Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf eine Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel einigen können. Der Europäische Rat nehme den Bericht des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) zum Gazastreifen „zur Kenntnis“ und wolle die Gespräche über mögliche Folgemaßnahmen im Juli fortsetzen, hieß es lediglich in einer am Donnerstag in Brüssel verabschiedeten Erklärung.

Sánchez sieht „katastrophale Völkermordsituation“ in Gaza

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez beklagte eine „katastrophale Völkermordsituation“ in dem Palästinensergebiet. Dem am Montag vorgestellten EAD-Bericht zufolge gibt es Hinweise, „dass Israel seine Menschenrechtsverpflichtungen verletzt“ haben könnte. Die Vorwürfe als solche liegen bereits lange auf dem Tisch. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und sein österreichischer Kollege Christian Stocker hatten trotzdem eine vorläufige Aussetzung des Abkommens abgelehnt. Davon sei „keine Verbesserung der Situation in Gaza zu erwarten“, sagte Stocker. Es sei sinnvoller, die Gesprächskanäle offenzuhalten.

Der spanische Ministerpräsident Sánchez forderte hingegen am Donnerstag, das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel umgehend auszusetzen und verwies dabei auf den EAD-Bericht. In Artikel zwei des im Jahr 2000 geschlossenen Abkommens steht, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auf demokratischen Grundsätzen und der Achtung der Menschenrechte beruhen. 

Deutschland blockiert offenbar kritischere Haltung zu Israel

Mehrere EU-Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, hatten die EU-Kommission im Mai angesichts der israelischen Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen dazu aufgefordert, das Abkommen mit Blick auf die Einhaltung der Menschenrechte zu überprüfen. Die Bundesregierung in Berlin lehnt eine Überprüfung der Beziehungen zu Israel strikt ab. Zahlreiche internationale Hilfsorganisationen werfen Israel vor, Hunger als Waffe gegen die Palästinenser im Gazastreifen einzusetzen.

In der am Donnerstag auf dem EU-Gipfel verabschiedeten Erklärung heißt es nun: „Israel muss seinen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht, einschließlich des humanitären Völkerrechts, in vollem Umfang nachkommen.“ Zudem wird die Siedlergewalt gegen Palästinenser im von Israel völkerrechtswidrig besetzten Westjordanland kritisiert.

Keine klare Stellungnahme zu Angriffen auf den Iran

Die 27 Staats- und Regierungschefs vermeiden zugleich eine klare Stellungnahme zum amerikanisch-israelischen Angriffskrieg auf den Iran – dieser wird weder ausdrücklich kritisiert noch begrüßt: So werden „alle Parteien nachdrücklich aufgefordert, sich an das Völkerrecht zu halten, Zurückhaltung zu üben und von Maßnahmen abzusehen, die zu einer erneuten Eskalation führen könnten“. Zahlreiche Experten hatten zuvor bei den Angriffen einen klaren Völkerrechtsbruch ausgemacht. Die EU betont aber, dass Iran niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen dürfe und dass es seinen rechtlich bindenden Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag nachkommen müsse.

Und wäre die Uneindeutigkeit in Sachen Nahost nicht schon genug, gibt es auch in der Russland-Frage keinen gemeinsamen Nenner. Die Slowakei blockiert Pläne für neue Sanktionen der EU. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico kündigte am Rande eines Gipfeltreffens in Brüssel an, ein Veto einzulegen, wenn an diesem Freitag wie geplant über die Strafmaßnahmen abgestimmt werden sollte. 

Slowakei blockiert Russland-Sanktionen

Fico will mit dem Vorgehen erzwingen, dass sein Land kompensiert wird, wenn ein Plan der EU-Kommission für einen kompletten Importstopp von russischem Gas zu wirtschaftlichen Schäden in der Slowakei führen sollte. Diesen Plan kann Fico nicht blockieren, weil er im Gegensatz zu dem Sanktionspaket auch per Mehrheitsentscheidung gegen den Willen der Slowakei entschieden werden kann.

Bundeskanzler Friedrich Merz und zahlreiche andere Staats- und Regierungschefs hatten gehofft, dass bei dem Gipfel eine politische Grundsatzeinigung erzielt werden kann, die einen formellen Beschluss auf das Sanktionspaket an diesem Freitag ermöglicht.

Es soll unter anderem den russischen Finanzsektor und Schiffe der russischen Schattenflotte für den Transport von Öl und Ölprodukten treffen. Zudem ist vorgesehen, durch Sanktionen eine denkbare Wiederinbetriebnahme der Gaspipelines Nord Stream 1 und eine Nutzung der Pipelines von Nord Stream 2 zu verhindern.