Marco Böhme entschuldigt sich direkt für die Unordnung im Interim, dem Linken-Büro gleich hinterm Lindenauer Markt. Gestern habe hier noch ein Party stattgefunden, die Zapfanlage steht noch. Dass es etwas voll wirkt, hat aber noch einen anderen Grund: Der Grünauer mit den blassrosa Haaren vertrat von 2014 bis 2024 den Leipziger Westen im sächsischen Landtag. Letzten Herbst verlor er die Wahl ums Direktmandat gegen die Grüne Claudia Maicher, musste sein Landtagsbüro räumen. Die etwas runtergerockten Polstersessel, eine ausladende Bogenlampe und jede Menge Grünpflanzen wanderten mit Böhme wieder nach Leipzig. Als frischgewählter Landesvorsitzender seiner Partei muss er nun den Spagat schaffen: Die Leipziger Hochburg verteidigen, ohne das sächsische Hinterland aufzugeben.
Die Linke ist gerade so erfolgreich wie lange nicht. Ist es nicht eine undankbare Aufgabe, dann zu übernehmen, wenn es eigentlich nur noch bergab gehen kann?
Böhme: Als ich mich mit Anja Eichhorn vor einem halben Jahr für die Kandidatur bereit erklärt habe, wurde ich gefragt, ob es nicht krass ist, den Laden in so einer desolaten Situation zu übernehmen. Damals standen wir in Sachsen bei 4,5 Prozent, bundesweit bei 3. Heute treten immer noch jeden Tag Dutzende Menschen alleine in Sachsen ein. Damit sind wir hier mit über 11.000 Mitgliedern die größte Partei. Diesen Schwung aufrechtzuerhalten, muss die Aufgabe sein.
Wie konnte denn die Linke ihr Bundestagswahlergebnis im Vergleich zur Landtagswahl im Herbst mehr als verdoppeln?
Veränderungen gehen nicht so schnell in nur einem Bundesland. Wir sind sehr von der Stimmung im Bund abhängig. Die Themen waren ja eigentlich immer dieselben, nur dass wir uns jetzt mal auf ein Thema konzentriert haben. Bei der Bundestagswahl war das Wohnen. Jede Genossin, jeder Genosse konnte am Infostand sagen, was unsere Position zum Thema Wohnen ist. Wir waren wieder kampagnenfähig. Wir hatten keinen Streit mehr innerhalb der Linken, weil die Streithälse gegangen sind. Der große Durchbruch kam dann auch mit Merz und der AfD-Zusammenarbeit. Da haben die Leute gemerkt: Krass, hier passiert gerade was.
Es bleibt aber leider der Haushalt der CDU und damit kein guter Haushalt.
Braucht die Linke den Rechtsruck, um erfolgreich zu sein?
Nein, aber wir brauchten die Aufmerksamkeit in dem Moment des Wahlkampfs. Dass da eine Gefahr besteht von rechts und dass die Konservativen mit denen zusammenarbeiten, hat uns die Chance gegeben, unsere Position nochmal für die breite Öffentlichkeit darzulegen. Das hatten wir vorher nicht. Wir haben inhaltlich gar nichts geändert.
Im September flogen Sie aus dem Landtag, jetzt sind Sie stattdessen Landesvorsitzender Ihrer Partei. Haben Sie es vermisst nach Dresden zu pendeln?
Nee, gar nicht. Ich glaube, beim kreuzer kann man das sagen: Ich mag Dresden gar nicht.
Und das dürfen Sie auch als Landesvorsitzender noch so sagen?
Ich spreche ja nicht mit der Sächsischen Zeitung (lacht). Ein bisschen stänkern kann man da, glaube ich. In Dresden gibt es auch sehr viele engagierte Menschen, nur werden die von der Mehrheit der Stadtgesellschaft nicht unterstützt. Lange lief dort noch Pegida und es gab keinen Gegenprotest, bzw. wurde der von der Polizei verdrängt. Das wäre in Leipzig undenkbar. Hier ist im Zweifelsfall auch der SPD-Bürgermeister mit tausenden Menschen auf Demonstrationen gegen Rechts.
