Abstimmung im Abgeordnetenhaus
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Berliner Verwaltungsreform nimmt erste große Hürde
Do 26.06.25 | 21:25 Uhr | Von Jan Menzel
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Audio: rbb24 Inforadio | 26.06.2025 | Jan Menzel | Bild: dpa/Sebastian Gollnow
Seit Jahrzehnten haben Senate versucht, das Zuständigkeitsdickicht zwischen Land und Bezirken zu lichten. Kai Wegner konnte die Opposition für eine Änderung der Verfassung gewinnen. Die Abstimmung am Donnerstag ist aber nur ein erster Schritt. Von Jan Menzel
Es ist schon etwas Besonderes, wenn vier Fraktionen im Abgeordnetenhaus eine gemeinsame Erklärung abgeben, noch dazu, wenn Regierungskoalition und Opposition unisono das gemeinsame Werk loben.
Während die Linken-Fraktionsvorsitzenden Anne Helm und Tobias Schulze die Chance für eine „neue Verwaltungskultur und gute Arbeitsabläufe“ erkennen, spricht SPD-Fraktionschef Raed Saleh von einer „guten Einigung“. Die grüne Fraktions-Doppelspitze aus Bettina Jarasch und Werner Graf lobt einen „wichtigen Schritt zu einer funktionierenden Verwaltung“ und CDU-Fraktionschef Dirk Stettner sieht gar einen „historischen“ Durchbruch.
Tatsächlich ist der schwarz-rote Senat bei der Verwaltungsmodernisierung so weit gekommen, wie keiner der Vorgängersenate. Schon vor über 20 Jahren hatte eine Expertenkommission unter Leitung des ehemaligen Senators und Kurzzeit-Verteidigungsministers Rupert Scholz (CDU) Vorschläge für eine „Staatsaufgabenkritik“ erarbeitet. In rot-grün-roten Regierungszeiten machte sich Frank Nägele (SPD) als Staatssekretär für Verwaltungsreform an die Mammutaufgabe. Zuletzt lieferte Ralf Kleindiek (ebenfalls SPD) als Chief Digital Officer der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wichtige Vorarbeiten.
Kai Wegner konnte hier unmittelbar aufsetzen und erklärte, kaum im Amt, die Verwaltung zu seiner Chefsache. Maßgeblich geholfen hat ihm seine Digitalisierungsstaatssekretärin Martina Klement (CSU), die unaufgeregt und effizient die Prozesse im Hintergrund organisierte und dafür auch von der Opposition ausdrücklich gelobt wurde. Der Regierende Bürgermeister strebte dabei von Anfang an den großen Wurf an, inklusive der Änderung der Landesverfassung.
Dafür suchte er demonstrativ und auf Augenhöhe das Gespräch mit den Grünen, die in fünf Bezirken das Sagen haben. Pragmatisch-unideologisch band Wegner auch die Linken-Fraktion in den Prozess ein und hatte dabei immer im Blick, dass es für weitreichende Reformen die notwendige Mehrheit im Parlament braucht. Dass die im Abgeordnetenhaus am Donnerstag steht, ist sicher. Zusammen kommen CDU, SPD, Grüne und Linke auf 141 von 159 Sitzen – deutlich mehr als die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.
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14-Tage-Ziel bei Bürgeramtsterminen nicht erreicht
Doch unmittelbar spürbare Auswirkungen werden weder die Verfassungsänderung noch das Verwaltungsstrukturreformgesetz auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger haben. Wer beispielsweise auf schnellere Bearbeitungszeiten beim Wohngeld hofft oder endlich innerhalb von 14 Tagen einen Termin beim Bürgeramt buchen möchte, wird sich weiter gedulden müssen, zumal der Regierende Bürgermeister das 14-Tage-Ziel schon im vergangenen Sommer kassiert hatte.
Wirtschaftsverbände, die Stiftung Zukunft Berlin sowie Bezirks- und Landespolitiker verschiedener Parteien sind dennoch überzeugt, dass das Reformpaket die Grundlage dafür ist, die zweistufige Berliner Verwaltung fit für die Zukunft zu machen. So werden mit den Gesetzesänderungen die Aufgaben der Ebenen präziser definiert. Während Senatsverwaltungen vor allem die gesamtstädtische Steuerung wahrnehmen und ein klar geregeltes Eingriffsrecht erhalten sollen, werden die Bezirke bei der praktischen Durchführung von Aufgaben vor Ort gestärkt.
Außerdem wird in der Verfassung festgeschrieben, dass die Bezirke frühzeitig in die Entscheidungsfindung auf Senatsebene eingebunden werden müssen, auch um ihre Expertise zu nutzen. Besonders wichtig war den Bezirksvertretern aber eine Regelung, wer die Kosten neu hinzukommender öffentlicher Aufgaben zu tragen hat. In der Vergangenheit hatten die Rathauschefs in den Bezirken immer wieder moniert, dass sie neue Zuständigkeiten übergeholfen bekommen, ohne dafür mit mehr Geld oder Personal ausgestattet zu werden. In der Verfassung wird das Prinzip „Wer bestellt, zahlt“ verankert.
Bis zuletzt umstritten war in den Verhandlungen, wer bei Konflikten zwischen Senat und den Bezirken das letzte Wort haben soll. Vorgesehen ist nun eine Einigungsstelle. Senat und Rat der Bürgermeister benennen jeweils drei Mitglieder. Sie sollen immer zu Beginn einer Legislaturperiode vom Abgeordnetenhaus gewählt werden. Das war insbesondere der Innenverwaltung wichtig, die darauf gedrungen hatte, dass die Mitglieder ausreichend demokratisch legitimiert sein müssen.
Zusätzlich wurde in den Schlussverhandlungen der vier beteiligten Fraktionen CDU, SPD, Grüne und Linke vereinbart, dass der Senat sich im Einzelfall bei bedeutenden rechtlichen Einwänden oder wenn „erhebliche Gesamtinteressen Berlins“ beeinträchtigt sind, über das Votum der Einigungsstelle hinwegsetzen darf.
Mit der Verfassungsänderung wird auch festgelegt, dass sämtliche Behörden-Aufgaben in einem Zuständigkeitskatalog erfasst und klar einer Ebene oder Stelle zugeordnet werden. Das muss noch in Form einer Rechtsverordnung durch den Senat oder durch ein Gesetz erfolgen. Außerdem soll das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz durch ein neues Landesorganisationsgesetz abgelöst werden.
Angesichts knapper Kassen und des sich mutmaßlich weiter verschärfenden Personalmangels im Öffentlichen Dienst stehen zudem Leistungen, die die Verwaltung jetzt noch erbringt, auf dem Prüfstand. „Welche Aufgaben brauchen wir noch? Und welche Aufgaben könnte man anders oder digital erledigen?“, fragt Digitalisierungsstaatssekretärin Klement und macht deutlich: „Wir werden auch Aufgaben streichen.“
Abgeordnete, die die Prozesse der vergangenen Monate intensiv begleitet haben, sprechen daher nicht ohne Grund davon, dass die Reform noch „mit Leben“ gefüllt werden muss. Und auch Martina Klement, die Digitalisierungsstaatssekretärin, macht sich keine Illusionen: „Eine Verwaltungsreform ist allerdings eine Daueraufgabe – und nie komplett abgeschlossen.“
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.05.2025, 07:00 Uhr
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