Stand: 25.06.2025 10:26 Uhr
Hannover nimmt als eine von bundesweit drei Städten an dem Modellprojekt „so-par“ teil. Es soll Opioid-Abhängigen helfen – Menschen wie Guido Missberger. Der 56-Jährige hat 40 Jahre lang konsumiert.
Bei dem Projekt „so-par“ (Synthetic Opioids Prepare and Response) geht es um synthetische Opioide wie Fentanyl. Im Rahmen des Modellprojekts will Hannover Lösungen für die zunehmende Verbreitung der Substanz entwickeln. Guido Missberger ist Hannoveraner und war 40 Jahre lang drogenabhängig. Er war polytoxikoman, nahm also verschiedene Drogen. Über die Erfahrungen mit seiner Sucht spricht er mit NDR.de.
Herr Missberger, erinnern sie sich, wann sie das erste Mal konsumiert haben?
Guido Missberger: Naja, damals schon recht früh, mit elf Jahren. Damals meinte ein Schulkumpel zu mir, wie cool es ist, Pattex in eine Tüte zu packen und die Dämpfe zu inhalieren oder Fleckenreiniger zu inhalieren. Das hat mir schon gereicht, das fand ich geil. Und dann sind wir zum Drogeriemarkt und haben das Zeug geklaut und sind dann in den Wald und haben das Zeug eingeatmet, bis wir so breit waren, dass wir uns kaputt gelacht haben. Zigaretten, Cannabis und Alkohol kamen dann auch ziemlich bald.
Wie sind Sie von Cannabis und Alkohol zu Heroin gekommen?
Missberger: Ich bin damals mit einem Kumpel zusammen in eine Hooliganszene geraten. Wir waren damals noch recht jung, vielleicht 17, aber das war der Freundeskreis von seinem großen Bruder und wir gehörten dann schon dazu. Die hatten alle möglichen Drogen. Zum Beispiel Amphetamine, Kokain und Alkohol. Nur Heroin hatten sie nicht, aber Kokain habe ich genommen und damit war der Übergang gemacht.
Irgendwann hatte ich dann mal totalen Frust und Liebeskummer. Die große Liebe hat gerade Schluss gemacht und ich war total besoffen. Ich bin dann auf jemanden getroffen, der Heroin konsumiert. Ich habe bis dahin noch nie einen Heroinentzug gesehen, war also auch nicht abgeschreckt oder so und habe das einfach probiert.
Dann war ich jahrelang polytoxikoman, so nennen das die Ärzte. Das heißt im Prinzip, dass du alles nimmst. Und wenn du das Eine nicht bekommst, nimmst du das Andere. Ich habe immer versucht, mich so breit wie möglich zu machen, um mich aus dem Leben zu beamen. Am besten ging das dann mit Heroin.
Wie fühlt sich ein Heroinrausch denn an?
Missberger: Du bist wie in so einem Halbschlaf. Du bist wie in einer Glocke, du kriegst die Geräusche um dich herum noch mit, aber du bist absolut in deiner Welt und fühlst dich warm und wohl. Selbst wenn du kotzt. Nicht wie bei Alkohol, wenn du dich übergibst und es weh tut. Alles ist angenehm und dir kann keiner was. Du bist irgendwie von der Außenwelt abgeschirmt.
Bei dem Projekt „so-par“ geht es vor allem um synthetische Opioide wie Fentanyl. Substanzen, mit denen Heroin oft gestreckt wird. Haben Sie damit auch Erfahrungen gemacht?
Missberger: Klar! Das Problem ist: Du weißt halt nie, wer dir da was zusammengebraut hat und was da drin ist. Ich bin mehrmals wegen Überdosen zusammengeklappt, aber ich wusste ja nie, was in meinem Stoff drin ist. Es war mir im Zweifelsfall aber auch nicht so wichtig. Ich habe zum Beispiel in ganz vielen Städten gelebt und bin dann einfach an den Bahnhof gegangen. Habe dann bei irgendwem Stoff gekauft und den habe ich auch nicht erst probiert, weil die Sucht schon so groß war. Ich habe das Zeug dann sofort auf den Löffel getan, aufgezogen und gespritzt. Ich frage mich auch heute, wie ich das überlebt habe, aber das ist halt das Gefährliche dabei. Deshalb finde ich es echt gut, dass es heute so Drogen-Test-Möglichkeiten gibt.
