Männer sind so verletzlich – das sang Herbert Grönemeyer schon 1984 im Lied „Männer“ und stellte die Frage: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ Eine Frage, die ständig neu verhandelt wird und auf die es sicherlich nicht nur eine Antwort gibt. Seit Jahrzehnten verändert sich das Selbstverständnis, klassische Geschlechterrollen werden hinterfragt. Von Männern wird mehr erwartet, als der stoische Versorger zu sein: Auch sie sollen sich (und tun es häufig auch) aktiv an der Kindererziehung beteiligen, den Haushalt gleichwertig managen und emotional für ihre Liebsten zugänglich sein. Was nach grundlegenden Anforderungen klingt, kann große Herausforderungen mit sich bringen. Doch wo können Männer lernen, ihre Gefühle zu verstehen und sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen?

Manfred Höges arbeitet in der Männerberatung des Sozialdienstes katholischer Männer (SKM) in Düsseldorf. Zu ihm kommen Männer, die nach eigenen Aussagen Beziehungskonflikte haben – meist steckt viel mehr dahinter. Höges berät viele Männer, die Gewalt ausüben, aber auch viele, die selbst Gewalt erfahren haben. Doch selbst in weniger drastischen Fällen müssten die Männer lernen, über ihre Gefühle zu sprechen. Viele tun das zum ersten Mal.

Die meisten Beratungsstellen sind auf Männer ausgerichtet, die Täter sind – also gewalttätig sind. Die Männerberatung des SKM konzentriert sich jedoch auf mildere Fälle, und auf Männer, die Gewalt erleben. In ganz Deutschland gibt es nur elf Männerhäuser, dazu kommen drei Einrichtungen, die alle Geschlechter aufnehmen. In NRW ist die Männerberatung verhältnismäßig gut aufgestellt: 22 der 29 Anlaufstellen befinden sich im Bundesland.

Die Männer gehen zur Männerberatung des SKM, weil sie häufig keine anderen Ansprechpartner finden. „Historisch gesehen ist die Hilfelandschaft stark auf Frauen ausgerichtet“, erklärt Höges. Deswegen kämen Männer zu ihm in die Beratung, auch wenn er Sozialarbeiter sei und kein Therapeut. „Bei uns steht eben ausdrücklich Männerberatung drauf“, sagt Höges. Die gezielte Ansprache von Männern, zusammen mit seiner Erfahrung für geschlechtsspezifische Beratung, sei eine Seltenheit. „Wenn ein Mann eine Krise hat, dann kann es durchaus sein, dass er aggressiv wird“, sagt er. Bei anderen Beratungsangeboten müssten solche Männer gehen. Bei ihm dürfen sie bleiben.

Viele Männer hätten gelernt, dass Wut das einzige Gefühl sei, das sie ausdrücken dürfen. „Am Ende kommt oft raus, dass der Mann nicht wütend ist, sondern verletzt, Angst hat oder sich hilflos fühlt.“ Doch das wüssten diese Männer zunächst selbst nicht. Viele hätten keine Vorbilder, die ihnen vorlebten, mit ihren Emotionen konstruktiv umzugehen. Und auch gegenüber ihren Freunden würden sie sich nicht verletzlich machen. „Das ist wie eine neue Sprache“, sagt Höges. „Viele Männer müssen erst lernen, ihre Gefühle überhaupt in Worte zu fassen. Dabei helfe ich, indem ich als Mann emotionales Erleben sprachlich sichtbar mache – und so eine Vorbildfunktion übernehme.“ Als Beispiel nennt er einen Mann, dessen Partnerin sich von ihm getrennt hatte. Höges erzählte er, er sei verärgert. Irgendwann sagte der Berater zu ihm, er glaube gar nicht, dass er verärgert sei, sondern verletzt. „Und dann ist er so ein bisschen zusammengebrochen. Er fing dann an zu weinen. Und wenn Männer anfangen zu weinen, dann hören die auch nicht mehr auf.“ Die Gefühle unter der Wut aufdecken, und einen Weg zu finden, mit ihnen umzugehen – das ist die Aufgabe, die Manfred Höges täglich angeht.

