Steinhagen. Dass der Klimawandel in Deutschland angekommen ist, bezweifeln heute nur noch ganz hart gesottene Verschwörungstheoretiker. Hochwasser im Ahrtal, Dürren in Thüringen oder Orkanböen in Hamburg, die Erderwärmung macht das Wetter oft unberechenbar und richtet gigantische Schäden an. Das Umweltbundesamt schätzt, dass seit dem Jahr 2000 mindestens 70 Milliarden Euro an Schäden durch Extremwetterereignisse entstanden. Bis 2050 könnten es demnach bis zu 900 Milliarden Euro werden.

Allerdings trifft der Klimawandel nicht alle Regionen gleich oder gleich stark. Die lokalen Unterschiede können erheblich sein. Deswegen ist es sinnvoll, lokale Erhebungen vorzunehmen, um Szenarien zu prognostizieren. So können sich Städte und Gemeinden gezielt auf das, was kommen wird, vorbereiten.

Am Dienstagabend war Dr. Tobias Kemper vom Landesamt für Natur, Umwelt und Klima ins Steinhagener Rathaus gekommen, um anhand des „Klimaatlasses NRW“ vorzustellen, was den Experten bisher bekannt ist.

Hitzetage haben sich in Steinhagen fast verdreifacht

In Steinhagen ist es wärmer geworden. Der Temperaturanstieg seit Beginn der Aufzeichnungen liegt laut Tobias Kemper in der Gemeinde bei 1,5 Grad Celsius. Das sind 0,4 Grad mehr als im weltweiten Durchschnitt. „Der Jahresdurchschnitt liegt in Steinhagen heute bei 11,4 Grad“, erläuterte der Ingenieur. Das sei deutlich zu viel.

Vor allem aber steige die Temperatur mittlerweile immer schneller. „Die Rekordjahre folgen stetig aufeinander“, machte Kemper an Klimatabellen fest, „wir müssen dringend etwas tun, sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Klimaanpassung.“

Steinhagen liege, was das regionale Klima angehe, an einer Grenze. Die topografisch flache Westfälische Bucht erwärme sich deutlich schneller als das benachbarte Weserbergland. Besonders deutlich wird die Erderwärmung im Sommer. So sei die „Sonnenscheindauer“ im Jahr in Steinhagen um 124 Stunden gewachsen.

Dr. Tobias Kemper, Dezernent für Klimafolgenanpassung beim Landesamt für Natur, Umwelt und Klima, sprach in Steinhagen über die Erderwärmung. - © LANUV NRW

Dr. Tobias Kemper, Dezernent für Klimafolgenanpassung beim Landesamt für Natur, Umwelt und Klima, sprach in Steinhagen über die Erderwärmung.
(© LANUV NRW)

Was erst mal nett klingt, ist es nicht. Denn auch die Zahl der extremen Hitzetage hat sich fast verdreifacht. 1951 habe Steinhagen im Durchschnitt dreimal im Jahr unter sehr hohen Temperaturen über 30 Grad Celsius gelitten. Heute sind es durchschnittlich acht Tage. „Und am Ende des Jahrhunderts werden wir noch mal auf einem ganz anderen Niveau liegen“, prognostizierte der Fachmann. Bis dahin werde die Jahresdurchschnittstemperatur in der Westfälischen Bucht vermutlich bei rund 14 Grad liegen. Zum Vergleich: Das ist mehr als in Italien heute. „Das würde zu Folgen führen, die wir nicht mehr händeln können.“

Fast zwangsläufig steigt mit der Hitze auch die Waldbrandgefahr. „Heute haben wir in Steinhagen pro Jahr 14 Tage mit hoher Waldbrandgefahr“, rechnete Tobias Kemper vor. Früher seien es mal vier gewesen. Die Gefahr von heftigen Waldbränden, wie man sie bisher vor allem aus trockeneren Regionen wie Portugal oder Kalifornien kennt, steigt stetig.

