Die beschlossene schrittweise Erhöhung des Mindestlohns stößt in verschiedenen Kreisen auf Kritik. Während der Bauernverband vor gravierenden Folgen für Betriebe warnt, sieht der Handelsverband Deutschland (HDE) zahlreiche Jobs gefährdet. Aus dem SPD-Arbeitnehmerflügel wird gefordert, den Mindestlohn hochzusetzen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hingegen sieht die Debatte in der schwarz-roten Koalition als beendet an. Positive Reaktionen kommen von Ökonominnen und Ökonomen.
Die Mindestlohnkommission hat der
Bundesregierung am Morgen eine Anhebung der gesetzlichen
Lohnuntergrenze auf 13,90 Euro im kommenden Jahr und auf 14,60 Euro im Jahr
2027 empfohlen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung hatten SPD und Union
formuliert, dass ein Mindestlohn in Höhe von 15 Euro im Jahr 2026 „erreichbar“ sei.
Bauernpräsident Joachim Rukwied kritisierte den Beschluss der Mindestlohnkommission. „Dieser Mindestlohn hat das Potenzial, den Anbau von Obst, Gemüse und Wein aus Deutschland zu verdrängen“, sagte er. Er warnte vor einer „weiteren Produktionsverlagerung ins Ausland“ und forderte eine Sonderregelung für Saisonkräfte.
Mindestlohn laut VdK-Präsidentin zu niedrig
HDE-Präsident Alexander von Preen sagte, die Entscheidung der Mindestlohnkommission setze im Einzelhandel „zahlreiche Stellen aufs Spiel“. Der Handelsverband kritisierte, dass die Entscheidung der Mindestlohnkommission
unter „starkem Druck aus der Politik“ getroffen worden sei.
Auch die Logistikbranche kritisierte die Mindestlohnerhöhung. In einer gemeinsamen Erklärung der Branchenverbände hieß es, der Mindestlohnanstieg löse bei angrenzenden Lohngruppen ebenfalls Erwartungen für Lohnsteigerungen aus. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung
Bauwirtschaft, sprach von „sehr ambitionierten Erhöhungen“, die eine „erhebliche Belastung“ für Betriebe darstellten und sich auf die Baukosten auswirken könnten.
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Kritik kam auch von der Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. „Ein Mindestlohn von 14,60 Euro pro Stunde ist zu wenig“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und forderte eine sofortige Anhebung auf 15 Euro. „Was sich jetzt noch nach einem guten Lohnplus anhört, ist dann kaum noch etwas wert“, da man davon ausgehen müsse, dass die Inflation wegen der Krisen und Energiepreise weiter kräftig steigen werde. Auch die Grünenpolitikerin Ricarda Lang sagte dem RND, sie halte die angekündigte Mindestlohnerhöhung für zu gering.
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Bundesarbeitsministerin Bas will Mindestlohn umsetzen
Der SPD-Arbeitnehmerflügel distanzierte sich von den Empfehlungen der Mindestlohnkommission. Die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit in der SPD, Cansel Kiziltepe, forderte, den Mindestlohn gesetzlich auf 15 Euro hochzusetzen. „Wer Vollzeit arbeitet, darf nicht aufstocken müssen oder im Alter in Armut leben.“ Die SPD hatte mit der Forderung nach 15 Euro Mindestlohn Wahlkampf gemacht.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) kündigte indes an, die vorgeschlagene Lohnuntergrenze ohne Änderungen umsetzen zu wollen. „Wir werden eine Rechtsverordnung vorlegen, und dann werden wir das beschließen“, sagte sie. „Natürlich haben wir uns mehr gewünscht für die Menschen in diesem Land.“
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf rief die Sozialdemokraten dazu auf, den Beschluss zu akzeptieren. Er rate davon ab, die Entscheidung der Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern infrage zu stellen, sagte er dem TV-Sender Phoenix.
Merz geht nach eigenen Angaben davon aus, dass es in der Koalition zu dem Thema nun keinen weiteren Diskussionsbedarf gebe. „Das ist ja der Mechanismus, den wir alle gewollt haben und den wir auch im Koalitionsvertrag noch einmal unterstrichen haben.“ Die Kommission habe ihren Vorschlag gemacht, die Bundesregierung setze das gesetzlich um – „und dann ist es entschieden“.
Ökonomen reagieren positiv auf Empfehlung
Positive Reaktionen kommen von Ökonominnen und Ökonomen. „Das ist eine kluge Entscheidung“, sagte die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, dem Spiegel. Die Erhöhung in zwei Schritten gebe der Wirtschaft die Zeit, sich anzupassen. Es seien keine starken Arbeitsmarkteffekte zu erwarten, auch wenn einzelne Jobs durch den höheren Mindestlohn bedroht sein könnten, sagte sie weiter.
„Die Einigung der Mindestlohnkommission
ist ein gutes Signal in einer Zeit, in der wir zunehmende Polarisierung
erleben“, sagte auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm den Zeitungen der Funke
Mediengruppe. Dass die Empfehlung unter der 15-Euro-Marke bleibe, zeuge von „einem gewissen Realismus“.
Auch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gab es eine positive Reaktion: „Mit dem Beweis ihrer Handlungsfähigkeit setzen die Sozialpartner der politischen Einmischung klare Grenzen“, sagte IW-Experte Hagen Lesch. Er warnte angesichts der Entwicklung der Lohnuntergrenze allerdings auch vor „einem schleichenden Verlust von einfachen Jobs“.