Wenn man nie so richtig weiß, welche Substanzen in der Droge sind – ist es dann nicht enorm schwierig, richtig zu dosieren?
Missberger: Ich hatte oft falsch dosiert und war dann ohnmächtig. Ich habe zeitweise auch keine Lust mehr gehabt auf mein Leben und habe mir dann versucht, extra zu viel zu geben. Oder habe mir bewusst gefährliche Substanzen beigemischt. Oft war ich dann lange bewusstlos. Ich bin einmal stundenlang bewusstlos zwischen Düsseldorf und Solingen im Zug hin und her gefahren. Als ich aufgewacht bin im Zug, war es dunkel, aber ich habe noch gelebt.
Ein guter Freund von mir, mit dem ich damals mit Heroin angefangen habe, hat es nicht geschafft. Der hatte mehrere Therapien und Entzüge erfolglos ausprobiert und war danach so frustriert, dass er sich erhängt hat. Aber im Laufe der Zeit habe ich viele Freunde verloren. Viele auch wegen Überdosen.
Sie waren 40 Jahre abhängig und mit 56 sind Sie jetzt seit viereinhalb Jahren clean. Wie haben sie das geschafft?
Missberger: Ich lag 2017 mit einer verschleppten Lungenentzündung im Krankenhaus zwei Monate im Koma. Und bin dann mit 60 Kilogramm, also etwa zwei Drittel von dem, was ich jetzt habe, aufgewacht. Das war eine ganz schlimme Erfahrung für mich und ich wusste auch, es gibt keinen Spielraum mehr. Ich kann nicht mehr am Wochenende was nehmen oder saufen gehen, ich wusste das.
Ich habe mich dann gefragt: Will ich sterben oder will ich leben? Und ich will gerne noch was leben! Und die Leute haben mir Tipps gegeben, wie ich das schaffe. Und da bin ich das erste Mal in Therapie gegangen, weil ich das wollte. Nicht weil Eltern, Freundin oder Amt mir das erzählen. Ich wollte das! Ich wollte clean werden! Und das habe ich auch geschafft.
Wie geht es Ihnen ohne den Konsum? Fällt es Ihnen schwer?
Missberger: Nee, es fällt mir nicht schwer, clean zu bleiben. Inzwischen habe ich mir ein kleines Leben aufgebaut. Ich mache gerade meinen Führerschein. Außerdem gebe ich vom Asphalt-Magazin organisierte Stadtführungen. Dort erzähle ich von meinem Leben und führe die Leute an Orte in Hannover, an denen ich Dinge erlebt habe.
Oft treffe ich da immer noch Menschen aus der Drogenszene, die obdachlos sind und drogenabhängig. Menschen, denen es total schlecht geht. Dann denke ich mir: Genau da war ich auch und eigentlich hätte ich daran sterben müssen. Dann fühle ich total die Dankbarkeit. Weil ganz ehrlich: Ich bin so glücklich wie nie. Ich nehm nichts, ich trink nicht, ich nehm keine Drogen. Aber ich feier das Leben trotzdem. Leider erst jetzt als alter Knacker, aber das macht schon Spaß.
Der deutsche Betreiber wurde in Spanien festgenommen. In Niedersachsen wurden mehrere Objekte durchsucht.
Im Rahmen eines Modellprojekts will die Landeshauptstadt Lösungen für die zunehmende Verbreitung synthetischer Drogen entwickeln.
In ganz Niedersachsen waren es 153 Todesfälle. Grund für den Anstieg ist vor allem ein geändertes Konsumverhalten der Süchtigen.
Immer mehr Drogen kommen nach Deutschland. Und das hat Folgen: Vor allem der Crack-Konsum nimmt in Niedersachsen zu.