Die Etrusker gehen den Römern zeitlich unmittelbar voraus, sie siedelten auf Gebieten, die alsbald römisches Kernland wurden, und doch wusste man lange Zeit kaum etwas von ihnen. Noch vor wenigen Jahrzehnten galten sie manchen Historikern als „Mythos“, als ein Volk, das „außerhalb von Raum und Zeit gelebt“ habe.

Das ist nun wahrlich der Stand von vorgestern. Gleichwohl hat es lange gedauert, bis die Etrusker in ihren kulturellen Leistungen erkannt wurden. Und nun trat vor wenigen Jahren, dem Zufall sei Dank, ein gewichtiges Konvolut an Fundstücken zutage, das die Kenntnis von diesem nicht untergegangenen, sondern in den ihnen folgenden Römern quasi aufgelösten Volk erheblich vertieft und weiter vertiefen wird.

Hunderte von Münzen

In dem südtoskanischen Badeort San Casciano dei Bagni wurde 2022 und 2024 in Grabungskampagnen ein antikes Bad erschlossen, in dessen Schwefelschlamm sich gleich ein ganzes Dutzend an Bronzeskulpturen vorzüglich erhalten hat, dazu Hunderte von Kleinobjekten und darunter vor allem Münzen. Der Fund belegt nicht nur die über sehr lange Zeiträume sich erstreckende Nutzung dieser Heilquelle, sondern zugleich den hohen kulturellen Rang derer, die sich dorthin zu Linderung und Gesundung begaben, verbunden mit rituellen Handlungen, mit Weihen und Opferungen.

Luftbild des Grabungsgeländes in San Casciano, rechts ein bis heute genutztes Thermalbecken

© Ludovico Salerno

Lebensgroße Figuren wurden geborgen, etwa ein bogenschießender Apoll, aber auch ein als schwerkrank bezeichneter und daher Heilung suchender junger Mann. Oder die Büste einer vornehmen Dame mit kunstvoller Frisur. Jüngst kam die Bronze eines Kind mit einem beweglichen Ball hinzu. 15 der großen Bronzen werden nun in Berlin zu sehen sein, in der dafür bestens ausgestatteten James-Simon-Galerie, dazu etliche der kleineren Funde. Es ist dies die einzige Station der zuvor an drei Orten in Italien gezeigten Ausstellung, und sie ist hier am passenden Ort.

Bereits 1844 gab es hier ein „Etuskisches Cabinet“

Denn bereits 1844 eröffnete im Alten Museum ein „Etruskisches Cabinet“. Weit jüngeren Datums ist die große Ausstellung „Die Etrusker und Europa“, die die Staatlichen Museen in Schinkels Bildungstempel Anfang 1993 eröffneten, und mit der, so der damalige Antikendirektor Wolf-Dieter Heilmeyer, die Mittlerfunktion der Etrusker zwischen hellenischem Orient, italischem Umfeld und keltischem Okzident herausgestellt werden sollte.

Statt des Ausgreifens in europäische Weiten konzentriert sich die Ausstellung „Die Bronzen von San Casciano“ auf diesen einen Ort, an dem das Rätsel der Etrusker studiert werden kann: das allmähliche Aufgehen im römischen Nachbarn. Denn die Inschriften zu Statuen und Votivgaben sind zweisprachig abgefasst, in etruskisch und lateinisch, und künden so vom fortlebenden Gebrauch der älteren Sprache. Wohlhabende Familien fanden sich an den Thermalquellen ein, aus den etruskischen Kernlanden bis hinauf zum heutigen Siena.

Die Auffindungssituation der Statue eines schwerkranken Mannes

© Emanuele Mariotti

Dass Angehörige dieser bedeutenden Familien in römische Ämter aufstiegen, ist hinlänglich bekannt, die Römer selbst haben die Wählbarkeit für hohe Ämter bejaht: Integration durch Assimilation. Rom, so sagte es Heilmeyer seinerzeit, sei dadurch groß geworden, daß es alieni et externi aufgenommen habe, Fremde und Auswärtige. Aber so fremd waren sie ja gar nicht. Sie huldigten denselben Göttern, mochten die Namen auch differieren; und sie kamen in derselben Hoffnung auf Heilung, womöglich auch auf Fruchtbarkeit im Falle kinderloser Paare.

Zur Ausstellung

„Die Bronzen von San Casciano“ eröffnet am 5. Juli in der James-Simon-Galerie und läuft bis 12. Oktober, Di-So 10-18 Uhr, smb.museum

Bislang stützte sich die Kenntnis von den Etruskern vorwiegend auf ihre weitläufigen Nekropolen, nicht aber auf ihr tägliches Leben. Und dann das Material Bronze: Auch das war jedenfalls im hier vorgefundenen Umfang nicht mit den Etruskern assoziiert, die ihre Figuren und Grabbeigaben in Terrakotta auszuführen pflegten. Die jetzt gefundenen Bronzen zeigen enorme Kunstfertigkeit im Umgang mit dem anspruchsvollen Material, und ihre Erhaltung verdankt sich der luftdichten Einschließung im Schlamm. Aufgegeben wurde diese Stätte regen religiösen Betriebs erst in der christlichen Spätantike, und die Bronzen blieben sich selbst überlassen.

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Klärung erhoffen sich die Wissenschaftler bei einer ganzen Reihe von Fragestellungen, die alle um diesen historisch beispiellosen, „sanften“ Übergang von der etruskischen zur römischen Kultur kreisen: „Wer waren die Gottheiten? Wie trat die lokale Bevölkerung mit ihnen in Kontakt? Welche Bevölkerungsschichten besuchten das Heiligtum? Was waren ihre Anliegen? Wie lange war die etruskische Sprache in Italien noch in Gebrauch?“

Das sind Leitfragen, die die Antikensammlung der Staatlichen Museen formuliert hat. Über die Aktualität, die in der Antike steckt, braucht man kaum zu richten: Sie liegt auf der Hand. Denn dass der Fundort sich in unmittelbarer Nachbarschaft eines bis heute genutzten Thermalbeckens befindet, gibt dem ganzen fast so etwas wie Zeitgenossenschaft