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Stand: 27.06.2025 05:00 Uhr

Ein bundeseigenes Unternehmen kauft weiter große Mengen russisches Flüssigerdgas – in diesem Jahr für mehr als zwei Milliarden Euro. Das zeigen SWR-Recherchen. Kritiker sprechen von skandalösen Geschäften, die Russlands Kriegskasse füllen.

Sie heißen „Nikolay Zubov“, „Boris Davydov“ oder „Fedor Litke“. Sie sind Teil einer ganzen Flotte von LNG-Tankschiffen, die unentwegt zwischen Russland und der EU hin und her fahren. Per Satellit kann man sie lückenlos beobachten. Jeder einzelne Tanker transportiert pro Fahrt rund 175.000 Kubikmeter Flüssigerdgas (LNG), was in etwa 100 Millionen Kubikmetern Erdgas entspricht – Gegenwert: rund 40 Millionen Euro.

Viele der LNG-Tanker gehörten ursprünglich zur russischen Staatsreederei „Sovcomflot“ und wurden dann meist von griechischen Reedern übernommen. In deren Auftrag transportieren die Schiffe jetzt LNG in großen Mengen vom sibirischen Hafen in Sabetta zu den LNG-Terminals in Dünkirchen/Frankreich, Zeebrugge/Belgien oder Bilbao/Spanien – jede Woche erreichen mehrere Tanker mit russischem LNG die EU-Häfen. Per Pipeline wird es von den Hafen-Terminals ins europäische Gasnetz eingespeist – und damit auch nach Deutschland.

Russisches LNG für zwei Milliarden Euro

Dem SWR liegen zum Thema „russisches LNG“ mehrere Bundestagsanfragen der Linksfraktion vor. Laut Antwort der Bundesregierung wird das deutsche Energieunternehmen „SEFE“ im Jahr 2025 rund 50 LNG-Lieferungen aus Russland erhalten. Das entspricht, je nach Marktpreis, einem Gegenwert von mindestens zwei Milliarden Euro. Das Berliner Unternehmen „SEFE“, das bis 2022 noch „Gazprom Germania GmbH“ hieß, wurde zwischenzeitlich vom Bund übernommen. Handelspartner auf russischer Seite ist das LNG-Unternehmen Novatek.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die russischen LNG-Importe in die EU sehr deutlich: „Wir brauchen ein Importverbot für russisches LNG, denn die Stückel-Sanktionen haben es bis jetzt nicht vermocht, diese Einnahmequelle abzuschneiden. Ganz im Gegenteil: Einnahmen aus russischen LNG-Lieferungen sind auf einem Rekordhoch“, so der DUH-Gasexperte Julian Schwartzkopff.

Auf Anfrage des SWR teilt das Unternehmen „SEFE“ mit, dass man sich an die bestehenden Gasverträge mit Russland rechtlich gebunden sehe: „SEFE bezieht russisches LNG ausschließlich im Rahmen eines bestehenden, nicht kündbaren Altvertrags.“

Genau das sei schwer zu ertragen, findet der linke Bundestagsabgeordnete Christian Görke: „Diese Art Verträge aus der Zeit der letzten GroKo sind wie Pest und Cholera, geradezu eine Lizenz zum Gelddrucken für den militärisch-industriellen Komplex in Russland. Es gibt kurzfristig zum Kauf dieses LNG keine Alternative, denn nimmt man das gekaufte Gas nicht ab, zahlt man trotzdem. Mit der Folge: Die Russen verkaufen es noch einmal auf dem Weltmarkt.“

Geschäfte mit Putins Partnern

Der russische Gas-Konzern Novatek ist Betreiber der LNG-Anlagen in Sibirien, von der Förderung bis zum Transport samt Terminals zur Verflüssigung des Erdgases. Mehr als 25 Milliarden Dollar wurden in der Region Sabetta investiert, um die LNG-Förderung massiv auszubauen – unter Mithilfe des russischen Staates. Bei den feierlichen Eröffnungen der Produktionsstätten ist Wladimir Putin stets in vorderster Front zu sehen, neben seinem engen Vertrauten, dem Oligarchen Leonid Viktorovich Mikhelson, CEO von Novatek.

