Tibet Can will nicht, dass seine kleine Tochter sieht, wie er lebt – auf 25 Quadratmetern. „Diese Lebenssituation soll ein Kind nicht sehen“, sagt er. Der 40-Jährige lebt in einer Münchner Wohnungslosenunterkunft des Katholischen Männerfürsorgevereins – obwohl er in Vollzeit berufstätig ist.

Netto-Gehalt reicht nicht für akzeptable Wohnung

Der Schichtarbeiter stellt bei BMW Motoren her – also in der Autobranche, die noch relativ gut zahlt. Monatlich 3.400 Euro brutto verdient er. Vor vier Jahren trennte er sich von seiner Frau und verließ die gemeinsame Wohnung. Seither tut er alles, um eine neue Bleibe zu finden. Doch weil er neben privaten Schulden noch den Unterhalt für seine Tochter finanzieren muss, reicht das Geld nicht für eine akzeptable Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt.

Mehr als 700 Euro könne er nicht für Miete ausgeben, sagt der ausgebildete CNC-Dreher. Obwohl er 1.230 Bewerbungen geschrieben habe, hätte er zu diesem Preis kein Appartement auf dem freien Wohnungsmarkt in München gefunden. Ins Umland ziehen will er nicht – schon jetzt nimmt er einen Arbeitsweg von über einer Stunde in Kauf.

Wohnungslos trotz Job: Wie es Geringverdiener trifft

550 Euro Miete bezahlt Can für sein Zimmer in der Wohnungslosenunterkunft im Münchner Westen. Hier werden nur berufstätige Männer aufgenommen. Probleme, einen Job zu finden und ihn zu behalten hätten die Bewohner nicht, sagt Einrichtungsleiter Benedikt Rossiwal vom Katholischen Männerfürsorgeverein, „was sie nicht haben, ist bezahlbarer Wohnraum“. Ihr Verdienst sei zu gering für die ortsübliche Miete, die in München bei einem Durchschnittspreis von 22,64 Euro liegt.

Die Bewohner arbeiten in Berufen, an denen in München Mangel herrscht, die aber gering vergütet werden: als Lageristen, in der Security-Branche oder Elektriker. Weil sich Geringverdiener auf dem freien Markt keine Bleibe leisten können, leben sie häufig in prekären Wohnverhältnissen, erklärt Rossiwal. Die Männer hätten bei Freunden auf der Couch, in anderen Unterkünften oder WGs gelebt, „einer lebte davor in einem schimmeligen Kellerabteil“.

Tendenz: Mehr Wohnungslose und weniger Sozialwohnungen

Der Druck steigt: Über 11.000 Menschen sind derzeit in München als akut wohnungslos gemeldet – 66 Prozent mehr als noch im Januar 2023. Zwar plant die Stadt jährlich 2.000 neue geförderte Wohnungen, aber das reicht nicht aus, um die Wohnungsnot zu lindern.

Auf Bundesebene nimmt die Zahl geförderter Wohnungen sogar kontinuierlich ab – denn es fallen von Jahr zu Jahr Wohnungen aus der Sozialpreisbindung heraus: Im Jahr 2024 standen 280.000 Sozialwohnungen weniger zur Verfügung als 2015, teilt das Bundesbauministerium auf Anfrage des BR mit.

Diese Tendenz gilt auch für Bayern: Der Bestand ist im gleichen Zeitraum um 12.316 Sozialwohnungen gesunken, während sich die Zahl der Wohnungslosen vervierfacht hat. Aktuell sind in Bayern über 39.000 Menschen als wohnungslos gemeldet.

Forderungen an die Politik: Mehr Geld für sozialen Wohnungsbau

Jörn Scheuermann von der Koordination Wohnungslosenhilfe Südbayern macht für diesen Trend die Politik verantwortlich. Seit den 90er Jahren hätten Kommunen und Länder Wohnraum an private Investoren veräußert, „es lässt sich beobachten, dass dadurch die Mieten extrem steigen“. Scheuermann fordert, mehr staatliches Geld in sozialen Wohnungsbau zu stecken, statt in die Förderung von Wohngeld oder Mieten.

Ähnlich argumentiert Einrichtungsleiter Benedikt Rossiwal: Auch er wünscht sich von der Politik: „baut Wohnungen!“. Denn Wohnungslosigkeit sei ein „schleichendes Gift, das dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft nicht zuträglich ist“.

Das Bundesbauministerium stellt auf Anfrage des BR einen „Investitions-Turbo“ in Aussicht: „Allein in dieser Legislatur stellen wir für den sozialen Wohnungsbau die Rekordsumme von 23,5 Milliarden Euro zur Verfügung.“ Das sei in der Geschichte des sozialen Wohnungsbaus beispiellos.

Tibet Chan wünscht sich allerdings nicht nur günstigere Mieten, sondern auch einen Lohn, mit dem er seine Wohnung selbst finanzieren kann.