Der Bulgare Georgi Gospodinov zählt zu den großen europäischen Schriftstellern. Sein jüngster Roman „Der Gärtner und der Tod“ beweist das einmal mehr
Ein Buch über die Zurichtungen im Sozialismus, jugendliche Rebellion und die Kraft des Gärtnerns
Foto: Lukasz Wierzbowski/Connected Archives
Das Wort Melanchomiker existiert nicht, dabei träfe es auf etliche Dichter zu. Etwa auf Ernst Jandl. Er schrieb 1954 ein Gedicht, das mit dem Titel sommerlied die Erwartung weckt, man habe es mit einem Naturgedicht zu tun, das auf die Schönheit und Heiterkeit dieser Jahreszeit abhebt.
Mein Vater war Gärtner. Jetzt ist er ein Garten
Doch Jandl, Komiker und Melancholiker zugleich, biegt in diesem Gedicht ganz anders und unerwartet ab: „wir sind die menschen auf den wiesen / bald sind wir menschen unter den wiesen / und werden wiesen, und werden wald / das wird ein heiterer landaufenthalt.“ Mag die Sonne auch noch so hell scheinen – die Sense des Todes mäht unerbittlich, sie verschont niemanden, niemals, zu keiner Zeit.
Was hat Georgi Gospodinovs Der Gä
hat Georgi Gospodinovs Der Gärtner und der Tod mit Jandls Versen zu tun? Ganz sicher mehr als nur das Wissen um das Werden und Vergehen eines Menschen. Und auch wenn der Vater des Erzählers nicht im Sommer, sondern im Winter stirbt, bedenkt Gospodinovs Roman wie Jandls Gedicht den Kreislauf von Werden und Vergehen. „Mein Vater war Gärtner. Jetzt ist er ein Garten“, lautet sein erster lakonischer Satz, der die Idyllik durchkreuzt, die mit dem Bild des Gartens als Sinnbild des Paradieses üblicherweise einhergeht.Und doch wendet sich der Erzähler dieses Romans, der, das sei hier gleich gesagt, zu den schönsten zählt, den die Rezensentin seit langem gelesen hat, gleich wieder gegen eine Todesobsession, wie man sie aus Jandls Gedicht herauslesen kann. Das Buch, das dem Leben und Sterben seines Vaters gewidmet ist, will ausdrücklich keines über den Tod sein, sondern eines über die „Sehnsucht nach dem Leben, das fortgeht“, und der Erzähler präzisiert diese Sehnsucht: „Sehnsucht nach einer mit Honig gefüllten Wabe, aber auch nach den leeren Zellen dieser Wabe, nach ihnen sogar noch stärker. Sehnsucht nach dieser Wabe, an die sich auch die Wachskerzen erinnern, während sie in unseren Händen abbrennen.“Dieser Satz, wie der ganze Roman eindringlich übersetzt aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann, zeigt, dass Gospodinov – wie Jandl – ein wirklich herausragendes dichterisches Vermögen sein eigen nennt, dass er über eine berückende Imaginationsgabe verfügt, aus der nicht selten der Witz hervorblinkt: „Ob die Blumen nicht in Wahrheit heimliche Periskope der Toten sind, die unter ihnen liegen und die Welt durch ihre Stängel beobachten?“ Einem Erzähler, der solche Vergleiche anstellt, will man gerne jedes Wort glauben, immer mehr Worte hören.„Der Gärtner und der Tod“ : über die rettende Kraft des ErzählensWovon Der Gärtner und der Tod erzählt, ist dabei nicht leicht zu fassen, auch wenn der Titel etwas anderes glauben macht. Vordergründig könnte man sagen, dass Georgi Gospodinovs Erzähler die Lebensgeschichte seines Vaters, die mit einem langwierigen, schmerzhaften Sterben auf der biologischen Ebene ein Ende findet, aufgeschrieben hat: Der Vater, am Ende seines Lebens Bewohner eines bulgarischen Dorfs und passionierter Gärtner, reist zu Beginn des Romans nach Sofia, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen.Es ist Ende November und er steigt langsam die Stufen zur Wohnung des Sohnes hinauf. Noch ist er dazu in der Lage. Schon einmal hat er den Krebs überlebt. Jetzt sind die Metastasen zurück, Heilung ist ausgeschlossen. Es sind der Sohn und seine Familie, die den Vater bei sich aufnehmen und ihn bis zu seinem Tod begleiten, der nicht lange auf sich warten lässt: „Herr Doktor, werde ich darauf hoffen können, die Kinder an Weihnachten zu versammeln? Der Doktor zögerte drei verräterische Sekunden, bevor er sagte: Ja, zu Weihnachten, das geht.