Interview | 73-jähriger Eiskunstläufer

„Für mich ist es das Natürlichste der Welt, mich auf dem Eis zu bewegen“

Eiskunstläufer Roland Suckale (Quelle: Majestic / Alexandra Sell)Bild: Majestic / Alexandra Sell

Der gebürtige Berliner Roland Suckale ist Eiskunstläufer – und das mit 73 Jahren. Erst im hohen Alter fand er zurück zu seiner Leidenschaft. Nun steht er fast täglich auf dem Eis und könnte sich in der kommenden Woche zum Weltmeister krönen.


rbb|24: Herr Suckale, Eiskunstlauf spielte in Ihrer Jugend eine Rolle, rückte wegen Ihrer Karriere als Wirtschaftsprüfer und Diplom-Kaufmann dann aber in den Hintergrund. Wie kamen Sie knapp ein halbes Jahrhundert später dazu, sich doch wieder aufs Eis zu wagen?

Roland Suckale: Für mich stand lange im Vordergrund, einen gescheiten Beruf zu ergreifen und Geld zu verdienen. Da hatte ich für Eiskunstlauf keine Zeit mehr. Doch im Alter brauchte ich dann einen Sport zum Ausgleich. Zuerst habe ich es mit Ski-Marathon probiert, hatte aber immer ein Interesse am Eiskunstlaufen. Auf der Website der ISU (Internationale Eislaufunion, Anm. d. Red.) bin ich dann auf das Adult Skating (Amateur-Eiskunstlaufen, Anm. d. Red.) und die Weltmeisterschaften in Oberstdorf gestoßen. Das habe ich mir dann 2012 mal angeguckt und mir gedacht: Das kannst du auch. Unmittelbar danach habe ich angefangen zu trainieren.


Wie war es für Sie, mit über 60 noch einmal neu zu beginnen? Schließlich gilt Eiskunstlaufen als eine der anspruchsvollsten Sportarten überhaupt. Athletinnen und Athleten betreiben diese meist ununterbrochen seit der frühen Kindheit.

Das Gleichgewichtssinn wird schlechter, je älter man wird. Aber man kann ihn interessanterweise auch wieder steigern, was ich bereits durch den Ski-Marathon gemacht habe. Klar hatte ich sonst viel von früher vergessen, aber die Grundtechniken sind ein bisschen wie Radfahren. Die behält man schon drauf. Und man lernt sogar dazu. Als Kind konnte ich zum Beispiel überhaupt keine Pirouetten und habe nur Sprünge gemacht. Die Sitzpirouette habe ich dann erst vor ein paar Jahren gelernt. Das macht einfach Spaß.


Was macht das Eiskunstlaufen für Sie aus?

Es ist das Gefühl, fast schwerelos über das Eis zu gleiten. Das ist eine gewisse Faszination. Es hat etwas Athletisches, hat etwas mit Musik und Schauspielerei zu tun. Da greifen mehrere Bereiche ineinander.


Im April dieses Jahres erschien der Dokumentarfilm „Ice Aged“, der sechs Menschen fortgeschrittenen Alters bei der Vorbereitung für die Weltmeisterschaften der Amateure begleitete. Auch Sie waren einer der Protagonisten. Wie war das für Sie?

In dem Film geht es ja nicht nur ums Eiskunstlaufen, sondern vor allem auch um die persönlichen Schicksale der Protagonisten. Da ist ein ziemlich gutes Kaleidoskop über mein Leben entstanden. Ich hatte von Beginn an ein relativ natürliches Gefühl zu der Kamera. Vielleicht auch, weil ich in den 70er Jahren mal bei Werbefilmen für Edeka mitgewirkt habe. Ich bin allerdings froh, dass es so manche Szenen, die gedreht wurden, nicht in den Film geschafft haben. Zum Beispiel, wie ich mich beim Streichen von Gartenstühlen angestellt habe (lacht).

Ich werde teilweise auf der Straße angesprochen, weil die Leute mich aus dem Fernsehen oder von der Leinwand kennen.

Roland Suckale


Welche Reaktionen auf den Film haben Sie erlebt?

Die Zuschauer gehen bei dem Film richtig mit. Bei der deutschen Premiere war ich völlig überrascht von der enormen Reaktion des Publikums. Es gab Szenenapplaus, Lacher und Trauer. Ich werde teilweise auf der Straße angesprochen, weil die Leute mich aus dem Fernsehen oder von der Leinwand kennen. Zuletzt in Berlin in einem Bistro auf dem Kurfürstendamm.


Warum glauben Sie, nimmt diese Geschichte von Eiskunstläuferinnen und -läufern im höheren Alter die Menschen so mit?

Vielleicht haben die Leute genug von den vielen hippen Typen und finden stattdessen Schicksale von normalen Menschen interessant. Außerdem gibt es einen gewissen Respekt vor dem Eiskunstlaufen. Es ist eben keine ganz leichte Sportart. Für mich ist es aber das Natürlichste der Welt, mich auf dem Eis zu bewegen. Und das bewundern die Menschen. Das Interesse am Eiskunstlaufen ist sehr groß, das stelle ich immer wieder fest.


Vom 29. Juni bis 4. Juli steht die Amateur-WM in Oberstdorf an. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Ich stehe unter der Woche jeden Tag auf dem Eis. Immer so vier bis fünf Stunden. Ich trainiere morgens früh, mache eine Pause und gehe dann mittags wieder aufs Eis. Das funktioniert gut.


Wie darf man sich die Szene des Amateur-Eiskunstlaufens vorstellen? Konkurrenz oder Familie?

Zu Spitzenzeiten sind in Oberstdorf 750 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ich halte eigentlich nicht viel von Social Media, aber wenn man Eiskunstlaufen macht, muss man bei Facebook sein. Dort habe ich viele Leute kennengelernt, die wirkliche Freunde geworden sind und die man dann immer wieder bei den Wettkämpfen trifft. Es ist nicht wirklich eine Konkurrenzsituation. Zwar ist sehr viel Ehrgeiz dabei und das Niveau ist in den letzten Jahren enorm angestiegen, aber man hilft sich gegenseitig. Es ist eine ganz besondere Atmosphäre, die man selbst erleben muss. Wenn man sich mit über 60 noch auf Eis stellt, dann will man ja Spaß haben und nicht zur Schnecke gemacht werden.


Mit welchem Ziel reisen Sie nach Oberstdorf?

Ich würde sagen: Teilnehmen ist alles. Bei meinen ersten Meisterschaften bin ich beim Rittberger gestürzt und trotzdem mit Bronze auf dem Podium gelandet. Letztes Jahr bin ich allerdings Letzter geworden. Aber seit ich 2012 wieder mit dem Eiskunstlaufen begonnen habe, habe ich international 15 Goldmedaillen gewonnen. Es wäre also schon ganz nett, auf dem Podium zu landen. Ich bin voll motiviert, überwiegend geht es aber um den Spaß am Eislaufen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Lukas Witte, rbb Sport. Es wurde für die Online-Fassung gekürzt und redigiert.