einfach.

„Aber jedes Mal, wenn es hieß, ich sei in eine Villa eingeladen, wollte ich da nicht hin und stattdessen lieber weiter nach Sleepern suchen, die ja auch viel schwieriger zu finden sind, also die sich nach ihrem Klassensprung keinen Brabus gekauft haben und keinen Bruch mit ihrem Habitus suchen, sondern eher ein Weiter-so, nur halt ohne Angst vor Altersarmut.“

Tausendmal so viel Geld wie jetzt

S. Fischer Verlag

„Tausendmal so viel Geld wie jetzt“ von Juan S. Guse ist im S. Fischer Verlag erschienen.

Im Buch stellt Juan S. Guse die falsche Punk-Attitüde der Krypto-Szene in Frage, gleichzeitig aber schafft er es, Verständnis für die Motivation so mancher Krypro-Guys zu wecken: Die Frustration mit dem Status-Quo, dem Zustand der Welt des ungleichen Wohlstands.

„Ein wiederkehrendes Narrativ: Der Finanzkapitalismus und die politischen Systeme drum herum sind im Arsch. Sie brauchen Heilung. So ein Reden kann man schon mal leicht verwechseln mit ‚pUnK‘, mit Gegenkultur, mit Kaputtmachen von dem, was einen Kaputtmacht, mit Power to the kleinen Mann.“

Krypto ist Heilsversprechen, Ausstieg aus dem Daily-Lohnarbeits-Grind, für ganz wenige. Die Krypto-Guys würden sagen: Für die, die sich am besten auskennen, die nicht gezögert haben, nicht mitgeschwommen sind, mit dem Strom. Klar wird aber, es sind vor allem die, die verdammt viel Glück hatten. Und irgendwie bekommt man beim Lesen selbst plötzlich Bock zu investieren. Ja genau, auch für mich kann das funktionieren! Man lässt sich reinziehen in diesen Wahnsinn. In dieses Versprechen, dass alles möglich ist. Wie geil wäre es, einfach nur mehr Hobbys nachzugehen, arbeiten auf was man Bock hat, auch wenn’s nicht viel Geld bringt, die ganzen Passion-Projects verfolgen. Urlaub machen. Nice Wohnung. Ein sozialistischer Traum. Und Krypto ist die Antwort des Kapitalismus darauf. Auch der Autor Juan S. Guse ist angefixt von der Idee:

„Aber da draußen ist immer die Wirklichkeit, und man handelt nie außerhalb von ihr, kann kein Leben führen, nicht arbeiten, nicht konsumieren, nicht schreiben ‚like nobody is watching‘ da sind immer die Stadtwerke, die eigenen Eltern und die der anderen, die Stromleitungen in den Wänden, die Gelegenheiten und Rechnungen, die Anreize und Ängste. Und da draußen bellt immer ein Hund.“

Aber die ganze Krypto-Community erscheint auch wie eine Sekte, eine Glücksspielsekte. Kommuniziert wird nur mit Insidersprache, gegenseitig hyped man sich auf, für Zweifel ist wenig Platz. Die Männer, die Guse trifft, kommen nie ganz los von der Kryptowelt, sie brauchen immer ihren nächsten Investitions-Kick. Sind sie glücklich? Das wird nicht ganz klar.

Wie viel Fantastik steckt in Guses Geschichte? Manche Szenen sind so absurd, dass man wirklich ein bisschen ungläubig zurückbleibt. Zum Beispiel als Juan mit einem Kryptomillionär irgendwo im Wald klettern geht und sich zufällig ein dramatischer Autounfall in der Nähe ereignet. Von dem bekommt er aber nichts mit, sondern trifft nur verwirrte oder weinende Männer im Wald. (Vielleicht ist das auch ein bisschen eine Allegorie auf das ganze Krypto-Geschäft? Vielleicht stehen die verwirrten, weinenden Männer für die Verlierer, die, die viel Geld im Krypto-Boom verloren haben? Aber vielleicht geht das jetzt auch zu weit. Naja.)

Juan S. Guse

Hans-Peter Wiechers

Juan S. Guse

Oder eine andere Situation, in der Guse auf einer riesigen Krypto-Messe ist, aus Versehen sein Fenster im Hotelzimmer offenlässt und plötzlich ein Schwarm grüner Papageien im Zimmer auftaucht:

„Ich versteckt mich unter der Bettdecke in der Hoffnung sie würden verschwinden, aber es wurden nur mehr, also sprang ich irgendwann auf und brüllte sie an, um sie zu verscheuchen, doch statt nach draußen zu flüchten, flogen sie ins Zimmer hinein, wo sie panisch um meinen Unterhosenkörper flatterten.“

Aber das ist der Stil von Juan S. Guse: Eine soziologisch-ethnografische Herangehensweise, immer am Absurden vorbeischrammend, mit der Sprache derer, die viel im Internet abhängen. Internet-Slang but make it literature, sozusagen. Als studierter Soziologe versorgt Guse die Lesenden dann auch immer wieder mit Schmankerln wie diesen:

„Ihren Klassensprung leugnen sie dabei nicht, wohl aber beharren sie auf einer habituellen Erdung, die aus ihrem vorherigen Dasein entspringe. I’m still, I’m still Jenny from the block“

Ist das Buch eine Reportage? Ein langer Essay? Ein Roman? So sicher kann man da nicht sein. Ist aber auch egal. Weil wie das Krypto-Geschäft mit Realitäten, im doppelten Sinne, spielt, so macht das auch Guse in seiner Geschichte. Und das sagt über die Welt, die er hier erforscht schon viel aus.