Wird der Ministerpräsident diesmal wirklich persönlich kommen, oder schickt er wieder eine Videobotschaft wie im Januar 2023? Damals galt es, 500 Jahre Bayerisches Staatsorchester zu feiern, Markus Söder zog es aber vor, zur selben Zeit einem Komödianten von hoher lokaler Bekanntheit in einen Örtchen in Unterfranken einen Orden zu verleihen.
Unter den Stammgästen der Oper ist dies die meistgestellte Frage bevor es losgeht im Nationaltheater. Nicht wenige aus dem Publikum von damals, sitzen nun wieder auf den rosaroten Samt-Sitzen und erinnerten sich: Als Söder seinerzeit von der Leinwand herab dann auch noch eine Fußballanalogie gezogen und das Staatsorchester mit dem FC Bayern verglichen hatte, da waren sogar laute Buh-Rufe aus den Rängen zu vernehmen gewesen. Und Markus Blume, der Kunstminister, hatte seine liebe Mühe, die schlechte Stimmung wieder einzufangen.
An diesem Abend aber läuft die Sache anders. Ob es der Anwesenheit von Christine Lagarde, der Chefin der Europäischen Zentralbank, zu verdanken ist oder ein Akt der Wiedergutmachung an der Münchner Gesellschaft samt Sponsoren, Musikern und den Mitarbeitern der Oper: Söder erscheint zum Festakt „150 Jahre Münchner Opernfestspiele“.
Und am Ende wird sich der Abend für alle gelohnt haben: Für Christine Lagarde, die als Ehrengast in ihrer Festansprache für die Kultur als die wichtigste gemeinsame Währung Europas wirbt. Für das kunstaffine Publikum, das nicht nur ein glamouröses konzertant aufgeführtes Rahmenprogramm mit Arien von Händel und Purcell erlebt, sondern auch noch ein interessantes Versprechen seines Ministerpräsidenten mit nach Hause nehmen kann. Und Markus Söder selbst, der ob dieses Versprechens ein Lob von Lagarde erhält.
Bevor es so weit ist, macht er noch einige Scherze über sich und andere. Etwa diesen: „Von Angela Merkel habe ich die Verpflichtung bekommen, ich müsse Wagnerianer werden.“ Kunstpause. „Ich bin auf dem Weg.“ Christine Lagarde nennt er die „zweitmächtigste Frau der Welt“, und zitiert dabei das Wirtschaftsmagazin Forbes, frotzelt aber dann weiter: „Im nächsten Jahr holen wir die mächtigste.“
Nicht alle im Saal lachen, aber offenbar ausreichend viele, dass sich Bayerns Ministerpräsidenten zu einem Versprechen hinreißen lässt, das jetzt doch alle ernst nehmen wollen. Der Kunstminister habe zwar „einen schweren Stand gegenüber dem Finanzminister“, sagt Söder. Von der „Kunstmilliarde“, die Bayern in seinem Haushalt fest verbucht habe, werde man jedoch nicht wieder abweichen. Krise hin oder her – gekürzt werde der Kulturetat nicht.
Der Intendant der Bayerischen Staatsoper Serge Dorny, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde, und Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) stehen vor dem Festakt zum 150-jährigen Bestehen der Bayerischen Staatsoper im Nationaltheater. (Foto: Geoffroy Schied)
Angesichts der vielen Grausamkeiten, die Finanznot leidende Städte wie Berlin aber eben auch München oder Nürnberg in jüngster Zeit verkündet haben, brandet erst ungläubiger, dann begeisterter Beifall auf im Saal. Noch mehr dürfte Markus Söder gefallen, was Christine Lagarde später auf der Bühne sagt. Die Chefin der Europäischen Zentralbank unterbricht ihre wohlgesetzten Worte über den langen Weg der Künste Europas von der Odyssee aus dem alten Griechenland bis auf ebendiese Bühne des Nationaltheaters für einen Moment.
Sie wendet sich Söder zu, der in der ersten Reihe vor ihr sitzt: „Danke für Ihr Versprechen.“ Sie bezieht sich darauf, die Finanzmittel der Kultur nicht zu kürzen. „Und das tue ich nicht etwa, weil ich mich um einen Job bei Ihnen bewerbe“, ergänzt sie. Dann fährt sie fort in ihrer Rede – mit einer Stimme, die so tragend ist, als wäre sie selbst ein Opernstar.
„Das Wachstum in Europa verliert an Schwung“, sagt sie. „Dadurch sinkt nach und nach der Lebensstandard“. Es möge verlockend sein, diese Herausforderungen „als rein wirtschaftlich zu betrachten – zu glauben, dass die Wettbewerbsfähigkeit nur den materiellen Wohlstand betrifft, während die Kultur in höheren Sphären beheimatet ist“. In Wirklichkeit seien das wirtschaftliche und das kulturelle Schicksal Europas eng miteinander verwoben.
Forschung zeige, dass der Zusammenhang zwischen künstlerischer Kreativität und wirtschaftlicher Innovation unverändert stark sei. „MINT-Absolventen mit künstlerischem Hintergrund melden weitaus häufiger Patente an oder gründen Start-ups“, sagt Lagarde. „Viele von ihnen nennen ihre kreative Ausbildung als direkte Inspirationsquelle“. Und zum Schluss zitiert sie auch noch Gerhard Richter. Der habe einmal gesagt: „Kunst ist die höchste Form der Hoffnung“. Und diese Hoffnung, so meint Lagarde, „findet in der zunehmend gespaltenen Welt umso mehr Widerhall“. Markus Söder ist da immer noch im Saal.