Auch Wolfgang Schmidt ist bei Höges in Beratung. Wie viele der Männer, die zur Beratung kommen, hat er seinen Gefühlen auf aggressive Weise Luft gemacht. Er sei auf Wunsch seiner Ex-Frau dort – und in der Hoffnung, seine Kinder wieder sehen zu können. Wolfgang Schmidt ist nicht sein echter Name, aufgrund eines möglichen Rechtsstreits zwischen ihm und seiner Ex-Frau wurde der Name von der Redaktion geändert. Seine beiden Töchter, sieben und zwei Jahre alt, habe er seit September vergangenen Jahres kaum gesehen. Denn seine ältere Tochter habe ihrer Mutter nach einem Besuch erzählt, er sei ihr gegenüber handgreiflich geworden. Das bestreitet der 42-Jährige. Doch seitdem dürfe er die Töchter nicht mehr zu sich nehmen. Es sei denn, die Mutter finde keine andere Kinderbetreuung. Gerade ist Schmidt mit dem Jugendamt in Kontakt, es geht um beaufsichtigte Treffen mit seinen Kindern.

Eigentlich teilen sich Schmidt und seine Ex-Frau das Sorgerecht, doch er scheut sich davor, vor Gericht zu ziehen: „Damit habe ich keine guten Erfahrungen gemacht.“ Schon bei der Entscheidung zum Unterhalt hatte er das Gefühl, dass seine Seite weniger zählte als die der Mutter. Die Kommunikation zwischen ihnen sei schlecht gewesen. „Es war ihr Weg, alles andere galt nicht“, erzählt er. Deswegen habe er alles in sich reingefressen – bis er explodierte. Dann gab es Streit, bei dem er mal gegen die Tür trat, mal den Mülleimer durch die Gegend pfefferte. „Das war aggressives Verhalten von mir, das war nicht richtig“, sagt Schmidt heute. Seit Anfang des Jahres spricht er mit Höges über seine Wut, woher diese eigentlich stammt und wie er besser damit umgehen kann.

Dass er sich in seiner Rolle als Vater nicht so gefestigt fühlt, zeigt auch, dass er schon kurz nach der Trennung nur eingeschränkten Kontakt zu seinen Kindern hatte. Er sah sie alle zwei Wochenenden für einige Stunden. „Die Mutter hat gesagt, das sei am besten so“, sagt Schmidt und fügt wie selbstverständlich hinzu: „Ich persönlich weiß ja nicht, was für die Kinder am besten ist. Natürlich möchte ich jeden Tag meine Kinder sehen und erleben.“ Das sei wegen des Verhältnisses zur Mutter aber nicht möglich.

Auch Schmidt spricht zum ersten Mal überhaupt über seine Gefühle. Enge Männerfreundschaften, in denen er über seine Beziehungsprobleme sprechen könnte, habe er nicht. Mit dem Männerberater analysiert er Situationen, in denen er aggressiv reagiert hat und entwirft Alternativen, wie es besser laufen könnte. Er hofft, dass er durch die Beratung seine Kinder wieder sehen kann, ohne sein Sorgerecht vor Gericht durchsetzen zu müssen.

Zu Manfred Höges kommen Männer, die sich ändern wollen. „Ich will nicht werden wie mein Vater“, sei ein Satz, den er häufig höre. Doch auch er bemerkt schon einen Unterschied, zwischen Männern, die zwischen 40 und 60 Jahren alt sind, und Männern in ihren Zwanzigern und Dreißigern. „Ich beobachte, dass jüngere Männer, im Vergleich zu älteren, deutliche Vorteile mitbringen. Sie sprechen offener über persönliche Themen und haben weniger Hemmungen, auch über Gefühle zu reden. Für sie ist emotionale Sprache oft selbstverständlicher – sie setzen sich hin und erzählen, was in ihnen vorgeht, ohne sich dafür zu schämen.“