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In den ersten beiden Jahren des Ukraine-Kriegs konnte Russlands Wirtschaft westlichen Sanktionen trotzen. Nun aber wachsen die Sorgen in russischen Unternehmen.

Moskau – Seit Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 wurde Russland von zahlreichen Staaten mit Sanktionen belegt, zudem traten viele internationale Unternehmen ihren Rückzug aus dem Land an. Dennoch schien Russlands Wirtschaft die Sanktionen lange gut zu verkraften, denn der Kreml verfolgte einen Kurs, den Ökonomen als „militärischen Keynesianismus“ bezeichnen.

Putin kurbelte das Wirtschaftswachstum durch massive verteidigungsbezogene Steuerausgaben an und führte der Militärindustrie Rekordressourcen zu, was einen BIP-Anstieg von 4,3 Prozent in zwei aufeinanderfolgenden Jahren und einer Lohnerhöhung in allen kriegsbezogenen Sektoren mit sich brachte. Nachdem Russlands Wirtschaft seine Widerstandsfähigkeit lange beweisen konnte, schlagen Unternehmen nun aber flächendeckend Alarm.

Ein Drittel der russischen Unternehmen meldet starke Umsatzrückgänge

Aktuell gibt jedes dritte russische Unternehmen an, auf eine deutlich verschlechterte Geschäftslage im vergangenen Halbjahr zurückzublicken, meldet die Moscow Times ausgehend von einem Bericht, der für das Internationale Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg erstellt wurde und Forbes Russia vorliegt. Dessen Basis ist eine Umfrage vom CEO-Barometer des Beratungsunternehmens Yakov & Partners, im Zuge derer Unternehmen direkt zu ihren Handelsbilanzen befragt wurden. 

Ein riesiger Bagger in blau, weiß, roten Farben von Russlands Flagge gräbt sich ins Gestein eines Tagebaus. Daneben ist ein Foto von Wladimir Putin eingefügt.Russlands Bergbau ist eine der Branchen, die immer mehr unter den Folgen von Putins Krieg leiden. (Montage) © Ilya Naymushin/Imago/ ITAR-TASS

Demnach berichteten insgesamt 34 Prozent der von Yakov & Partners befragten Unternehmensvertreter von einer Verschlechterung ihrer ökonomischen Lage, was gegenüber Umfragen der Vorjahre eine deutliche Steigerung ist: Im Dezember 2022 gaben mit 24 Prozent deutlich weniger Unternehmen eine Verschlechterung ihrer Wirtschaftslage an, und im Mai 2024 waren es lediglich 16 Prozent. Damit ist die Stimmung zahlreicher russischer Unternehmen so pessimistisch wie noch nie seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Im Rahmen der Yakov & Partners-Umfrage gaben ein Viertel der Unternehmen an, Investitionsprojekte gestoppt oder verlangsamt zu haben, während 13 Prozent sämtliche Projekte, die sie als nicht notwendig erachten, erst einmal ausgesetzt zu haben. 

Russlands Unternehmen geben hohen Leitzins von Zentralbank als größte Hürde an

Zu den Branchen mit den gewichtigsten Umsatzrückgängen gehören in Russland der Moscow Times zufolge der Bergbau, die Schwerindustrie und die Chemieindustrie. Aber auch Unternehmen aus Russlands Öl- und Gassektor sowie aus dem Transportwesen gaben in der Umfrage an, im ersten Halbjahr schlechtere Ergebnisse eingefahren zu haben als in den vorherigen Kriegsjahren. 

Grund für die verschlechterten ökonomischen Bedingungen 2025 scheint der hohe Leitzins der russischen Zentralbank zu sein, den 42 Prozent der Befragten als aktuell hauptsächliches Hindernis ansehen. Im Vorjahresvergleich stieg die Zahl derer, die im hohen Leitzins den Grund ihres Übels sehen, um vier Prozent (2024: 38 Prozent). „Die Kapitalkosten sind zu einem zentralen Problem geworden“, heißt es in dem Bericht, und es wird darauf hingewiesen, dass die strengeren finanziellen Bedingungen langfristige Investitionsstrategien in verschiedenen Sektoren gefährden.

Russlands Unternehmen sorgen sich weniger um westliche Sanktionen als zuvor

Die Umfrage zeigte aber immer noch vorsichtige Anzeichen von der Resilienz der russischen Wirtschaft: Sechsundsechzig Prozent der befragten Unternehmensvertreter gaben an, ihre allgemeine Wirtschaftslage sei in den letzten sechs Monaten entweder stabil geblieben oder besser geworden. Zwar ist das ein deutlicher Rückgang gegenüber den 84 Prozent der im Vorjahr Befragten, dennoch aber liegt das Niveau damit immer noch nicht ganz niedrig.

Auch der Optimismus scheint Unternehmensleitern verschiedener Branchen nach wie vor relativ groß: 90 Prozent der Befragten erwarten, dass sich ihre wirtschaftlichen Bedingungen bis zum Jahresende entweder verbessern werden oder gleich bleiben. Am positivsten ist die Stimmung der Umfrage zufolge in Unternehmen aus den Branchen IT, Einzelhandel, Gesundheitswesen und Konsumgüter.

Westliche Sanktionen bereiten Russland kaum Sorgen – strukturelle Probleme schon

Wie BNE Intellinews ausgehend von der Yakov & Partners-Umfrage berichtet, scheint sich in Russland gegenwärtig weniger um westliche Sanktionen gesorgt zu werden, als vielmehr um die strukturellen ökonomischen Hürden im Land. Insbesondere der Mangel qualifizierter Arbeitskräfte auf dem Markt stellt russische Betriebe vor Sorgen, wie in der Erhebung ersichtlich wird: 48 Prozent der Befragten gab an, der Fachkräftemangel sei ihre größte Sorge.

Außenhandelsbeschränkungen nennen nur noch 20 Prozent der Führungskräfte als zentrale Herausforderung, im Jahr 2022 waren es noch 63 Prozent gewesen. Und auch die Besorgnis über geopolitische Risiken in Russland ist mit dem Verlauf des anhaltenden Ukraine-Kriegs über inzwischen mehr als drei Jahre gesunken: Nur noch 15 Prozent sehen darin aktuell ein großes Problem, während es in den ersten Monaten des Krieges in der Ukraine noch 56 Prozent gewesen waren. (fh)