Fast zwei Wochen nach dem Sexismus-Eklat im Fußball wird der Umgang damit weiterhin diskutiert. Beim Spiel zwischen den Drittligisten SC Verl und Rot-Weiß Essen stimmten Gästefans Gesänge an, in denen sie Schiedsrichterin Fabienne Michel sexistisch beleidigten und ihr sexualisierte Gewalt androhten. Besonders in den sozialen Medien wurde der Vorfall, der durch einen Bericht der „Sportschau“ bekannt wurde, heftig kritisiert. Doch es gab auch Stimmen, die ihn bagatellisierten.
Am vergangenen Wochenende bezogen die Essener Stellung, nachdem sich der Verein eine Woche lang nicht öffentlich geäußert hatte. In einer Stellungnahme hieß es, man wolle sich bei Fabienne Michel „für die beleidigenden und an sie persönlich gerichteten Gesänge einer lautstarken Gruppe von Fans“ entschuldigen.
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„Ich weiß sehr genau, dass die klare Mehrheit unserer Fans, die uns bei Heimspielen im Stadion an der Hafenstraße oder auch bei Auswärtsspielen in Stadien überall in Deutschland unterstützen, sich nicht mit diesen Inhalten identifizieren und diese entschieden ablehnen“, wird Alexander Rang aus dem Vorstand zitiert. Man sei „bereits dabei, den Vorfall intern aufzuarbeiten“ und wolle den Kontrollausschuss des DFB bei den Ermittlungen unterstützen.
Wie werden solche Vorfälle künftig aufgearbeitet?
Die Kriminologin Thaya Vester, die zu Diskriminierungserfahrungen von Schiedsrichterinnen forscht, bewertet es als „grundsätzlich positives Signal“, dass der Verein die Vorfälle nicht negiert oder relativiert. „Das Eingeständnis ist die Grundlage.“
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Sie übt jedoch auch Kritik. So werde nicht erläutert, wie der Vorfall konkret aufgearbeitet werden soll und wie künftig verhindert werden kann, dass sich so etwas wiederholt. „Offenbar hatte niemand im Stadion ein so starkes Störgefühl, dass er den Vorfall meldete. Niemand fühlte sich verantwortlich und das, obwohl der Vorfall im öffentlichen Raum stattfand.“
Keinem Mann wird sexualisierte Gewalt angedroht. Und kein Mann wird zum Oralverkehr aufgefordert.
Thaya Vester, Kriminologin
In seiner Stellungnahme verweist Essen auf die eigene Vereinssatzung, nach der man diskriminierendem Verhalten entschieden entgegentreten wolle. „Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein“, sagt Vester. „Die Frage ist doch: Wie geht man damit um, wenn trotzdem so ein Verhalten auftritt? Welche Sanktionen werden ergriffen?“
Weiterhin wird in der Stellungnahme auf Projekte wie den Lernort an der Hafenstraße hingewiesen, bei denen Schüler:innen im Bereich Antidiskriminierung sensibilisiert werden. Vester kritisiert jedoch, dass dies nicht ausreiche: „Das sind unterschiedliche Ebenen. Das ist in etwa so, als würde man bei gewalttätigen Erwachsenen darauf verweisen, dass Kindern im Kindergarten beigebracht wird, niemanden zu hauen.“
RWE betont, man wolle „besonders der heranwachsenden Generation“ klarmachen, dass Diskriminierung keinen Platz habe. Fraglich bleibt jedoch, ob es tatsächlich diese Generation war, die im Stadion die Gesänge anstimmte.
Verein benennt sexualisierte Gewalt nicht
Was der Verein nicht klar benennt, ist, dass es sich um Sexismus und verbale, sexualisierte Gesänge handelte. Dabei sangen die Fans „Die Blonde wird gef*** olé, olé“ und schrien „Hure“. „Sexismus ist im Fußball so verbreitet und normalisiert, dass er häufig nicht als solcher erkannt und benannt wird“, so Vester. „Viele haben das Narrativ verinnerlicht, dass so etwas im Fußball dazugehört.“
Dass der geschlechtsspezifische Aspekt nur allzu oft ausgeblendet wird, zeigt sich auch im „4zu3 – der 3. Liga Podcast“ von „Magenta Sport“. Dort werden die Gesänge zwar verurteilt, aber Thomas Wagner sagt auch: „Was werden männliche Schiedsrichter seit Jahren im Stadion beleidigt (…) Da gibt es überhaupt keine Ermittlungen (…) und jetzt betrifft es eine Frau und da wird direkt der Kontrollausschuss tätig. Das finde ich in Zeiten der Gleichberechtigung nicht richtig.“
Dass diese Aussagen in einem Podcast des Senders, der die Dritte Liga überträgt, getätigt werden, findet Vester „fatal“. „Sogar dort gibt es kein Problembewusstsein“. Natürlich sollte man dagegen vorgehen, dass männliche Schiedsrichter beleidigt und angegangen werden. „Aber keinem Mann wird sexualisierte Gewalt angedroht. Und kein Mann wird zum Oralverkehr aufgefordert.“ Bei Schiedsrichterinnen käme neben der beruflichen eben auch noch die geschlechtliche Komponente obendrauf.
„Das Ganze ist nicht einfach ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es ist auch ein spezielles Problem des Fußballs. Viele sehen den Fußball immer noch als letzten Hort der absoluten Männlichkeit an, wo bestimmte Dinge erlaubt sind.“
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Bislang ist die Strafe des DFB-Kontrollausschusses noch nicht bekannt. Vester rechnet mit einer Geldstrafe für RWE, befürchtet jedoch, dass diese Maßnahme wenig nachhaltig ist. „Vereine können sich von diesen Vorfällen einfach freikaufen. Das löst daher keinen Veränderungsdruck aus. Solche Geldstrafen tun kaum weh und sind weit weniger aufwendig als die Verhinderung solcher Vorfälle.“