Kolumbianische Söldner sind gefragt im Ukraine-Krieg: Doch was bewegt sie, gegen die Russen zu kämpfen?

Hunderte kolumbianische Ex-Soldaten kämpfen an der Seite der Ukraine gegen Russland. Ein Besuch im Armenviertel in Popayán, von wo besonders viele Kolumbianer in den Krieg ziehen.

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Gut ein Jahr ist es her, dass Cielo Paz die Stimme ihres Mannes José Aron Medina hörte. «Meine Liebe», sagte er, «wir sind in Caracas.» Er versprach ihr, rechtzeitig zur Feier seines 38. Geburtstags zu Hause zu sein. Doch alle Nachrichten, die ihm Paz danach schickte, liefen ins Leere. Die venezolanischen Behörden hatten ihn verhaftet.

Sie verfrachteten ihn nach Russland, wo er des Söldnertums beschuldigt wird. Ihm drohen bis zu 25 Jahre Haft. Was genau in Caracas geschah, ist bis heute unbekannt. Klar ist nur, dass Venezuela und Russland eine enge Freundschaft pflegen, die militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit einschliesst.

Medina war einer von Hunderten ehemaliger kolumbianischer Soldaten, die auf ukrainischer Seite gegen die russische Invasion kämpften. Zum Verhängnis wurde ihm, dass er den Weg über Venezuela nach Hause wählte.

Kolumbianer sind an der Front beliebt, erst recht in Zeiten wie diesen, wo das von Russland überfallene Land nicht mehr auf die Unterstützung der USA zählen kann. Beim Nato-Gipfel diese Woche wurde die Ukraine erstmals nicht mehr in der Abschlusserklärung erwähnt. Europäer und US-Amerikaner kämpfen zumeist gegen Putins Russland, weil sie es für richtig und wichtig halten. Die Kolumbianer, weil sie kaum etwas anderes kennen, als zu kämpfen.

Nicht nur in der Ukraine: Kolumbianer sind in vielen Kriegs- und Konfliktgebieten im Einsatz. Als im Juli 2021 über 20 Männer die Residenz des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse stürmten, um ihn zu ermorden, waren es mehrheitlich: kolumbianische Söldner. Als die Huthi-Rebellen im Dezember 2015 ein Lager der saudiarabischen Koalition angriffen, starben unter anderem: kolumbianische Söldner. Auch die Kartelle in Mexiko und die Milizen der Rapid Support Forces im Sudan setzen auf ihre Expertise.

Die kolumbianische Politik ist davon wenig begeistert. «Das Söldnertum muss in Kolumbien verboten werden», schrieb Präsident Gustavo Petro Ende November auf X. Dass so viele kolumbianische Ex-Soldaten für fremde Mächte zur Waffe greifen, hat auch mit Politik zu tun.

Im Barrio San Ignacio in Popayán leben besonders viele Söldner, die in den Ukraine-Krieg ziehen. Sie brauchen das Geld.

Im Barrio San Ignacio in Popayán leben besonders viele Söldner, die in den Ukraine-Krieg ziehen. Sie brauchen das Geld.

Bis vor wenigen Jahren tobte in Kolumbien einer der längsten bewaffneten Konflikte der Welt. Linke Guerillagruppen, rechte Paramilitärs, Drogenkartelle und die von den USA unterstützte Armee bekämpften sich seit den 1940er Jahren, über 200 000 Menschen starben. 2016 schloss die damalige Regierung Frieden mit der Farc, der grössten Guerillagruppe des Landes. Die Armee verlor an Bedeutung, und Gustavo Petros Vorgängerregierung reduzierte die Truppenstärke um 11 Prozent, von 481 000 auf 428 000.

Doch was treibt die Kolumbianer nun in die Ukraine? Wir besuchten Cielo Paz, die Frau von José Medina, und James Andrés Zuñiga Campo, einen Nachbarn, der ebenfalls an der ukrainischen Front kämpfte.

