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Die Armee der Ukraine ist im Krieg immer wieder mit Mangel konfrontiert. Eine NGO aus Litauen hilft mit Militär-Gerät – und hat deshalb direkten Einblick.

Vilnius – Die Ukraine verteidige im Kampf gegen Russlands Angriff auch Europas Freiheit, heißt es oft. Und Klagen über Materialmangel an der Front stoßen im sicheren Mitteleuropa auf Mitgefühl. Aber Abhilfe dafür schaffen – das kann man ja nicht. Oder eben doch: Jonas Öhman und seine Hilfsorganisation „blue/yellow“ versorgen Fronteinheiten der Ukraine seit zehn Jahren von Litauen aus unentgeltlich mit „nicht-tödlicher militärischer Ausrüstung“.

Das hat den gebürtigen Schweden zu einem gefragtem Helfer in Reihen der ukrainischen Armee gemacht. Und es verschafft ihm ein ungewöhnliches Ausmaß an Einblicken in Wladimir Putins tödlichen Krieg im Herzen Europas.

„Wenn es wirklich wichtig ist, können mich ‚meine‘ Leute immer anrufen“, sagt Öhman beim Treffen mit der Frankfurter Rundschau in Vilnius über seine Kontakte in der ukrainischen Armee. „Aber sie überstrapazieren diese Option nicht“: Ein- bis zweimal im Monat kommen solche Anrufe von der Front. Dann setzt Öhman im Büro von blue/yellow die Hilfsmaschinerie auch außerhalb der Reihe in Gang und bringt Material auf den Weg Richtung Front – viel schneller, als es ein staatliches Beschaffungsprogramm in der EU könnte.

Anruf aus der „Todeszone“: In Vilnius bearbeitet eine NGO Anfragen von der Front im Ukraine-Krieg

blue/yellow – blau/gelb, für die Nationalfarben der Ukraine – hat seinen Sitz in einem unscheinbaren Vilniuser Bürogebäude nahe dem Fluss Neris. Das Panorama in den Räumen ist schon markanter: Armlange Geschosshülsen stehen im Besprechungsraum, oder auch ein Teil einer ausgediente Panzerabwehrwaffe, offenbar aus skandinavischen Beständen. An einer Stellwand prangen unzählige Abzeichen ukrainischer Kampfeinheiten; im Korridor gerahmt Reihen von Auszeichnungen aus der Ukraine für blue/yellow. Es sind „Souvenire“ eines brutalen Kriegs. Und, natürlich, Zeichen der Dankbarkeit.

blue-yellow-Gründer Jonas Öhman vor einer Stellwand mit ukrainischen Militärabzeichenblue-yellow-Gründer Jonas Öhman vor einer Stellwand mit Militärabzeichen – Gaben von ukrainischen Einheiten, mit denen die NGO arbeitet. © Florian Naumann

Waffen oder Munition gehören indes explizit nicht zu den Gütern, die Öhman und blue/yellow an die Front im Süden und Osten der Ukraine liefern. Aber wirklich weit davon entfernt ist die Fracht der Helfer nicht. Ein wichtiges Element sind Drohnen – die die Soldaten natürlich vor Ort zur Waffe umrüsten können. Aber auch optische Geräte oder Autos bringt blue/yellow in die Ukraine.

Die Nachfrage ist groß. Öhman steht nach eigenen Angaben permanent in Kontakt mit Fronteinheiten und anderen gut informierten Personen der Ukraine. Er zeigt ein langes Excel-Sheet: Materialwünsche aus der Ukraine, mitsamt Bearbeitungsstatus. Weiß, gelb, grün. Und in den farbig hinterlegten Feldern immer wieder Namen von Drohnenmodellen.

