Der Bundestag hat beschlossen, den Familiennachzug von Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus auszusetzen. Für Geflüchtete in Stuttgart geht damit eine Odyssee weiter.
Von Laura Cloppenburg, Natalja Kurz
Der Familiennachzug von Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus wird für zwei Jahre gestoppt, das hat der Bundestag am Freitag entschieden. Für Familie A., die vor dem Bürgerkrieg in Syrien nach Stuttgart geflohen ist, bedeutet das eine Katastrophe. Mutter Naima hoffte, ihre Kinder bald wiederzusehen – vielleicht nach einem halben Jahr oder Jahr.
Jetzt heißt es, sie setzen den Familiennachzug aus und dann sehe ich meine Kinder erstmal gar nicht mehr.
Naima A., Geflüchtete aus Syrien
Naima und Khaled A. leben jetzt schon seit über einem Jahr getrennt von ihren Kindern. Die Familie wurde am Übergang nach Bulgarien von der Grenzpolizei auseinandergerissen, drei der Kinder sitzen jetzt bei ihrer Großmutter in der Türkei fest. „Verloren bin ich und schockiert“, erklärt Naima. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Soll ich in die Türkei zurück oder nach Syrien?“ In Syrien habe die Familie alles verloren, erzählt Naima. Jetzt laufe sie manchmal im Park herum und wisse nicht wohin.
Nach Jahren des Wartens droht nun die Ungewissheit
Familie A. gilt als subsidiär schutzberechtigt. Dies sind Menschen, die in Deutschland weder im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch als Asylberechtigte anerkannt wurden, aber aus anderen Gründen bleiben dürfen. Das ist der Fall, wenn ihnen im Heimatland Folter, Todesstrafe oder unmenschliche Behandlung droht – häufig betroffen sind Bürgerkriegsflüchtlinge. Sie sollen in Zukunft nur noch in Härtefällen Ehepartner, minderjährige Kinder und im Fall unbegleiteter Minderjähriger die Eltern nachholen dürfen.
Bei der Caritas in Stuttgart schlägt die Entscheidung des Bundestags hohe Wellen. Die meisten, die sich hierher wenden, sind ebenfalls Kriegsflüchtlinge und manch einer wartet schon Jahre auf Abschluss seines Verfahrens. Auch Ali A., Kurde aus Syrien, stand kurz davor, Frau und Kinder zu sich zu holen – nach zahlreichen Deutschkursen, Nachweisen und der Beschaffung von Dokumenten. „Ich kann die Tragödie nicht beschreiben“, so Ali. Manchmal denke er daran, sich das Leben zu nehmen.
Aussetzung macht Arbeit von Hilfsorganisationen zunichte
Die Aussetzung des Familiennachzugs zerstört nicht nur Träume, sondern auch ihre Arbeit, findet Theresa Christiani von der Caritas-Fachstelle für Familiennachzug. „Es sind täglich Sozialberater dabei, den Menschen zu helfen, dass sie hier ankommen. Da werden sehr viele Ressourcen aufgebracht von den Menschen, damit sie hier ankommen. Das ist quasi einfach – verschwendet.“
Der Schritt zur Begrenzung der Migration ist der falsche, so Christiani. Der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige sei ohnehin bereits gedeckelt gewesen auf 12.000 Einreisen pro Jahr. Das mache knapp zehn Prozent aller Nachzüge aus – Symbolpolitik, so der Vorwurf der Sozialarbeiterin.
Geflüchteter in Stuttgart: Leben im Ausnahmezustand
Khaled A., der Mann, der seit über einem Jahr getrennt von seinen Kindern lebt, träumt von einem eigenen Restaurant in Deutschland. Er hilft in einem Stuttgarter Biergarten aus und ergänzt die Speisekarte um orientalische Gerichte. Das bringt dem Geflüchteten ein wenig Ablenkung vom Ausnahmezustand, ehe der nächste Video-Anruf bei den Kindern ansteht.
„Für uns Erwachsene ist der Zug eigentlich schon abgefahren“, so Khaled. „Aber meine Hoffnung sind die Kinder, dass aus ihnen etwas wird.“ Wird das Verfahren der Familie jetzt abgelehnt, dann muss Familie A. ihren Traum von der Zukunft in Deutschland aufgeben und wieder aufbrechen, in die völlige Ungewissheit.
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