Für die Renovierung in den Krieg

Das Taxi holpert über Schotterwege voller Schlaglöcher, bis es vor einem zweistöckigen Haus hält. Cielo Paz lebt im Barrio San Ignacio in Popayán, einer Grossstadt rund 600 Kilometer von der Hauptstadt Bogotá entfernt. Während die weissen Kolonialbauten im historischen Stadtzentrum jährlich Abertausende Touristen anlocken, verlottern hier im verarmten Norden die unverputzten Ziegelbauten.

«Wir haben wenig Geld», stellt die 39-Jährige unverblümt klar. Sie sitzt auf einem Stuhl im Eingangsbereich, dem einzigen Mobiliar neben einem bescheidenen Schrein. 2016 hat ihr Mann nach vier Jahren die Armee verlassen. Als Soldat hatte er Minen und Bomben der Guerillas entschärft – und etwas mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 270 Franken verdient.

Familienfoto mit José Medina, Cielo Paz und den zwei Kindern.

Familienfoto mit José Medina, Cielo Paz und den zwei Kindern.

Gut ein Jahr ist es her, dass Cielo Paz die Stimme ihres Mannes José Aron Medina hörte.

«Wir hatten Schulden bei der Bank und wollten unser Haus fertigstellen», sagt Paz. Medinas Lohn als Sicherheitsmann reichte nicht, um den Bau zu finanzieren: Er hatte zwei Kinder, alternde Eltern sowie einen Bruder mit Behinderung zu versorgen.

Ein Freund erzählte ihm von der Möglichkeit, in der Ukraine bis zu 3000 Dollar im Monat zu verdienen: Er müsse sich nur online bei der Armee für ein Rekrutierungsgespräch anmelden und einen Vertrag unterschreiben. Das Paar entschied: Medina zieht in den Krieg. Für die knapp 2000 Franken teure Reise nahm er einen Bankkredit auf.

In der Ukraine angekommen, durchlief Medina zuerst ein zweimonatiges Basistraining in Ternopil. Dort überprüft die Armee, wie fit und waffentauglich die Bewerber sind. Dann ging es in den Osten, in die Schützengräben. Fünf Tage kämpfen. Zwei Tage Pause. Und wieder zurück ins Gefecht.

In dieser Zeit mahnten Söldnerkollegen in lokalen Medien, die Kolumbianer würden als Kanonenfutter missbraucht. Medinas Bataillon war dafür bekannt, an schwierigen Fronten zu kämpfen. Er habe von Toten erzählt, sagt auch Cielo Paz, von vielen Toten. Und als die Russen schliesslich einen von Medinas besten Freunden töteten, beschloss er, zu seiner Familie zurückzukehren.

Nach acht Monaten kündigte er den auf mindestens sechs Monate angelegten Vertrag und kaufte sich ein Rückflugticket. Um Geld zu sparen, wollte er von Polen über Spanien und Venezuela nach Kolumbien fliegen, anstatt direkt von Madrid nach Bogotá. Wenige Minuten nach der Landung in Caracas wurde er verhaftet.

Rund einen Monat später kursierten Bilder von Medina auf dem russischen Propagandasender Russia Today. Vornübergebeugt, die Arme mit Handschellen auf dem Rücken fixiert, wurde er vorgeführt: «José Aron Medina Aranda, Ukraine, Bataillon 49 Carpathian Sich», sprach er mit brüchiger Stimme, den Blick auf den Boden gerichtet. Er kritisierte die Ukraine, wohl um sich mit den Russen gut zu stellen: Sie bezahle die Löhne nicht, und Kolumbianer seien Opfer ihrer Propaganda. Es war das letzte Lebenszeichen, das Paz erhielt.

Drei weitere kolumbianische Ex-Soldaten befinden sich wegen Söldnertums in russischer Gefangenschaft. Einer von ihnen, Miguel Ángel Cárdenas Montilla, wurde im April 2025 als erster kolumbianischer Söldner zu neun Jahren Haft verurteilt. Im Juni folgte ein weiterer, Pablo Puentes Borges. Das Urteil: 28 Jahre Haft.

