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Immer wieder berichten Lehrkräfte über Gewalt gegen sie. Eine Berliner Lehrerin berichtet über ihre eigenen Erfahrungen und mangelnde Unterstützung.

Drei Jahre sei es her, sagt sie: Im Unterricht wollte die Berliner Lehrerin Angelika in der Auseinandersetzung zweier Schüler schlichten. Doch vergeblich: Einer der Jugendlichen habe sie gewürgt und ihr die Faust ins Gesicht geschlagen. Die Lehrerin sei rückwärts zu Boden gestürzt.

Heute spricht sie von dem „schlimmsten Gewalterlebnis“ ihres Arbeitslebens: „Damals ist mein gesamtes Berufsbild zusammengebrochen.“ Es war eine allgemeinbildende Schule, mehr mag sie über die Einrichtung nicht sagen, die sie mittlerweile verlassen habe. Auch ihren Nachnamen, der der Redaktion bekannt ist, behält die 60-Jährige lieber für sich. Er befinde sich auch nicht mehr daheim an ihrem Klingelschild, sagt sie. Um unangenehme oder gar gefährliche Begegnungen vor der eigenen Haustür zu vermeiden.

Dass sie von ihren Schülern täglich beschimpft worden sei, als „Nutte“ oder „Hurensohn“ – daran hatte sie sich schon gewöhnt. Hinzugekommen seien Drohungen von Eltern, die ihr auf dem Parkplatz auflauerten: „Ich weiß, wo Du wohnst.“ Unterstützung habe die Lehrerin nach dem Angriff kaum erfahren, weder von ihrer Schulleitung noch bei der Schulbehörde, die ihrer Aussage nach ihren Unfallbericht nicht abstempelte – so habe kein Anspruch auf psychologische Betreuung bestanden.

Der Durchgangsarzt, zu dem sie nach dem Angriff ging, habe zu ihr gesagt: „Das muss ja ein scheiß Unterricht gewesen sein, wenn er mit Gewalt auf Sie reagiert hat.“ Erst ihr Hausarzt habe sie krankgeschrieben und ihr so eine mehrwöchige Reha ermöglicht. Psychologische Hilfe habe sie sich selbst organisieren müssen, erzählt die Lehrerin. Nur mit massivem Druck habe sie an eine andere Schule in Berlin wechseln können.

„Ich habe mich total alleine und verloren gefühlt“, sagt sie im Gespräch mit t-online über die Zeit nach dem Vorfall. Aber aufgeben und den Lehrdienst verlassen, das sei für sie nicht infrage gekommen.

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) befragte im vergangenen Jahr tausend Lehrer und Lehrerinnen. Mehr als jeder Zweite berichtete von einer Zunahme psychischer Gewalt wie Beleidigungen, Beschimpfungen und Mobbing. Die Zahlen wurden repräsentativ erhoben, separate Daten für Berlin gibt es nicht.

Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geht man von einer erheblichen Dunkelziffer an Vorfällen aus, die nicht gemeldet werden. Entweder sei den betroffenen Lehrern der bürokratische Aufwand zu hoch oder Kollegium und Schulleitung signalisierten, dass Gewaltmeldungen unerwünscht seien. Oder beides. Laut einer repräsentativen Forsa-Befragung von 2024 hält knapp jede zweite Schulleitung in Deutschland die Problematik „Gewalt gegen Lehrkräfte“ eher für ein Tabuthema.

Angelika kenne etliche Beispiele aus dem Kollegium, sagt sie. Manche würden schon morgens mit ironischem Beifall bedacht, wenn sie das Schulgelände betreten. Es komme auch zu rassistischen Ausfällen gegen nicht weiße Lehrkräfte. Das gehe an den Betroffenen natürlich nicht spurlos vorbei. „Sie gehen nicht mehr gerne zur Arbeit und können auch ihren Auftrag nicht mehr richtig erfüllen, nämlich: ein guter Lehrer sein.“

Einmal habe sie erlebt, dass ein Kollege eine mündliche Prüfung für den Schulabschluss abgenommen habe, während der Vater des Schülers vor der Tür gewartet habe. „Als sein Sohn rauskam und sagte, er habe eine 4 bekommen, schlug der Vater dem Prüfer mit der Faust mitten ins Gesicht. Dieser Lehrer hat nie wieder eine Prüfung abgenommen.“

„Hier prallen so viele Kulturen aufeinander“

Angelikas Beobachtungen zufolge sind es vor allem männliche Schüler, die Lehrer angreifen, sei es mit Worten oder mit Handgreiflichkeiten. „Beleidigungen kommen sehr oft von Jungs. Nicht unbedingt nur Jungs mit Migrationshintergrund, aber von denen gucken es sich die anderen irgendwann ab.“

Auf die Frage, ob sich ihre ehemalige Schule in einem sogenannten Problembezirk befindet, sagt Angelika: „Es gibt in Berlin eigentlich keine friedlichen Schulen mehr. Hier prallen so viele Kulturen aufeinander, da entstehen teils extreme Konflikte.“ Für Äußerungen wie diese müsse sie häufig Kritik einstecken, sagt sie. Kollegen, hauptsächlich aus anderen Bundesländern, würden ihr Ausländerfeindlichkeit vorwerfen. Oder sie würden sagen: „Na, musst Du Dich wichtig machen?“