„Eine Falle“ (New York Times), „entmenschlichend“ (Instagram), ein „enttäuschender Griff ins Klo“ (Watson) – das Internet und die Medien diskutieren über das neue Albumcover von US-Popstar Sabrina Carpenter. Darauf kniet die 26-Jährige in unterwürfiger Pose, kleinem Schwarzen und Stiletto-Heels neben einem Mann, der ihre Haare in der Faust hält. Der Albumtitel: „Man’s Best Friend“, eine Redewendung, die sich normalerweise auf Hunde bezieht. Das Bild schlägt ein – als Schlag ins Gesicht gegen alle Feministinnen, finden die lautesten Stimmen. Als sexpositiver Befreiungsschlag, darauf beharrt eine Minderheit.
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Es ist Carpenters siebtes Studioalbum. Die Sängerin hat monatlich 70 Millionen Zuhörer auf Spotify, ihre Songs „Espresso“ und „Please Please Please“ sind auf Tiktok omnipräsent und führten bei Erscheinen die weltweiten Charts an. Die Kritik am Cover ihres neuesten Albums – „Man’s Best Friend“ selbst wird erst Ende August erscheinen – lautet erwartbar: Wofür haben Feministinnen jahrzehntelang gekämpft, wenn eine der größten Popikonen sich jetzt wieder als unterwürfiges Sexobjekt darstellt?
Carpenter versteht sich als Feministin
„Das ist keine Satire, das ist keine Selbstermächtigung für Frauen”, befindet ein Instagram-Kommentar mit knapp zehntausend Likes, ein anderer, dreißigtausend Likes: „Als eine Überlebende von häuslicher Gewalt fühle ich mich damit unwohl.“ Carpenter präsentiere sich für den Male Gaze, den objektifizierenden und sexualisierenden männlichen Blick, der allzu oft in Film und Popkultur der bestimmende ist. Vergleiche von Frauen mit Hunden zögen alle Opfer von tatsächlicher sexualisierter Gewalt ins Lächerliche.
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Doch Sabrina Carpenter versteht sich als Feministin. In ihrer neuesten Single „Manchild“ lässt sie sich über unreife Männer aus, singt auch: „I like my men all incompetent“ – „Ich mag meine Männer unfähig“. Im Musikvideo zu ihrem Hit „Feather“ sterben mehrere Männer, die Carpenter sexualisieren und sich ihr gegenüber übergriffig verhalten, einen blutigen Tod. Und wer in Konzertmitschnitten das vorrangig weibliche Publikum jubeln hört, während Carpenter auf der Bühne Sexstellungen nachahmt, weiß: Das macht sie nicht für Männer, nicht in erster Linie.
Auch wenn das Albumcover zu „Man’s Best Friend“ eine klare Anspielung an Pornografie ist: Sabrina Carpenter blickt selbstbewusst in die Kamera, sie hat die Situation unter Kontrolle. „Sie ist eine erwachsene Frau mit ihren eigenen Vorlieben“, argumentiert ein anderer Kommentar, der allerdings nicht einmal 100 Likes hat.
„Ganz offensichtlich ist das Bild eine kalkulierte Provokation“, sagt Theresa Lachner, Sexualberaterin und Gastgeberin des feministischen Sexpodcasts Lvstprinzip. Sie sieht in dem Foto einen jahrzehntealten Trend: „Schon vor mehr als 40 Jahren hat sich Madonna bewusst sexualisiert in Szene gesetzt und dabei selbst objektiviert. Sich selbst so bewusst submissiv zu inszenieren wie jetzt Sabrina Carpenter, ist eine Spielart davon.“ Die Macht im Diskurs über weibliche Sexualität wieder an sich reißen – das könnte Carpenters Lesart ihrer Aktion sein.
„Was hier eine neue Komponente ist, ist das Augenzwinkern an alle, die zuschauen und sich schämen oder ärgern“, sagt Lachner. „Als wollte sie sagen: ,Du bist nicht sexpositiv genug, um zu kapieren, dass das hier ironisch gemeint ist.’“ Lachner sieht in dem Albumcover eher eine plumpe Marketingstrategie als einen feministischen Akt – „auch wenn Feminismus vor allem heißt, dass man Frauen nicht vorschreibt, was sie tun dürfen und was nicht.“
Manchmal habe ich das Gefühl, bestimmte Dinge muss jede Generation für sich noch einmal von vorne aushandeln.
