Stand: 24.06.2025 22:12 Uhr
Die hannoversche Landeskirche startete die unabhängige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs mit Verzögerung. Die neue Studie hat auch das Machtsystem des Pastors Klaus Vollmer untersucht. Florian Breitmeier kommentiert.
Das Bild Klaus Vollmers ist nach dieser Studie zu korrigieren. Lange Zeit galt der 2011 verstorbene evangelische Geistliche vielen als Charismatiker, der mit seiner von ihm gegründeten Bruderschaft vor allem junge Männer auf der Suche nach Sinn und neuen Formen der Theologie ansprach. Vollmer, der Volksmissionar aus der Südheide mit Weltendrang. Der Glaube sollte tiefsinnig und frei gelebt werden, wenn man den geistlichen Leiter denn bloß uneingeschränkt akzeptierte. Vollmer konnte laut der Aufarbeitungsstudie keine Kritik leiden, spielte Menschen bewusst gegeneinander aus, nutzte auch seelsorgerliche Gespräche für sexuelle Handlungen. Er versuchte, Lebensentscheidungen von Mitgliedern zu beeinflussen, wertete Frauen gezielt ab. Ein toxisches Machtsystem hinter einer idyllischen Fassade.
Vollmer hatte freie Hand
Gegen den inzwischen verstorbenen Pastor Klaus Vollmer aus dem Landkreis Celle gibt es Vorwürfe des Macht- und sexuellen Missbrauchs.
Landesbischof Ralf Meister hat recht, wenn er davon spricht, dass der vorliegende Aufarbeitungsbericht zeige, wie tief sexualisierte Gewalt, spirituelle Gewalt und Machtmissbrauch in kirchlichen Strukturen verankert sind. Vollmer hatte auf seinem Gutshof weitestgehend freie Hand. Scharfe Kontrollen aus Hannover hatte er jahrzehntelang nicht zu befürchten. Weil die Bruderschaft ein eingetragener Verein war, griff nicht das Visitationsrecht der Landeskirche, wie dies bei klassischen Kirchengemeinden der Fall ist. Hier muss mit Blick auf geistliche Gemeinschaften in Zukunft dringend nachgeschärft werden.
Spätestens seit 2018 Kenntnis von sexuellen Kontakten
Der Bericht deckt auch schwere Fehler der hannoverschen Landeskirche auf. Laut der Studie hatte diese spätestens seit 2018 Kenntnis von sexuellen Kontakten Vollmers zu Mitgliedern der Bruderschaft, die 2011 in Evangelische Geschwisterschaft umbenannt wurde. Diese startete nach internen Hinweisen im Jahr 2017 einen eigenen Aufarbeitungsprozess. Die Landeskirche gab dafür das Geld, hielt sich inhaltlich aber raus. Verantwortungsbewusst war das nicht, denn Vollmer war eben auch ordinierter Pastor der Landeskirche.
Verhalten der hannoverschen Landeskirche verstört
Die Kirchenleitung hätte schon 2018 auf eine unabhängige Studie drängen müssen, die Geschwisterschaft dabei nicht alleine lassen dürfen. Gemeinschaften und Institutionen können eigenes Versagen und schwere Vorwürfe niemals allein aufarbeiten. Das Verhalten der hannoverschen Landeskirche verstört angesichts der Debatten, die es in der evangelischen Kirche in den Jahren 2018 und 2019 schon gab. Ein gravierender Fehler also. Die unabhängige Aufarbeitung startete dann erst mit deutlicher Verzögerung im Herbst 2022.
Bericht erwähnt betroffenen Minderjährigen
Mindestens zwei Kinder waren laut Kommission betroffen. Die Landeskirche Hannovers habe eine Aufarbeitung zu zögerlich gestartet.
Die Studie bringt aber noch mehr ans Licht: Da ist von einer Betroffenenmeldung aus dem Jahr 2019 die Rede, die von einem leitenden Theologen im Kirchenamt nicht vollständig und teilweise auch noch falsch an die Kommission der Geschwisterschaft weitergeleitet wurde. Als der vollständige Wortlaut der Mail Anfang 2022 weiteren leitenden Geistlichen im Kirchenamt bekannt wurde, habe man sofort den Entschluss gefasst, eine unabhängige Aufarbeitung zu starten, hieß es von Landeskirche. In dem Bericht der Geschwisterschaft aus dem Jahr 2020, welcher der Landeskirche im Herbst 2020 zur Beratung vorgelegt wurde, fand sich aber kurz die Erwähnung eines betroffenen Minderjährigen. Auch dies war zunächst kein Anlass für die Landeskirche den unabhängigen Aufarbeitungsprozess sofort zu starten. Dies geschah dann 17 Monate später.
Kein Brief, keine Mail, kein Anruf – nichts
Erste Schritte zur möglichen Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den leitenden Theologen wurden 2022 gegangen. Das Verfahren läuft noch. Eines geschah aber weiterhin nicht: Dass sich nämlich ein Mitglied der Kirchenleitung bei dem Betroffenen gemeldet hätte, der sich bereits 2019 an das Landeskirchenamt gewandt hatte – und dessen Korrespondenz mit dem leitenden Geistlichen dann Anfang 2022 der Kirchenleitung bekannt geworden war. Kein Brief, keine Mail, kein Anruf, nichts. Bald soll es aber ein Treffen zwischen dem Betroffenen und dem Landesbischof geben. Die Meldung im Landeskirchenamt ging 2019 ein. 2022 wusste die Kirchenleitung von dem genauen Wortlaut. Nun soll es zu einem direkten Gespräch mit dem Betroffenen kommen. So vergehen in der hannoverschen Landeskirche die Jahre.
Mindestens zwei Kinder waren laut Kommission betroffen. Die Landeskirche Hannovers habe eine Aufarbeitung zu zögerlich gestartet.
Gegen den inzwischen verstorbenen Pastor Klaus Vollmer aus dem Landkreis Celle gibt es Vorwürfe des Macht- und sexuellen Missbrauchs.
Ralf Meister habe dem Thema sexualisierte Gewalt in Hannover zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Der Landesbischof wehrt sich.
Eine breite Debatte zur Rücktrittsforderung gab es bei der Synode nicht. Ein Fehler, findet Florian Breitmeier.
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