In Dresden hat die Linke die kleinste Landtagsfraktion ihrer Geschichte, ist aber so mächtig wie noch nie, weil die Minderheitsregierung auf ihre Stimmen angewiesen ist. Mit den Stimmen von Linken und Grünen wollen CDU und SPD diese Woche den Haushalt verabschieden. Ein Glücksfall für die Linke?
Von einem Glücksfall würde ich nicht sprechen. Wir mussten uns entscheiden, ob wir eine CDU-Regierung stützen. Und wir sind bei den allermeisten Punkten fundamental anderer Meinung als die CDU. Wir haben es die letzten 35 Jahre nicht geschafft, Dinge im Haushalt aktiv zu verändern. Und jetzt besteht das erste Mal die Chance, unsere Projekte durchzubringen. Am Ende konnten wir mit den Grünen über 250 Millionen Euro zusätzlich in diesen Haushalt einspeisen. Die krassesten Kürzungen haben wir damit verhindert. Wir haben jetzt sogar die Schuldenbremse gelockert. Sachsen kann jetzt wieder Kredite aufnehmen. Das haben wir als Linke erreicht. Es bleibt aber leider der Haushalt der CDU – und damit kein guter Haushalt.
Wäre der Sparhaushalt auch hier in Leipzig spürbar geworden?
Würden wir Nein zum Haushalt sagen, gäbe es massive Kürzungen. Hier im Haus arbeitet zum Beispiel die Rosalinde. Die machen Queer-Projekte und laufen gerade auf dem Zahnfleisch. Gäbe es am 1. Juli keinen Haushalt, müssten die Schutz- und Bildungsräume aufgeben. Im Sozialbereich stünden in ganz Sachsen bis zu 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Dann ist das Demokratieprojekt im ländlichen Raum für immer weg. Das neu aufzubauen, ist viel schwieriger als es zu halten.
In Sachsen werden wir auf absehbare Zeit nicht die stärkste Partei werden.
Könnte die Linksfraktion nicht einfach die Zustimmung zum Haushalt verweigern, um dann bei einer möglichen Neuwahl vom aktuellen Hoch in den Umfragen zu profitieren?
Das wurde mir auch schon gesagt: Macht doch Neuwahlen, dann habt ihr wieder 15 Prozent. So einfach ist das nicht. Im Bundestag kann der Kanzler die Vertrauensfrage stellen und wenn er die verliert, gibt es Neuwahlen. Das ist in Sachsen nicht vorgesehen. Der Ministerpräsident kann nicht die Vertrauensfrage stellen. Es braucht daher eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten, um das Parlament aufzulösen und das wird nicht passieren. Die CDU will keine Neuwahlen, weil ein gescheiterter Haushalt am Ende ein reiner CDU-Haushalt wäre und der Finanzminister so den sozialen Kahlschlag durchziehen könnte. Und selbst bei einer Neuwahl würden die Rechten davon am meisten profitieren. Von einer progressiven Mehrheit ist Sachsen leider meilenweit entfernt.
Der Leipziger Abgeordnete Nam Duy Nguyen hat aber angekündigt, dem Haushalt nicht zuzustimmen.
Jeder Abgeordnete ist laut Verfassung unabhängig in seiner Entscheidung. Der neue Landesvorstand hat in einer Sondersitzung einstimmig festgestellt, dass die vom Landesparteitag aufgestellten Bedingungen mit dem jetzigen Verhandlungsergebnis erfüllt sind. Ich habe daher die Fraktion aufgefordert, zuzustimmen. Fünf der sechs Abgeordneten werden der Empfehlung der Partei folgen, damit scheitert der Haushalt nicht an uns.
Sie sind jetzt Vorsitzender der mitgliederstärksten Partei in Sachsen. Geht damit der Anspruch einher, auch bei Wahlen stärkste Partei zu werden?
Hier in Leipzig ja. Wir sind hier bei der Bundestagswahl die stärkste Kraft geworden. Aber in Sachsen werden wir auf absehbare Zeit nicht die stärkste Partei werden. Das ist kein schönes Zitat, aber die Realität. Sachsen ist CDU-AfD-Land. Das müssen wir erst mal zur Kenntnis nehmen, aber nicht unbedingt akzeptieren. Wir sind den Großstädten stark und meine Aufgabe ist es, die Linke in der Fläche zu stabilisieren.
