Am Mittwochabend wurde der Marktplatz in Halle zur Bühne eines politisch hoch aufgeladenen Konflikts. Unter dem Motto „Hands off Iran, Hands off Palestine“ hatte die Gruppe „Students for Palestine“ zu einer Demonstration aufgerufen, um gegen die israelischen Angriffe auf den Iran und gegen die westliche Kriegs- und Außenpolitik zu protestieren. Etwa 30 Menschen folgten dem Aufruf, darunter Unterstützer:innen linker und antiimperialistischer Gruppen wie der MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands). Gleichzeitig formierte sich ein entschlossener Gegenprotest – organisiert vom „Bündnis gegen Antisemitismus Halle“ –, der den Veranstaltern vorwarf, antisemitische Narrative zu bedienen und sich mit reaktionären, islamistischen Regimen zu solidarisieren.
Eine Kundgebung der Gegenerzählung
Inmitten wachsender globaler Spannungen, einem eskalierenden Nahostkonflikt und der verstärkten militärischen Konfrontation zwischen Israel und dem Iran, versuchten die Veranstalter:innen der „Students for Palestine“-Kundgebung ein Gegennarrativ zur westlichen Darstellung der Ereignisse zu entwerfen. Die Reden kreisten um eine zentrale These: Der Westen – insbesondere die USA, Israel und Deutschland – betreibe eine aggressive, imperiale Außenpolitik, die auf Ressourcen, geopolitische Kontrolle und die systematische Schwächung souveräner Staaten wie dem Iran abziele. Es sei kein Verteidigungskrieg, sondern Kolonialismus mit anderen Mitteln. Gefordert wurde das Ende westlicher Waffenlieferungen an Israel, die Beendigung der deutschen Unterstützung der „Zionisten“ und eine internationale Anerkennung des „legitimen Widerstands palästinensischer Gruppen“.
Parolen wie „Von Halle bis nach Gaza – Intifada Revolution“, „Viva Palästina“ und „Widerstand ist Bürgerrecht – nur der Westen findets schlecht“ bestimmten die Szenerie. Die Demonstrierenden betonten immer wieder, dass der Widerstand gegen Israel und die USA nicht nur ein Akt der Selbstverteidigung sei, sondern auch ein universeller Kampf gegen Unterdrückung und Neokolonialismus.
Kritik am Iran-Angriff – und Rechtfertigung einer Atombombe?
Ein zentrales Thema war der kürzlich erfolgte israelische Luftangriff auf iranische Atomanlagen – ein Angriff, der von westlichen Regierungen als präventiv gegen ein „unmittelbar bevorstehendes nukleares Bedrohungspotenzial“ verteidigt wurde. Die Redner:innen auf der Kundgebung in Halle sahen das anders.
„Der Angriff auf den Iran ist ein Angriff auf das Völkerrecht“, sagte ein Redner. Der Vorwurf, der Iran arbeite an einer Atombombe, sei entkräftet worden. Die westlichen Regierungen und die Presse würden eine Lüge nach der anderen aufbauschen, um den Krieg zu rechtfertigen. Doch selbst wenn der Iran an einer Atombombe bauen würde, würde dies keinen Angriffskrieg durch Israel und die USA erlauben. Zudem gebe es einen guten Grund für den Bau einer solchen Bombe. “Anders kann man sich vor dem Westen nicht schützen.”
Diese Aussage sorgte später für besonders viel Empörung unter den Gegenprotestierenden. Kritiker sehen darin nicht nur eine Verharmlosung des iranischen Atomprogramms, sondern auch eine grundsätzliche Legitimation nuklearer Aufrüstung – zumindest wenn sie gegen Israel gerichtet ist.
„Wo wart ihr in den letzten 77 Jahren?“
Ein weiterer Redner bezog sich auf die lange Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts. Er warf den westlichen Medien, Politiker:innen und Teilen der Zivilgesellschaft vor, systematisch zu schweigen. „Wo wart ihr alle die letzten 77 Jahre?“, rief er unter Verweis auf die Staatsgründung Israels im Jahr 1948, die von vielen Palästinenser:innen als „Nakba“ – Katastrophe – bezeichnet wird. Er sprach von „ethnischer Säuberung“, der „systematischen Vertreibung“ der palästinensischen Bevölkerung, von „Hunger als Waffe“ und einem „Völkermord in Gaza“.
Adrian Mauson (MLPD) – von Vietnam bis Gaza
Für zusätzlichen politischen Zündstoff sorgte der Auftritt von Adrian Mauson, Vertreter der MLPD, der aus einer Stellungnahme der ICOR (International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations) zitierte. Darin wird von „barbarischem US-Imperialismus“ und einem „völkermörderischen Israel“ gesprochen.
Mauson verglich den heutigen Protest mit der Friedensbewegung während des Vietnamkriegs: „Damals standen wir an der Seite des vietnamesischen Volkes – heute stehen wir an der Seite Palästinas.“ Er forderte einen globalen, revolutionären Widerstand gegen die „imperialistischen Angreifer“, den er als einzige Chance zur Verhinderung eines Weltkriegs bezeichnete.
Gegenseite: Israel-Solidarität, Antisemitismusvorwurf, Iran-Kritik
In unmittelbarer Näher versammelten sich Gegendemonstranten mit Israel- und Regenbogenfahnen. In einem ausführlichen Flugblatt warfen sie den „Students for Palestine“ vor, sich „mit dem Mörderregime im Iran“ zu solidarisieren und eine „antisemitische Querfront“ aus Islamisten, Kommunisten und Antizionisten zu bilden.
„Sie sprechen von Frieden und Freiheit, aber solidarisieren sich mit der Hamas, dem Islamischen Dschihad und dem iranischen Mullahregime“, heißt es im Flyer. Besonders scharf fiel die Kritik an der Verharmlosung des Angriffs vom 7. Oktober 2023 aus, bei dem die Hamas mehr als 1.200 israelische Zivilist:innen ermordete und über 200 Geiseln nahm. „Der Krieg begann nicht aus heiterem Himmel. Er war eine Reaktion auf ein Massaker.“
Auch die iranische Protestbewegung „Jin, Jiyan, Azadi“ wurde thematisiert: „Wo war eure Solidarität, als Frauen im Iran von den Straßen gezerrt und ermordet wurden?“ hieß es. Die Linke, so der Vorwurf, begehe einen fatalen Fehler, wenn sie antiimperialistische Rhetorik vor Menschenrechte stelle.
Die Debatte um Israel – und deutsche Erinnerungskultur
Ein besonders sensibler Punkt, den das Bündnis gegen Antisemitismus ansprach, war die Instrumentalisierung der deutschen Geschichte. Die „Students for Palestine“ – so der Vorwurf – würden Israel gezielt mit dem Nationalsozialismus vergleichen, um die historische Schuld Deutschlands zu relativieren. Man wolle durch solche Analogien „die eigene Nation reinwaschen“, so das Flugblatt.
„Israel ist der Jude unter den Staaten“, zitierte man den französischen Historiker Léon Poliakov. Ein Angriff auf Israel sei deshalb immer auch ein Angriff auf das jüdische Leben insgesamt. Und wer dies ignoriere, mache sich mitschuldig.