Die Vereinbarkeit von Kinderwunsch und Autonomie ist längst durchexerziert – und genau deswegen geht Guadalupe Nettel mit ihrem Roman „Die Tochter“ darüber hinaus.
Mit ihrem Roman „Die Tochter“ dehnt Guadalupe Nettel den Mutter-Begriff in alle Richtungen aus.
„Beim Versuch, glücklich zu werden, stürzen sie sich kopfüber ins eigene Unglück.“ Dieser Vers eines tantrischen Meisters spukt der Ich-Erzählerin Laura im Kopf herum, als sie von Alina erfährt, dass sie schwanger ist. Hatten sich die beiden besten Freundinnen doch immer geschworen, niemals Teil der „Mütter-Sekte“ zu werden. Scheint die mexikanische Schriftstellerin Guadalupe Nettel mit ihrem Roman „Die Tochter“ zunächst der längst durchexerzierten Vereinbarkeit von Kinderwunsch und Autonomie nachzuspüren, schlägt sie schließlich einige unerwartete Haken.
Guadalupe Nettel: Die Tochter
Luchterhand, 2025, 288 S., 22 Euro
Aus d. Span. v. Michaela Meßner
Denn was die beiden Freundinnen noch nicht wissen: Die Ärzte werden dem Ungeborenen nur wenige Stunden Lebenszeit prognostizieren. Und während Alina ein Grab für ihr ungeborenes Baby organisiert, beginnt Laura, selbst mütterliche Gefühle zu entwickeln – für den Nachbarsohn. Und so dehnt Nettel den Mutter-Begriff in alle Richtungen aus und öffnet noch eine allegorische Seitengeschichte einer Vogelfamilie, bis für die Leser:innen irgendwann kaum noch das eigentliche Motiv zu erkennen ist: Welche Herausforderungen es birgt, Verantwortung zu übernehmen und Liebe zu schenken – als Frau und als Freundin.
Mit „Die Tochter“ hat es Guadalupe Nettel auf unsere Liste der besten Bücher im Juni 2025 geschafft.