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  1. Seite 1″Viele befürchten, dass es zu Gewalt kommt“


  2. Seite 2″Bei CSDs geht es immer auch darum, die Demokratie zu verteidigen“

Die Polizei hat die diesjährige Pride-Parade in Budapest verboten. Der liberale Bürgermeister der Stadt, Gergely Karácsony, will sie trotzdem stattfinden lassen. Die grüne Europapolitikerin Terry Reintke beobachtet mit vielen anderen Abgeordneten die Lage vor Ort. Hier sagt sie, was die EU gegen die queerfeindliche Politik von Viktor Orbán tun kann und was sie über den Neutralitätsbegriff von Julia Klöckner denkt. 

ZEIT ONLINE: Frau Reintke, Sie sind seit Jahren bei der Pride in Budapest dabei, auch jetzt trotz Verbot. Mit welchem Gefühl sind Sie angereist?  

Terry Reintke: Mit großer Sorge, in welche Richtung sich Ungarn entwickelt. Die politische Situation im Land ist schon seit Jahren schwierig, aber jetzt gehen Viktor Orbán und seine Regierung den nächsten Eskalationsschritt – auch weil sie selbst politisch unter Druck stehen. Das ist das Playbook autoritärer Machthaber: Mit Kulturkampf vom eigenen Versagen, zum Beispiel in der Wirtschaft, ablenken. Die Pride wird es trotz Verbot geben, aber es ist momentan unklar, ob die Polizei sie schützen wird. Viele befürchten, dass es zu Gewalt kommt. Denn wir hören, dass die Polizei rechten Gruppierungen Gegendemos genehmigt hat, darunter paramilitärische Neonazi-Gruppen. Aber eine friedliche Demo wird verboten, das ist doch verkehrte Welt.

Terry Reintke: Terry Reintke, Berlin, 13.05.2024
Terry Reintke

38, ist seit 2014 Abgeordnete des Europaparlaments und seit 2022 Co-Vorsitzende der Grünenfraktion.

ZEIT ONLINE: Wie nehmen Sie die Stimmung in der Community vor Ort wahr? 

Reintke: Immer noch als sehr kämpferisch. Das sind vor allem, wenn auch nicht nur, junge Menschen, die direkt gesagt haben: Das Verbot ist uns egal, wir machen das trotzdem. Das finde ich sehr mutig. Gleichzeitig gibt es auch jene, denen alles zu viel wird und die sich zurückziehen oder sogar das Land verlassen. Es gibt eine große Angst, allein dazustehen. Das höre ich immer wieder. Dass nun so viele Abgeordnete aus ganz Europa zur Pride reisen und sich auch die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstützend geäußert hat, wird hier sehr positiv aufgenommen.

© Lea Dohle

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ZEIT ONLINE: Der ungarische Europaminister hat gesagt, es gebe gar kein explizites Pride-Verbot in Ungarn. Wie ist das zu verstehen? 

Reintke: Die ungarische Regierung argumentiert, dass sie nicht per se Versammlungen verbietet, sondern nur dann, wenn von ihnen eine Bedrohung ausgeht. Die Pride soll angeblich Kinder gefährden. Die Belege, die die Polizei dafür vorgelegt hat, sind Bilder von Männern, die sich küssen, und von Dragqueens. Ich sage es ganz deutlich: Das ist absoluter Quatsch. Es geht keine Gefahr von dieser friedlichen Veranstaltung aus, sondern von denen, die sie angreifen.

ZEIT ONLINE: Was kann denn die queere Community in Ungarn konkret von Ihnen als Europaabgeordnete erwarten, außer dass Sie in Solidarität bei diesem CSD mitlaufen? Orbán geht seit Jahren gegen Minderheiten vor. Man hat den Eindruck: Die EU guckt nur zu.  

Reintke: Ja, die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten haben sehr lange zu wenig getan. Das hat dazu geführt, dass die ungarische Demokratie nun in einem so dramatischen Zustand ist, dass es zunehmend schwierig wird, dagegen vorzugehen. Gleichzeitig wurden in den letzten Jahren wichtige Schritte unternommen. Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, bei dem es um das Gesetz geht, das die Darstellung von Homosexualität verbietet. Der Europäische Gerichtshof hat noch nicht final darüber entschieden. Ich bin aber optimistisch, dass Ungarn vor Gericht verlieren wird.

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ZEIT ONLINE: Es gibt bereits Sanktionen und eingefrorene Gelder. All das scheint Orbán wenig zu beeindrucken. Welche Mittel bleiben der EU noch? 

Reintke: Es gibt kleine Erfolge: Orbáns Regierung hat auf Druck der EU ein Gesetz vorerst nicht verabschiedet, das international finanzierte NGOs bedroht. Wir haben außerdem das Artikel 7-Verfahren, das ermöglicht, auf Verstöße gegen die Grundwerte der Europäischen Union zu reagieren. Da geht es nicht nur um die Rechte von Minderheiten, sondern auch um eine unabhängige Justiz, Versammlungsfreiheit und eine freie Presse. Ungarn könnte damit sein Stimmrecht im Rat der EU verlieren. Das muss allerdings vom Rat ausgehen, also den Mitgliedstaaten, und da braucht es am Ende Einstimmigkeit.  

ZEIT ONLINE: Und wie einig ist die EU in dieser Frage? Fünf Mitgliedstaaten haben sich nicht einmal einer Erklärung angeschlossen, die kürzlich die queerfeindliche Politik der ungarischen Regierung und das Verbot der Pride verurteilt hat.  

Reintke: Das ist ein großes Problem und wird mit mehr rechtsextrem und illiberal regierten EU-Ländern nicht einfacher. Ich glaube aber, dass man auch diese Staaten überzeugen kann, wenn andere Länder wie Deutschland entschieden vorangehen. Deshalb rufe ich die Bundesregierung auf, sich klarer zu positionieren und die queere Community und alle Bürgerinnen und Bürger in Ungarn zu stärken, die in einem freien und demokratischen Land leben wollen.