Zynische anmutende Wahrheit im Ukraine-Krieg: „Wir waren bei 240 Dollar pro getötetem Russen angelangt“

Seit er mit wachsender Professionalisierung den Direktorenposten der von ihm mitgegründeten NGO abgegeben hat, hat Öhman Zeit, auf Konferenzen und für Medien seine Lehren aus dem Ukraine-Krieg zu erklären. Selbst dort trägt der frühere Filmemacher, Soldat und – hier bleibt er im Vagen – in geheimdienstlichem Umfeld erfahrene Mann Cargohose und Kapuzenpulli. Und er sagt markige Sätze. In Vilnius, zu Gast bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung etwa: „Was auch immer ich tun kann, um die Fähigkeit der Ukraine zu stärken, sich zu verteidigen und Russen zu töten, ich werde es tun.“

Man müsse die Effizienz der Kriegsführung im Auge behalten, erläutert Öhman später im Gespräch mit der FR. Dafür gebe es Statistiken, auch bei blue/yellow. „Mittlerweile ist es vielleicht etwas mehr, aber an einem Punkt waren wir bei 240 Dollar pro getötetem Russen angelangt – das ist günstig.“ Das möge zynisch klingen, räumt Öhman ein. „Aber das ist Kriegseffizienz.“ Mithilfe von KI etwa könnten bald kleine Gruppen von Kämpfenden „extrem tödlich“ sein. Der Westen drohe da den Anschluss zu verlieren: „Wir versuchen, das zu verstehen. Aber es ist ein langer Weg.“ Eigentlich sollte der Westen militärische Beobachter in die Ukraine schicken, meint er. „Ich jedenfalls lerne dort jedes Mal etwas Neues.“

Die litauische NGO „blue/yellow“

„blue/yellow“, so schreibt die Hilfsorganisation selbst, „unterstützt den bewaffneten Widerstand der Ukraine“ gegen Russlands Angriff. Dazu gehören Lieferungen von Drohnen, optischen Gerätschaften, Autos, Minenräumgerät oder Kleidung – im Jahr 2023 gingen etwa knapp 1900 Drohnen an die ukrainische Armee. Ein Teil der Organisation kümmert sich aber auch um medizinische Versorgung in der Ukraine.

Die Mittel dafür kommen nach Angaben von blue/yellow nahezu ausschließlich aus Spenden. In Litauen sind auch unkomplizierte Spenden per SMS möglich. Aktuell plant die NGO einen Ableger in Schweden. Über die Homepage sind auch Spenden aus Deutschland möglich.

Ein gewisses Paradox: Nahezu alle EU-Regierungen wollen die Ukraine unterstützen und gegen Russlands Angriff rüsten. Die Kämpfe hindern Russland schließlich auch daran, neue Ziele ins Auge zu fassen. Staatliche Gelder gibt es für die Non-Profit-Helfer von blue/yellow aber quasi gar nicht – obwohl man durchaus Anträge geschrieben habe.

„Vermutlich 95 Prozent unserer Arbeit hängt mit militärischen Gütern zusammen“, sagt Öhman. „Das ist nichts, was man betonen sollte, wenn man sich für eine Förderung bewirbt.“ Der Staat habe ein Monopol auf Sicherheit. Nur eben „in diesem Krieg aus offensichtlichen Gründen nicht.“ Das Gute sei indes: Die Organisation könne sich praktisch komplett aus Spenden finanzieren. Auch, weil sie schon so lange aktiv sei und sich Vertrauen erarbeitet habe.

Russland verschoss „alles, was an Munition da war“ – mitten in den Minsk-Verhandlungen

Die Geschichte von blue/yellow begann 2014. Es war die Besetzung der Krim, die Öhman damals erschütterte, wie er sagt. „Ich erinnere mich an die Bilder dieser ‚grünen Männchen‘ auf der Krim, ohne Abzeichen, ohne alles.“ Angesichts seiner Geheimdienst-Vergangenheit habe er aber keine Zweifel an der Urheberschaft gehabt, sagt Öhman: „Ich erkenne etwas Russisches, wenn ich es sehe.“ Die gleichgültige Reaktion der Welt – inklusive Deutschlands – habe ihm quasi keine Wahl gelassen. Das Baltikum sei eben in einer exponierten Lage. „Ich habe gesagt: Wenn wir die Ukraine jetzt nicht unterstützen, dann werden sie hierherkommen – es ist nur eine Frage der Zeit.“