Großaktionär von Novatek ist der Oligarch und Putinvertraute Gennadi Timtschenko. Dieser finanziert und kontrolliert laut russischen Medienberichten die russische Söldnerarmee „Redut“, die unter anderem in Syrien und der Ukraine gekämpft hat.

Die Nähe von Novatek zu Putin sei bekannt, berichtet dem SWR ein langjähriger russischer Gashändler, der anonym bleiben möchte: „Novatek ist zwar kein vom russischen Staat kontrollierter Konzern, gehört aber mehrheitlich dem Putin nahen Oligarchen Timchenko, der war zusammen mit Putin beim KGB. Alle Informationen über Novatek und deren Mehrheitsaktionäre sind frei zugänglich. Den SEFE-Verantwortlichen muss bewusst sein, was sie da machen.“

Noch keine EU-Sanktionen gegen russisches LNG

Putin hat sich in den letzten Jahren immer wieder persönlich für den Ausbau der russischen LNG-Kapazitäten eingesetzt. Der Lebensgefährte von Putins Tochter Maria Vorontsova leitet einen Unternehmemsbereich bei Novatek.

Die USA, Kanada, Großbritannien oder Australien haben längst gehandelt und die Firma unter Sanktionen gestellt, samt der kompletten Führungsriege um Mikhelson. Anders – die EU. Bisher werden weder Novatek noch russisches LNG sanktioniert.

Daher sind auch die russischen LNG-Transporte per Schiff derzeit nicht verboten, teilt das Unternehmen „SEFE“ mit: „Da die EU bis dato keine Sanktionen auf russisches LNG verhängt hat, gibt es für SEFE derzeit keine rechtliche Grundlage, um den Vertrag zu kündigen. Dementsprechend entbinden Sanktionen gegen Personen, die mit Novatek in Verbindung stehen, SEFE nicht von der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen.“

Mehr Geld für die russischen Kriegskassen

Kritiker beklagen, dass der Gashandel mit Russland Putin viele Milliarden an Steuereinnahmen beschert. DUH-Experte Schwartzkopff findet das inakzeptabel: „SEFE trägt stark zu den wachsenden Einnahmen Russlands aus dem LNG-Handel bei, der mehr Geld in die russischen Kriegskassen spült als die Ukraine an humanitärer Hilfe erhält. In Zeiten, in denen der russische Krieg gegen die Ukraine immer brutaler wird, darf die Bundesregierung nicht wegsehen. Wir fordern, die indirekte Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine durch SEFE unverzüglich zu stoppen.“

Auch die Energie-Analysten beim finnischen Think Tank „Centre for Research an Energy and Clean Air (CREA)“ warnen unentwegt vor dem Unternehmen. Novatek sei tief verflochten mit dem russischen Staat, erklärt Energie-Experte Petras Katinas gegenüber dem SWR: „Novateks Gas wird an EU-Unternehmen verkauft, und die Gewinne werden mit 34 Prozent besteuert. Die Hälfte davon fließt in den Staatshaushalt, der direkt den Einnahmen zur Kriegsfinanzierung zugerechnet wird. Über diese Struktur finanziert der LNG-Handel aktiv die russische Aggression gegen die Ukraine.“

Eine Zukunft ohne Russland?

Die EU hat angekündigt, bis 2027 „unabhängig von russischem Gas“ werden zu wollen. Dann könnten auch Altverträge, wie die zwischen SEFE und Novatek, gekündigt werden, teilt SEFE mit: „Im Rahmen des Phase-out-Plans der EU-Kommission ist eine Beendigung bestehender Verträge geplant, die zum 1. Januar 2028 in Kraft treten soll.“

Das Bundeswirtschaftsministerium teilt auf Anfrage des SWR mit, dass man die EU-Bemühungen unterstütze, „die Energieimporte weiter zu diversifizieren und insbesondere die Einfuhr russischer fossiler Brennstoffe schrittweise zu beenden. Das ist wichtig, um einseitige Abhängigkeiten weiter zu verringern und keinen Beitrag mehr zur Finanzierung des Krieges zu leisten.“ Dabei müssten aber „Versorgungssicherheit und Preisstabilität“ stets im Blick gehalten werden.