Brüssel (Reuters) – Der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zufolge hat die EU einen neuen Vorschlag der USA für eine Einigung im Zollstreit erhalten.

„Unsere Botschaft heute ist klar. Wir sind bereit für eine Einigung. Gleichzeitig bereiten wir uns auf die Möglichkeit vor, dass keine zufriedenstellende Einigung erzielt wird“, sagte von der Leyen am späten Donnerstagabend vor Reportern nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Der Vorschlag werde nun bewertet. Alle Optionen lägen nach wie vor auf dem Tisch und die EU werde die europäischen Interessen falls erforderlich verteidigen, so die Kommissionspräsidentin. Das Büro des US-Handelsbeauftragten reagierte nicht sofort auf eine Anfrage nach einem Kommentar zum jüngsten US-Vorschlag.

Dass die USA einen neuen Vorschlag vorgelegt haben, wurde bereits vor der offiziellen Bestätigung durch die Kommissionspräsidentin in EU-Diplomatenkreisen diskutiert. Ursula von der Leyen hatte demnach den 27 EU-Staats- und Regierungschefs die jüngsten Vorschläge der USA während eines gemeinsamen Abendessens auf dem EU-Gipfel in Brüssel skizziert. Auf dem Gipfel wurde beraten, mit welcher Strategie die EU-Kommission in die finalen Gespräche mit der US-Regierung gehen soll, um eine Eskalation des Zollstreits nach Ablauf der Frist am 9. Juli noch abzuwenden.

MERZ WILL SCHNELLEN ABSCHLUSS – MACRON POCHT AUF FAIRNESS

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) drängte nach eigenen Angaben darauf, nach dem neuen Vorschlag der USA einen schnellen Abschluss eines Zollabkommens zu vereinbaren. „Ich habe … darauf gedrängt, dass man es jetzt nicht zu kompliziert macht“, sagte Merz am Donnerstagabend in Brüssel. „Wir haben bis zum 9. Juli noch weniger als zwei Wochen Zeit und da kann man nicht ein ausgefeiltes Handelsabkommen verabreden“, fügte er hinzu. „Ich habe deswegen auch mit den Kollegen zusammen gesagt, lasst uns jetzt bitte schnell zu einer Lösung kommen“, betonte Merz mit Blick auf das Verhandlungsmandat der EU-Kommission. Er habe unter anderem auch auf einzelne Industrien hingewiesen, die in Deutschland wichtig seien, wie die chemische Industrie, die Pharmabranche, den Maschinenbau, Stahl, Aluminium und die Automobilindustrie. „Die werden zurzeit alle mit so hohen Zöllen belastet, was die Unternehmen wirklich gefährdet. Und deswegen lieber jetzt schnell und einfach als langsam und hochkomplex“, sagte der Kanzler und fügte hinzu: „Und darüber sind wir uns auch alle einig gewesen.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte dagegen, dass er zwar ein schnelles und pragmatisches Handelsabkommen mit den USA anstrebe, sein Land aber keine unausgewogenen Bedingungen akzeptieren werde. Alle Hebel müssten in Bewegung gesetzt werden, um ein faires Abkommen zu gewährleisten, sagte der französische Präsident nach einem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs vor Reportern in Brüssel. „Unser guter Wille sollte nicht als Schwäche angesehen werden“, sagte Macron. Wenn der US-Grundzollsatz von zehn Prozent bestehen bleibe, müsse die europäische Antwort eine gleichwertige Wirkung haben, fügte er hinzu.

US-FRIST LÄUFT AUS – BESSENT STELLT VERLÄNGERUNG IN AUSSICHT

Die von US-Präsident Donald Trump gesetzte Frist vom 9. Juli, bis zu der die EU und andere Länder ein Abkommen zur Senkung der Zölle mit den USA abschließen müssen, rückt immer näher. Nach den von Trump im April angekündigten reziproken Zöllen würde sich der vorübergehende Zusatzzoll von zehn Prozent auf 20 Prozent verdoppeln, wenn bis zu diesem Termin keine Einigung erzielt wird. US-Finanzminister Scott Bessent hatte erklärt, dass die Verhandlungsfristen für einige Länder, die mit besten Absichten verhandelten, verlängert werden könnten. Mehrere Insider, die mit den Gesprächen über die Zollvereinbarungen der EU vertraut sind, sagten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass sich viele Staats- und Regierungschefs zunehmend damit abgefunden hätten, dass ein Satz von zehn Prozent auf gegenseitige Zölle die Grundlage für jedes Handelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union sein wird. Aber die EU ist auch mit Trumps 25-prozentigen Zöllen auf Autos, Stahl und Aluminium konfrontiert und könnte mit zusätzlichen sektoralen Zöllen auf Halbleiter und Pharmazeutika konfrontiert werden.

EU-KOMMISSION STELLT ALTERNATIVE ZU WTO ZUR DEBATTE

Neben den Gesprächen zum neuen Vorschlag der USA zur Einigung im Zollstreit mit der EU hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch ein weiteres Thema zur Debatte gestellt. Sie sieht in der Zusammenarbeit mit den Ländern des pazifischen Raums eine Grundlage für die Neugestaltung der Welthandelsorganisation (WTO). „Die asiatischen Länder wollen eine strukturierte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, und die Europäische Union will dasselbe. Deshalb habe ich gesagt, dass wir darüber nachdenken können, wie wir die WTO neu gestalten können“, sagte sie auf einer Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Von der Leyen bezog sich dabei auf die Zusammenarbeit mit dem CPTPP, einem Handelsbund von elf Ländern, darunter Australien, Kanada, Chile und Singapur.

„Die Kommissionspräsidentin hat von sich aus angesprochen, ob wir nicht als Europäer eine neue Art von Handelsorganisation auf den Weg bringen sollten, die das schrittweise ersetzt, was wir mit der WTO heute nicht mehr haben“, kommentierte Kanzler Friedrich Merz den Vorschlag. Die WTO funktioniere nicht mehr, schon weil die USA die Richter an den Schiedsgerichten seit Jahren nicht mehr besetzt hätten, so Merz. „Das wäre eine Initiative, die von der Europäischen Kommission ausgeht, in Zukunft Handelsabkommen auch so abzuschließen, dass sie in einen größeren Rahmen eingebettet werden“, fügte der Kanzler auf Nachfrage hinzu. Man stehe mit dieser Idee ganz am Anfang. „Aber wenn die WTO so funktionsunfähig ist, wie sie es schon seit Jahren ist und offensichtlich bleibt, da müssen wir uns als diejenigen, die den freien Handel unverändert für richtig halten, etwas anderes einfallen lassen“, betonte Merz. Er habe dieses Thema auch mit dem britischen Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besprochen. Man brauche funktionierende Streitbeilegungsmechanismen.

(Bericht von Andreas Rinke und Philip Blenkinsop, geschrieben von Alexandra Falk. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)