Die konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof will die Trump-Regierung vor «Justizmissbrauch» schützen. Er kann seine Politik nun leichter durchsetzen – und etwa das Geburtsortsbürgerrecht einschränken.

Donald Trump mit einer frisch unterschriebenen Verordnung. Donald Trump mit einer frisch unterschriebenen Verordnung.

Evan Vucci / AP

Es ist ein Triumph für Präsident Donald Trump, den er lautstark feierte: Auf der Nachrichtenplattform Truth Social nannte er das Urteil des Supreme Court im Fall Casa vs. Trump einen «monumentalen Sieg» – und an einer eilig einberufenen Medienkonferenz sagte er, die Regierung könne nun zahlreiche Entscheidungen vorantreiben, die zuvor zu Unrecht von Bundesrichtern blockiert worden seien. «Es ist eine tolle Entscheidung, mit der wir sehr glücklich sind.» Die Richter hätten sich als «Kaiser» aufgespielt, fügte Justizministerin Pam Bondi hinzu.

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Das Urteil ist tatsächlich richtungsweisend, weil es die bisherigen Kompetenzen der über 1000 Bundesrichter gegenüber der Exekutive beschneidet. Dutzende einstweilige Verfügungen hatten bisher rund 200 «executive orders» von Trump gestoppt. Einzelne Richter behinderten etwa Massenausschaffungen, Kündigungen von Beamten oder das Einfrieren von Entwicklungshilfe. Das ist nun nicht mehr möglich. Bestehende Verfügungen bleiben zwar bestehen, können aber leichter angefochten werden.

Zudem öffnet das Urteil der Regierung den Weg, das seit 150 Jahren geltende Geburtsortsprinzip («jus soli») nach eigenem Ermessen zu beschränken – ohne Verfassungs- oder Gesetzesänderung. Laut diesem Prinzip erhalten in den USA geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft – unabhängig von der Herkunft der Eltern. Mehrere Appellationsgerichte hatten eine entsprechende Präsidialverordnung als verfassungswidrig bezeichnet.

Trumps Taktik hat sich bewährt

Die Regierung ging geschickt vor: Sie stellte nicht das Bürgerrecht in den Fokus, sondern die grundsätzliche Frage, ob Bezirksrichter Regierungsbeschlüsse landesweit pausieren dürfen – wie im Fall des «executive order» zum Geburtsortsprinzip.

Trump hatte an seinem ersten Amtstag verfügt, dass nur Kinder mit Eltern, die über eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung verfügen, automatisch amerikanische Bürger werden. Das Prinzip stammt aus dem 14. Verfassungszusatz, der nach dem Bürgerkrieg befreite Sklaven einbürgern sollte. Die Regierung argumentiert, das Recht werde heute von Migranten systematisch missbraucht.

Der Supreme Court hätte über die Verfassungsmässigkeit dieser Neuinterpretation urteilen können, verzichtete jedoch darauf. Das sei «nicht der Punkt», schrieb Richterin Amy Coney Barrett in der Begründung der konservativen Mehrheit. Einstweilige Verfügungen, die landesweit gelten, überschritten laut dem Gericht die Justizbefugnisse, wie sie der Kongress vorgesehen habe. Barrett kritisierte deren inflationären Einsatz an unteren Gerichten: «Bezirksgerichte beanspruchen die Befugnis, die Durchsetzung eines Gesetzes gegenüber jedermann zu untersagen.» Das sei missbräuchlich und schade der Regierung irreparabel.

Konservative Mehrheit setzt sich durch

Der neunköpfige Supreme Court war entlang der ideologischen Linien 6:3 gespalten: Die konservativen Richter gaben der Trump-Regierung recht, die linksliberale Richterin Sonia Sotomayor schrieb eine scharfe Gegenmeinung, der sich die Richterinnen Kagan und Jackson anschlossen. Sotomayor sieht das Fundament der amerikanischen Rechtsordnung in Gefahr, denn in Zukunft sei kein Bürgerrecht in den USA sicher vor dem Übergriff der Exekutive: Diesmal gehe es ums «birthright citizenship», das nächste Mal um die Religionsfreiheit oder das Recht, Waffen zu besitzen. «Weil ich mich nicht mitschuldig an einem so schwerwiegenden Angriff auf unser Rechtssystem machen will, widerspreche ich», schrieb sie in ihrer scharfen Entgegnung.

Die konservative Mehrheit ignorierte die Warnung, dass die Justiz das einzige schnelle Mittel verliert, eine verfassungsbrüchige Regierung zu stoppen. Coney Barrett argumentierte, die unteren Gerichte hätten sich politisieren lassen, es gebe genügend Rechtsmittel für Geschädigte, um eine Rechtsverletzung einzuklagen. Richter Brett Kavanaugh nannte in einer separaten Meinungsäusserung Gruppenklagen als möglichen Weg. In «class actions» repräsentiert eine Gruppe Kläger eine grössere Gruppe Geschädigter. Solche Klagen waren in der Vergangenheit erfolgreich, aber aufwendig und kostspielig.

Das Geburtsortsprinzip wackelt

Wie auch schon beim umstrittenen Immunitätsurteil und bei der Abschaffung der Abtreibungsfreiheit zeigt sich die konservative Mehrheit des Supreme Court bereit, eine lang etablierte Rechtspraxis zu ändern – oder lässt dies in der Frage des «birthright citizenship» mindestens zu. Zwar erstrecken die Richter die Frist für die Umsetzung der entsprechenden Verordnung um 30 Tage – doch danach dürfte die Regierung versuchen, den ersten in den USA Neugeborenen das automatische Bürgerrecht zu verwehren. Es ist wahrscheinlich, dass das Thema bald wieder vor dem Supreme Court landet.

Einen Umsetzungsplan gibt es offiziell nicht. Als ein Journalist die Justizministerin fragte, ob Krankenschwestern und Ärzte für die Prüfung zuständig sein würden, blieb Pam Bondi eine Antwort schuldig. Auch die konservativen Richter äusserten Bedenken, dass Einschränkungen beim «birthright citizenship» Chaos verursachen könnten. Doch das Ziel, eine politisierte Justiz zu zügeln, wog für sie offenbar schwerer.