Sie wollen lokal produzierte Lebensmittel, Mode oder Technologien – und zu einem „stärkeren europäischen Markt“ beitragen. Zehntausende Menschen haben sich auf der Online-Plattform Reddit der Gruppe „Buy from EU“ („Kauft aus der EU“) angeschlossen, eigenen Angaben zufolge einer „Community, die sich der Unterstützung von in Europa hergestellten Waren und Dienstleistungen widmet“.
Seit der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident im Januar und dem von ihm angetriebenen weltweiten Zollkrieg wird die proeuropäische Bewegung bei Nutzerinnen und Nutzern immer beliebter.
In den skandinavischen Ländern gibt es auf Facebook dagegen Gruppen, die zur vollständigen Ablehnung US-amerikanischer Waren aufrufen. Doch was bringen solche Proteste eigentlich?
Michele Martha Micheletti ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Stockholm und arbeitet unter anderem zu politischer Konsumforschung.
„Unternehmen zu boykottieren, um gegen einen Staat vorzugehen, ist nichts Neues“, sagt Michele Micheletti, die an der Universität Stockholm zu Konsumverhalten forscht, dem Tagesspiegel.
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Protestbewegungen würden damit einen politischen Wandel herbeiführen wollen, indem sie den „Markt als Schauplatz der Politik nutzen“ würden: „Politischer Konsum ist zu einem Machtinstrument geworden.“
Allgemein würden Firmen stets auch boykottiert, wenn Protestierende über das Verhalten eines Staates enttäuscht sind.
„Als das englische Parlament beispielsweise im 19. Jahrhundert nicht vollständig für die Abschaffung der Sklaverei stimmte, mobilisierte die Anti-Sklaverei-Bewegung einen Boykott gegen sogenannte Sklavenprodukte wie Zucker oder Baumwolle.“
Die Forschung bezeichnet solche politischen Konsumproteste als sekundäre Boykotte, das eigentliche Ziel sind nicht Unternehmen wie Coca-Cola, sondern das Land dahinter.
Unterm Strich sind Boykotte eine stumpfe politische Waffe, die nur selten zum Ziel führt.
Michele Micheletti, Universität Stockholm
Der Politikwissenschaftlerin zufolge sind diese Aktionen nur selten erfolgreich: „Unterm Strich sind Boykotte eine stumpfe politische Waffe, die nur selten zum Ziel führt.“ Das liege unter anderem auch an weltweit verzweigten Handels- und Lieferketten.
„Einzelne Aktionen können Auswirkungen haben“ Kommt jetzt der Boykott amerikanischer Waren?
Irrelevant werden sie dadurch aber nicht, sagt Micheletti. Untersuchungen in Schweden hätten gezeigt, dass der langjährige Boykott südafrikanischer Produkte eine Rolle beim Sturz der Apartheid Anfang der 1990er Jahre spielte: „Entscheidend war er aber nicht.“
Ein Überblick über vergangene und aktuelle Boykotte – und deren Erfolg.
Ukraine: „Kauf‘ keine Waren beim Aggressor!“
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind die Wirtschaftsbeziehungen europäischer Staaten mit Moskau in vielen Bereichen zum Erliegen gekommen, das Sanktionsregime wurde massiv ausgeweitet.
In der Ukraine war man bereits deutlich früher schlecht auf russische Waren zu sprechen – und zwar zunächst aus einem ganz anderen Grund. Im Jahr 2013 folgten viele Ukrainer:innen dem Aufruf einer Kampagne, die mit Slogans wie „Kauft nichts Russisches!“ oder „Boykottiert Russisches!“ zum Verzicht von Produkten aus dem Nachbarland aufrief. Anlass waren damals Importbeschränkungen für ukrainische Hersteller.
Im Jahr darauf wurde die Protest-Aktion nach der Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim und dem Beginn des Kriegs in der Ostukraine ein zweites Mal aufgegriffen.
Mehr als drei Jahre wütet der Krieg in der Ukraine, immer wieder treffen russische Drohnen Häuser und Wohngebiete.
© dpa/Mykola Miakshykov
Mittlerweile, mehr als drei Jahre nach Beginn der russischen Vollinvasion, findet kaum noch ein Produkt aus Wladimir Putins Reich seinen Weg in die Ukraine. Insbesondere im ersten Kriegsjahr passierte es aber vereinzelt doch noch.
Auf Plakaten wurden die Ukrainer:innen deshalb aufgerufen, genau hinzusehen, welche Nummer unter dem Strichcode beispielsweise von Lebensmitteln aus dem Supermarkt stand: Fing die Zahlenreihe mit 46 an, steckte ein russisches Unternehmen dahinter. „Kauf‘ keine Waren beim Aggressor!“, lautete der Titel der Kampagne.
Polen: Wut auf billiges ukrainisches Getreide
In Polen ist die Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine eigentlich sehr groß. Immerhin ist sie ein Nachbarland und die Angst vor Russland ist auch in dem östlichen EU-Staat historisch tief verwurzelt.
Doch die polnische Solidarität kannte auch Grenzen: Im Frühjahr 2024 protestierten Tausende polnische Bauern wochenlang gegen die Einfuhr von günstigem Getreide und anderen Agrarprodukten aus der Ukraine. Hintergrund war, dass die EU nach Beginn des russischen Angriffskriegs alle Importzölle und -quoten für landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine ausgesetzt hatte, um Kyjiw wirtschaftlich zu helfen.