“Der Gärtner und der Tod ist aber auch ein Buch über die rettende Kraft des Erzählens. Es ist der Vater, dessen Blick für Menschen, für die Komik der Situation, für das, was im Leben wirklich zählt, ganz offensichtlich auf den Erzähler übergegangen sind. Der Vater, auch er ein Melanchomiker, kennt eine ganze Reihe „kurzweiliger Geschichten“, sie zu Gehör zu bringen, ist ihm eine Lust. Erzählen ist lebensnotwendig, wie alle großen Bücher über den Anfang und das Ende von Geschichten, ob nun Joan Didions Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben oder auch Vladimir Jankélévitchs Der Tod verdeutlicht das auch dieses Buch.Vom Ende des Sozialismus in Bulgarien, über jugendliche RebellionEs ist zugleich ein Buch über den Sozialismus, über dessen Zurichtungen, über Sanktionen und jugendliche Rebellion dagegen, über die Kraft des Gärtnerns. „Wir können davon ausgehen, dass die Gartenarbeit ursprünglich gegen den Tod gerichtet ist“, heißt es an einer Stelle, und tatsächlich rettet sich der Vater aus einer früheren Krebserkrankung, indem er seine ganze Kraft in seinen Garten steckt.Das Gärtnern ist es, das ihn verkraften lässt, wie die Umbrüche nach dem Ende des Kalten Krieges, das Ende des Sozialismus in Bulgarien, einen erheblichen Bruch auch in seiner Biographie bedeuten, der danach beruflich nie wieder richtig auf die Füße kommt, nicht einmal durchs Gärtnern. Der Versuch, mit Zwiebelanbau Geld zu verdienen, endet in einem riesigen Fiasko schimmelnder Zwiebeln, die niemand haben möchte. „Mein Vater war jener Atlas, der auf seinen Schultern Tonnen von Vergangenheit trug. Und jetzt, wo er gestorben ist, spüre ich, wie diese Vergangenheit Risse bekommt, leise über mir einstürzt und mich unter all ihren Nachmittagen begräbt. Diese leise einstürzenden Nachmittage der Kindheit. Und ich kann niemanden zu Hilfe rufen.“Mit Gedanken in Sätzen wie diesen ist Der Gärtner und der Tod zudem eine Meditation über die Beziehung eines Sohnes zu einem Vater, der den Sohn, das Leben, seine Kinder, den Garten geliebt hat. Georgi Gospodinov, geboren 1968 in Sofia beweist nach dem Natürlichen Roman und Physik der Schwermut einmal mehr, welch großartiger Schriftsteller er ist, dessen Genauigkeit, Lakonie und selbstbewusste Zurückhaltung eine immense Spannung erzeugen. Besonders schön ist in diesem Roman auch, dass ihm wenige, zarte Illustrationen von Lyuba Haleva beigegeben sind. Sie zeigen Insekten, Pflanzenteile, darunter Staubgefäße, übersetzen die Annäherung an Tod und Leben in genaue Bilder.Bestimmte, sehr wenige Lektüren zeitigen einen besonderen Effekt: Hat man den Ton und die Stimme ihres Erzählers aufgenommen, meint man, in den Lesepausen, noch eine ganze Weile nach der Lektüre weiterhin alles durch diese Stimme und ihren Rhythmus aufzunehmen. „Die Welt bekommt seinen Ton“, schrieb Andreas Maier einmal über den Effekt der Lektüre von Peter Kurzeck. Nicht vielen Erzählstimmen gelingt das, die von Georgi Gospodinov gehört dazu.Der Gärtner und der Tod ist eines der Bücher, das man ohne Weiteres auf die legendäre Einsame-Insel-Leseliste nehmen könnte, auf der bekanntlich nicht viele Titel Platz haben. Es ist ein Geschenk: „Jede Geschichte, die einmal durch die Sprache gegangen ist, sich in Worte gekleidet hat, gehört uns nicht mehr, selbst wenn wir sie persönlich erlebt haben. Sie ist bereits genauso Teil der Wirklichkeit wie der Fiktion“. Indem Georgi Gospodinov diese Geschichte vom Tod und den Lebensspuren seines Vaters erzählt, gewinnt er etwas, indem er es teilt, ganz wie sein Gärtner-Vater einst die Erträge seines Gartens verschenkt hat.Der Gärtner und der Tod Georgi Gospodinov Alexander Sitzmann (Übers.), Aufbau 2025, 240 S., 24 €Leseprobe
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