Theresa Lachner,
Sexualberaterin und Podcasterin
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Es ist eine Debatte, die schon in den 70er-Jahren geführt und damals als „Sex Wars“ bezeichnet wurde: der Kampf gegen die Sexualisierung und Objektifizierung von Frauen, auf den ein Kampf für die vollkommene sexuelle Selbstbestimmung trifft. „Frauen dürfen sich nicht unterdrücken lassen“ versus „Frauen dürfen alles, was sie wollen.“ Sabrina Carpenter müsse sich so darstellen dürfen, wie sie es möchte – auch dafür haben Feministinnen gekämpft. Carpenters Albumcover spielt schließlich auch mit einem Kink, mit der sexuellen Vorliebe, sich im Bett freiwillig submissiv zu verhalten.
Theresa Lachner, Jahrgang 1986, ist als Feministin mit all diesen Strömungen gut vertraut. Keins der Argumente, die jetzt in Bezug auf Sabrina Carpenter kursieren, sei wirklich neu. Aber: „Manchmal habe ich das Gefühl, bestimmte Dinge muss jede Generation für sich noch einmal von vorne aushandeln. Vielleicht ist dieses Albumcover eben das, was gerade verhandelt werden muss. Trotzdem habe ich den Eindruck, der Diskurs lenkt von viel wichtigeren feministischen Debatten ab: Über die Gender Care Gap, sexualisierte Gewalt, die Mutterschaftsstrafe.”
Kritik auch an deutscher Rapperin Zsá Zsá
Ein großer Teil der Kritik an „Man’s Best Friend“ bezieht sich auf Carpenters große und sehr junge Fangemeinde. Erst vor wenigen Tagen gewann der ehemalige Disney-Kinderstar gleich drei der von einer Kinderjury vergebenen Kids Choice Awards. „Kein beeinflussbares junges Mädchen sollte so etwas sehen“, schreibt eine Instagram-Nutzerin, mehr als 2000 Menschen stimmen ihr zu.
In Deutschland machte jüngst Rapperin Zsá Zsá Schlagzeilen in einem ähnlichen Tonfall. In ihrem Song „bad bunnies“ rappte die 29-Jährige: „Ich find’s ’n kleines bisschen heiß, wenn er mir droht.“ Nach viel Kritik änderte Zsá Zsá den Text ab, ersetzte „droht“ mit „choked“, also „würgt“. Eine sexuelle Vorliebe von vielen Frauen, und damit akzeptabler als eine von männlicher Macht und „Drohung“ geprägte Beziehungsdynamik, befand die Community.
„Wir sehen diesen Trend generell in der Popkultur“, sagt Sexualberaterin Lachner. „Auf Tiktok werden Choking, also sexuelles Würgen, und andere Praktiken, für die es eigentlich ein Vorgespräch und viel Vertrauen bräuchte, romantisiert. In der Beratung fragen mich viele überforderte Männer, wie sie ihre Freundin würgen sollen, ohne dass es für die Partnerin gefährlich wird. Es gibt Studien darüber, dass vor allem junge Frauen diese Praktiken einfordern. Das war vor 15 bis 20 Jahren noch anders.“ Fest steht laut Lachner aber: „Man kann eben niemals einen einzigen popkulturellen Einfluss für so eine Entwicklung verantwortlich machen.“
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Um sie auf sexuelle Eindrücke angemessen vorzubereiten, sollten Eltern ihren Kindern stattdessen früh und altersgerecht körperliche Autonomie beibringen. „Die Studienlage zeigt ganz klar, dass aufgeklärtere Kinder und Jugendliche besser geschützt vor sexuellen Übergriffen und ungewollten Schwangerschaften sind. Das rechte Narrativ von der Frühsexualisierung, die unseren Kindern schadet, ist nicht wissenschaftlich belegbar.“
Während die meisten Kommentare und Artikel sich auf die eine oder andere Seite schlagen, schreibt die amerikanische Feministin Jennifer Jasmine White im „Guardian“ über „die Unmöglichkeit, über Sex und Macht zu sprechen, ohne über Kapitalismus zu sprechen“. Sabrina Carpenter hat ohne Zweifel erreicht, was sie mit „Man’s Best Friend“ vorhatte: Ihr Instagra-Post hat mehr als achtzigtausend Kommentare, das Zehnfache von deutlich älteren Posts. Die Spannung, ob die Lieder auf dem Album in dieselbe Kerbe schlagen werden wie das Cover, ist schon jetzt groß. Carpenter, die mit ihren Songs Millionen verdient, ist – wieder mal, immer noch – in aller Munde.