Nicht nur Medina, auch drei weitere Männer aus seiner Strasse in San Ignacio reisten 11 000 Kilometer in den Osten, um für die Ukraine zu kämpfen. James Andrés Zuñiga Campo ist wie Medina Ex-Soldat und Sicherheitsmann. Zwei Jahre lang hatte der Nachbar gedient, gegen die Farc-Guerilla und andere bewaffnete Gruppen gekämpft. «Doch die Ukraine ist ein anderes Kaliber», sagt er auf der staubigen Strasse vor seinem Haus. Neun Monate lang war er dort, sieben davon an der Front. Ein Tag gegen die Russen sei wie ein Jahr gegen die Guerillas. «Du bist immer in Gefahr», sagt er. «Immer.»

Jedes Mal, wenn er an die Front ging, waren die Drohnen der Russen schon da. Jedes Mal gab es Tote und Verletzte. Und mindestens einmal hätte es auch ihn fast erwischt: Im Juli 2024 filmte er aus einem Wald heraus das Surren am Himmel. «Wenn die mich jetzt sehen, töten sie mich», kommentierte er leise. «Aber das gehört hier zum Alltag . . . Scheisse!» Campo sprintete los, hechtete hinter einen Blaubeerbusch. Bum!, knallte im Hintergrund eine Granate.

Campo postete das Video auf Tiktok. Wie viele andere Söldner zeigt er dort die brutale Realität des Krieges und hilft anderen Kolumbianern, in die Ukraine zu gelangen.

Auf Telegram für tot erklärt

Wie Medina zog auch Campo aus finanziellen Gründen in den Krieg. «Ich sah keine Zukunft mehr», sagt er. Jeden Tag habe er mit seiner Familie gestritten.

Campo, Kampfname «Killer», mag das Soldatendasein. In seinem Bataillon 98 kämpfte er vor allem mit Kolumbianern, aber auch mit Ukrainern. Mit Letzteren sprach er über Google Translate. An der Front gab es einen Verantwortlichen, der Spanisch und Englisch sprach. Trotzdem gab es immer wieder Informationslücken: «Ich weiss nicht, wie der Ort heisst, an dem ich an der Front war», sagt Campo. Manchmal war er einen ganzen Monat am Stück an der Front – oft mit nur einer Mahlzeit am Tag.

James Andrés Zuñiga Campo war neun Monate in der Ukraine. Mindestens 64 Kolumbianer sind bis im Frühjahr 2025 in der Ukraine gefallen.

James Andrés Zuñiga Campo war neun Monate in der Ukraine. Mindestens 64 Kolumbianer sind bis im Frühjahr 2025 in der Ukraine gefallen.

Cielo Paz blickt auf die Strasse in ihrem Barrio.

Cielo Paz blickt auf die Strasse in ihrem Barrio.

Campo zeigt ein Video aus einem russischen Telegram-Kanal.

Campo zeigt ein Video aus einem russischen Telegram-Kanal.

Als nach neun Monaten ein kolumbianischer Kollege im Kampf verschwand, wurde ihm klar: Es ist Zeit, zu gehen. «Seine Familie weiss bis heute nicht, ob er noch lebt», sagt Campo.

Mindestens 64 Kolumbianer sind bis Februar 2025 in der Ukraine gefallen. Mindestens 122 gelten als vermisst. Die Ukraine verspricht den Familien 400 000 Dollar Entschädigung im Todesfall. Das Geld gibt es aber erst, wenn die Leiche geborgen oder eine Untersuchung abgeschlossen ist. Bei einer Demonstration in Bogotá beklagten einige Familien der Söldner kürzlich, dass die Ukraine ihnen weder Informationen noch Geld gebe.

Campo lebt. Und doch holt ihn sein eigener Tod ein: Eine russische Telegram-Gruppe veröffentlichte kürzlich seinen Namen samt Wohnort und Tiktok-Profil. «Dünger für unsere Böden», liest Campo einen Kommentar vor. Er scrollt zu einem Video eines blutverschmierten Panzers, als ein Mädchen auf der anderen Strassenseite ruft: «Papaaa!»

«Ich komme, mein Schatz», antwortet Campo. Die Ukraine habe ihn nicht zum Millionär gemacht, wie viele hier glauben, sagt er. Aber er habe nun weniger Sorgen und könne endlich für seine Tochter da sein. Jetzt wünscht er sich nur noch, dass der Krieg bald vorbei ist – und dass auch sein Nachbar José Aron Medina noch lebt.

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