Das klingt ein bisschen nach Resignation.
Es muss eine langfristige Option geben. Wir waren in den Neunzigern, in den Nullerjahren schon sehr nah an der CDU dran. Aber das schaffen wir nicht innerhalb der nächsten fünf Jahre. Unser Ziel derzeit ist, mit deutlich über zehn Prozent bei der nächsten Landtagswahl einzureiten. Und das ist für eine Vier-Prozent-Partei im Landtag auch erst mal ein realistisches Ziel. Zu sagen, wir wollen jetzt 30 Prozent haben, glaubt mir ja keiner. Und wenn wir fünf bis acht Prozent von AfD oder CDU holen, wäre das ja auch schon mal ein Erfolg.
Sie wollen den Rechten Stimmen abnehmen?
Es muss darum gehen, die Hegemonie der AfD im ländlichen Raum zu brechen, indem es wieder Widerspruch gibt. Es gibt ja nur noch AfD, CDU und vielleicht noch die Linke im ländlichen Raum, die wahrnehmbar sind. Wir müssen es schaffen, dass es Widerspruch gibt, wenn alle »Ausländer raus« sagen.
Wir waren stärkste Kraft in Leipzig bei der Bundestagswahl – haben wir damit jetzt Anspruch auf den OBM-Posten?
Aber das sagt sich auch einfach aus Leipzig.
Das stimmt. Deswegen bin ich wirklich gespannt, wie die Genossen vor Ort damit umgehen. Ich lerne als Landesvorsitzender viele Leute und Ecken von Sachsen nochmal neu kennen. Ich habe richtig Lust darauf, von denen zu erfahren, wie im ländlichen Raum Politik gemacht wird. Wenn ich auf dem Lindenauer Markt eine Veranstaltung mache, kommen locker 80 Leute. Auf dem Land kommen 10 oder 20, wenn überhaupt. Und die haben ständig die Gefahr, dass sie von Nazis überfallen werden.
Wie möchte sich denn die Linke auf dem Land verankern? Gibt es demnächst auch in Bad Schandau und in Delitzsch Interims und Linxxnets?
Das ist unter anderem die Idee. Vielleicht nicht mit 250 Quadratmetern und einem Antifaladen dazu, aber als Bürgercafé im Erdgeschoss und darüber können sich Genossen zu Versammlungen treffen. Das gibt es in Zwickau und könnte ein Vorbild sein.
Wie bereitet sich die Linke auf die Oberbürgermeisterwahl in Leipzig 2027 vor?
Das wird eine große Herausforderung. Wir waren stärkste Kraft in Leipzig bei der Bundestagswahl – haben wir damit jetzt Anspruch auf den OBM-Posten? Die CDU wird vielleicht wieder keinen erzkonservativen, sondern einen bürgerlichen Kandidaten wie Sebastian Gemkow aufstellen, der Stimmen von AfD, FDP und auch ein paar von der SPD zieht. Auf der Gegenseite gibt es das rot-rot-grüne Lager. Ich möchte, dass wir drei Parteien uns auf eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten einigen. Entscheiden wird das aber die Stadtpartei. Mein Wunsch ist aber, dass es eine Person von der Linken wird. Ich will nicht wie Dresden enden. Dort gibt es keine rot-rot-grüne Mehrheit, dort gibt es einen FDP-Bürgermeister. Ich habe keinen Bock darauf, dass Leipzig zu Dresden wird.
Also eine gemeinsame Kandidatur schon vor dem ersten Wahlgang?
Das könnte ein Ziel sein. Ob das klappt, ist fraglich. Vielleicht findet man aber auch eine unabhängige Kandidatur von allen drei Parteien, jemand aus der Zivilgesellschaft. Aber ich glaube, es wird darauf hinauslaufen, dass die Linke jemanden aufstellt. Ich werde das nicht sein, keine Sorge (lacht).