Schnee bleibt in OWL kaum noch liegen

Während die warmen Tage zunehmen, bleiben die kalten zunehmend aus. Seit 1951 ist die Zahl der Frosttage in Steinhagen peu à peu gesunken. Damals seien es 71 gewesen, zuletzt waren es noch 61. Schnee bleibt mittlerweile in der Region kaum noch liegen. Nur sehr selten ist es im Winter überhaupt noch möglich, am Teutoburger Wald Schlitten zu fahren. Bis in die 1990er-Jahre hinein gab es in der Gemeinde noch mehr als 20 Schneetage pro Jahr.

Spannende Fakten, die der Fachmann vom Land vorrechnete. Das meiste kommt allerdings nicht völlig überraschend. Etwas weniger vorhersehbar ist da schon die Menge der Winterniederschläge. Die ist nämlich offenbar nicht gesunken. Seit Beginn der Aufzeichnungen 1881 hat sich die Menge des Regens im Winter um mehr als ein Viertel erhöht. Ein Plus von 27 Prozent sieht der Klimaatlas.

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Die „Modellergebnisse“ seien in dieser Hinsicht allerdings „weniger einheitlich“, als bei den Temperaturen, so der Fachmann. Wahrscheinlich sei aus seiner Sicht ein leichter Anstieg des jährlichen Niederschlags in der Gemeinde, der allerdings eine „saisonale Verschiebung“ mit sich bringe. Während es im Winter mehr regnet, werden die Sommer trockener. Dazu kommt: Wenn es im Sommer regnet, dann zunehmend als Starkregen-Ereignis.

Insgesamt werden diese Starkregen nicht nur häufiger, sondern auch extremer. Auf Hagel und Starkwindböen wird man sich einstellen müssen, glaubt der Experte vom Landesamt. Hochwasser dürfte die Gemeinde in den vergangenen Jahren auch nicht zum letzten Mal gesehen haben.

Und was kann Steinhagen dagegen tun?

Im Juni 2018 sorgte starker Regen dafür, dass sogar die Kreuzung Bahnhofstraße/Mühlenstraße überflutet wurde. Seitdem hat sich einiges getan. - © Jonas Damme

Im Juni 2018 sorgte starker Regen dafür, dass sogar die Kreuzung Bahnhofstraße/Mühlenstraße überflutet wurde. Seitdem hat sich einiges getan.
(© Jonas Damme)

Der Vortrag des Experten soll vor allem Material liefern, um Steinhagen bestmöglich auf Hitze, Stürme, Starkregen und Sommertrockenheit vorzubereiten. „Ende des Jahrhunderts haben wir hier Mittelmeerklima, unser Klima findet man dann eher in Skandinavien“, so der Ingenieur. Weil das klar sei, könne man sich langfristig darauf vorbereiten. Vor allem sei die Schadensprophylaxe am Ende günstiger als wiederkehrende Schadensbehebung.

„Wir sollten vor das Ereignis kommen, deshalb müssen wir wissen: Wo sind wir verwundbar?“, betonte Kemper. Was Starkregen angehe, sei Steinhagen indes schon auf einem guten Weg. In den vergangenen Jahren wurde die Kanalisation zunehmend darauf vorbereitet, größere Wassermengen aufzunehmen, außerdem wurde viel Geld in Regenrückhaltebecken investiert.

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„Wir müssen jetzt anfangen, die Städte umzubauen“, fordert der Klimafachmann. Eine zukunftsfähige Stadt müsse „aufgelockert“ werden. Wasserflächen und Grünzüge könnten die Hitze mildern und Starkregen aufnehmen. Trockenheitsresistente Bäume können außerdem die Feuchtigkeit in der Stadt halten. Mit einem Zitat eines Kollegen beendete Kemper seinen Vortrag: „Die Stadt für das Klima von morgen muss heute gebaut werden!“

Den Klimaatlas NRW finden Sie hier.

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