Zunächst habe er sogar daran gedacht, selbst in der Ukraine zu kämpfen, berichtet Öhman bei einer Cola. Allerdings habe die ukrainische Armee einen üblen Eindruck gemacht, „so eine Art postsowjetisches Mexiko“. Der nächste Gedanke war „medizinische Unterstützung“. Tatsächlich engagiert sich ein Teil von blue/yellow bis heute auf diesem Feld. Aber der Faden führte schnell weiter. Und zwar von den Ärzten aus.

Ein Beispiel für die Arbeit von blue/yellow: Eine Lieferung „Ripley“-Bomberdrohnen für Spezialkräfte der Ukraine.Ein Beispiel für die Arbeit von blue/yellow: Eine Lieferung „Ripley“-Bomberdrohnen für Spezialkräfte der Ukraine. © blueyellow/fkn

„Ich habe mit ukrainischen Medizinern gesprochen, die verwundete Soldaten behandelten. Sie haben einen Einblick, wer in der Armee wer ist – und mit wem man arbeiten kann“, sagt Öhman. Korruption ist in der Ukraine weiterhin ein Problem. Schon Ende 2014 habe er dann erlebt, wie der ukrainischen Armee in Donezk handelsübliche Nachtsichtgeräte („kein militärisches Zeug!“) massiv weiterhalfen. Aber auch, welch abstruse Umstände im Donbass herrschten. An OSZE-Straßensperren habe man russische Spione angetroffen. In der berüchtigten Schlacht von Debalzewe habe er selbst erlebt, wie Russland mitten in den Minsk-Verhandlungen „alles verschossen hat, was an Munition da war; sie haben den ganzen Ort in Schutt und Asche gelegt“.

Ukraine-Helfer war selbst an der Front nahe Bachmut: „Was du tust, ist zu wertvoll, sagte man“

2022, als Putin den Befehl zur Vollinvasion gab, war blue/yellow schon acht Jahre aktiv. „Als die Russen angriffen, hatten wir einen riesigen Spendenzustrom, Millionen Euro“, erzählt Öhman. Teils sei an einem Tag mehr als eine Million Euro hereingekommen. Bis heute sei Russland der beste Trommler für Spenden an blue/yellow. Nicht einmal der Krieg in Israel habe dem Aufkommen geschadet. „Ich glaube, die Leute sind mittlerweile einfach gewöhnt, zu spenden, wenn etwas passiert“, sagt Öhman. Der Löwenanteil der Gelder komme indes weiterhin aus dem kleinen Litauen. Denn: „Jeder hier weiß, was auf dem Spiel steht.“

Der litauische Schwede war selbst oft in Frontnähe unterwegs. Das letzte Mal zur Zeit der Schlacht um Bachmut; in Soledar. Dort habe man ihm verboten, ins Epizentrum der Kämpfe um Bachmut zu fahren. „Was du tust, ist zu wertvoll, sagte man mir.“ Mittlerweile sei man generell vorsichtiger – auch, weil sich im Drohnenkrieg eine viele Kilometer breite „Todeszone“ um die eigentliche Frontlinie herausgebildet habe.

Öhman ist jedenfalls entschlossen, weiterzumachen. Natürlich verweise der Bedarf an dieser Form von NGO-Arbeit im Krieg genauso wie der tägliche Strom an Hilfsanfragen auf ein Problem auf staatlicher Seite, einen Mangel. Andererseits könne eine kleine Gruppe eben auch „schnell und akkurat“ handeln und ein sehr genaues Bild von ihrem Einsatzfeld haben. „Ich glaube immer stärker: Regierungen sollten einen Mechanismus schaffen, mit dem kredible private Initiativen unterstützen können“, sagt er. Solange die Verbündeten der Ukraine nicht selbst ausreichend handeln (können), wird das ein auf bittere Weise hochaktueller Vorschlag bleiben. (fn)