Solidarität mit Grenzen: Bauernproteste in Polen.
© dpa/Patrick Pleul
Polens Landwirte fanden das gar nicht lustig. Sie argumentierten, dass Produkte, die eigentlich für den Weiterexport bestimmt seien, zu einem Preisverfall geführt hätten und fürchteten um ihre eigenen Einnahmen.
Sie blockierten Grenzübergänge mit Traktoren und verschütteten absichtlich ukrainisches Getreide. Vor dem Parlamentsgebäude in Warschau kam es sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Zwischenzeitlich drohte die Boykott-Aktion zu eskalieren. Das eigentlich äußerst freundschaftliche ukrainisch-polnische Nachbarschaftsverhältnis wurde stark belastet.
Lkw mit Getreide aus der Ukraine dürfen Polen nur noch als Transitland nutzen.
© dpa/Przemyslaw Piatkowski
Die Proteste ebbten erst ab, als schließlich festgelegt wurde: Lastwagen mit ukrainischem Getreide dürfen Polen nur noch als Transitland nutzen. Außerdem deckelte die EU die zollfreie Einfuhr bestimmter Waren.
Israel: Globale Bewegung BDS
Boykott und Israel – wenn man diese Worte hört, ist man schnell bei der BDS-Kampagne. Die Abkürzung steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, es ist wohl eine der bekanntesten Bewegungen dieser Art. Sie ist ein globales Phänomen und will Israel seit 2005 ökonomisch, politisch, diplomatisch und kulturell unter anderem wegen des Siedlungsbaus im Westjordanland isolieren.
BDS sieht sich seit seinem Bestehen scharfen Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt, das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Bewegung als extremistischen Verdachtsfall. Auch der deutsche Bundestag verurteilte die Methoden des BDS als antisemitisch.
Teilnehmer einer propalästinensischen Demonstration in Leipzig
© dpa/Sebastian Willnow
Inwiefern BDS tatsächliche ökonomische Auswirkungen hat, ist umstritten. Insgesamt scheint der Boykott für israelische Produkte aber eher nicht ins Gewicht zu fallen. Zum Teil hatten Boykotte gegen israelische Firmen in der Vergangenheit sogar den gegenteiligen Effekt, wenn in Solidarität mit Israel deren Produkte gekauft wurden.
Boykottversuche gegen Israel gibt es aber auch über Umwege, zuletzt wegen des Gazakrieges. Vor allem im vergangenen Jahr hatten amerikanische Marken in manchen muslimischen Ländern mit sinkenden Absätzen zu kämpfen. Verbraucher protestierten so gegen die vermeintliche Unterstützung für Israel im Gazakrieg.
Südafrika: Protest gegen Apartheid
Um die rassistische Politik Südafrikas endgültig zu beenden, entschieden sich dessen wichtigste Wirtschaftspartner fast vier Jahrzehnte nach Beginn der Apartheid 1986 für zahlreiche Wirtschaftssanktionen – zugleich verhängte die Europäische Gemeinschaft freiwillige Verbote für Neuinvestitionen im Land. Insbesondere die USA und Westdeutschland hielten sich jedoch kaum daran, 1987 stiegen die Investitionen der BRD sogar um 303 Millionen D-Mark.
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Milliarden schwedische Kronen steckte Stockholms Regierung in den südafrikanischen Befreiungskampf.
Nordeuropa machte es anders: Um den Kampf gegen die rassistische Apartheidpolitik Südafrikas zu unterstützen, formierte sich eine breite Protestbewegung. Unter dem Motto „Apartheid tötet – boykottiert Südafrika“ verzichteten viele Schwedinnen und Schwedinnen auf Früchte aus Südafrika, aus dem staatlichen Alkoholladen Systembolaget verschwand südafrikanischer Wein.
War ein großer Kritiker der rassistischen Apartheidpolitik Südafrika – und bezahlte dafür vielleicht mit seinem Leben? Olof Palme, hier mit Bundeskanzler Willy Brandt 1971 in der Nähe Stockholms.
© AFP/-
Unterstützung dafür gab es von ganz oben: Ministerpräsident Olof Palme war vielleicht der einflussreichste Fürsprecher von Boykottmaßnahmen gegen Südafrika.
Als einziges westliches Land unterstützte Schweden bereits in den frühen 1970er Jahren direkt die Anti-Apartheid-Bewegung – vor allem als Reaktion auf den breiten zivilgesellschaftlichen Boykott der Schwed:innen. Insgesamt zahlte Stockholm bis 1994 etwa 2,5 Milliarden Kronen für den Befreiungskampf in Südafrika, mit 900 Millionen Kronen wurde der African National Congress direkt unterstützt.
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Olof Palme machte sich damit nicht nur Freunde: Lange wurde vermutet, dass der südafrikanische Geheimdienst seine Ermordung 1986 in Auftrag gegeben haben soll. Schwedens Polizei musste später sogar einräumen, dass sich zum Zeitpunkt des Attentats tatsächlich ein südafrikanischer Geheimagent in Stockholm aufgehalten hat. Endgültig aufgeklärt werden konnte der Mord jedoch nie.