Man muss die Aussage von Hans-Joachim Watzke über die Klub-WM und die seiner Meinung nach arrogante Haltung der Europäer dazu zweimal lesen. Sie enthält, neben dem Arroganz-Vorwurf an Europa, eine zweite Botschaft. „Hier vor Ort bekommen wir mit, wie begeistert die Südamerikaner, die Asiaten und die Afrikaner dieses Turnier begleiten. Für sie hat es einen Wert wie für uns die Champions League“, hatte Watzke der Sportbild gesagt – vielleicht seien die Europäer „etwas zu arrogant. Aber diese Arroganz holt uns gerade etwas ein, denn wir sehen nun, wie stark der südamerikanische Fußball ist“. Die Botschaft, die auch in US-Medien zitiert wurde: Es gibt hier durchaus Spiele, bei denen gefeiert und getanzt wird – nur die Launeverderber aus Europa motzen halt wieder. Diesmal über Hitze, leere Stadien und fußballerische Qualität.
Ebenso spannend an diesem Satz ist jedoch, was Watzke nicht gesagt hat; also welche Weltgegend er nicht erwähnt hat: die USA. Das Land, in dem nächstes Jahr (mit ein paar Spielen in Kanada und Mexiko), wie sie in Amerika sagen, „The Real World Cup“ stattfinden wird. Die „richtige“ WM also. Fakt ist: Das Turnier 2026 mit 48 Nationalteams ist nicht vergleichbar mit diesem Klub-Event, das es in dieser Form zum ersten Mal gibt und das damit auch ein Experiment sein soll für … ja, wofür eigentlich?
Palmeiras bei der Klub-WM
:Tante Leila kämpft um den roten Stern
Seit 1951 betrachtet sich Palmeiras aus São Paulo als erster Klub-Weltmeister. Präsidentin Leila Pereira sagt: „Geschichte lässt sich nicht tilgen.“ Doch Fifa-Präsident Infantino passt das nicht in seine Erzählung.
SZ PlusVon Javier Cáceres
Ob das mit der Fußballbegeisterung in den USA tatsächlich klappen kann? Deren Erwachen wird so oft versprochen und dann wieder vertagt wie Robotaxis von Elon Musk oder das Videospiel GTA 6. Klar, Partien mit südamerikanischer Beteiligung liefern Bilder begeisterter Fans – aber: Das würden sie auch vom Nordpol aus tun. Es gibt aber auch die Bilder aus Orlando, vom Spiel Mamelodi (Südafrika) gegen Ulsan (Südkorea). Offizielle Zuschauerzahl: 3412. Chat-GPT-Bilderanalyse bei Anpfiff: weniger als 700.
Fifa-Präsident Gianni Infantino war höchstselbst zur Partie von Borussia Dortmund gegen Ulsan FC in Cincinnati gekommen; er hatte US-Vizepräsident J. D. Vance mitgebracht. Chat-GPT-Bilderanalyse beim Abspielen der US-Hymne vor dem Spiel: etwa 4000 Leute in der 27 000-Zuschauer-Arena. Am Ende waren es laut Fifa 8000.
Infantino hat also mit eigenen Augen gesehen, worüber die Dortmunder danach auf Suggestiv-Fragen der Reporter (Europäer, natürlich!) sprachen. Zum Beispiel Karim Adeyemi: „Wäre schön, wenn richtig Atmosphäre herrscht und jeder mitfiebern würde, aber wir sind froh über jeden, der kommt.“ Sportdirektor Sebastian Kehl: „Heute waren 8000 Zuschauer da, das ist nicht die größte Werbung für den Fußball hier.“
Und darum geht es doch bei diesem Turnier, Werbung für den Fußball – oder etwa nicht? Oder sind die Fragen möglicherweise andere, nämlich: Wann ist die Klub-WM erfolgreich, und: aus wessen Sicht? Und wie geht es mit ihr dann weiter?
Findet die nächste Klub-WM in Brasilien statt? Oder doch wieder in Nordamerika? Oder gar in Australien?
Wer am Ende draufzahlt, wird man kaum erfahren. Und all den bisweilen trostlosen Bildern zum Trotz: Für 2029, wenn die zweite Auflage stattfinden soll, gibt es bereits Bewerber. Brasiliens Verbandschef Samir Xaud meinte vergangene Woche nach einem Treffen mit Infantino regelrecht verzückt: „Er sagte, dass es absolut möglich sei – nun lasst uns das realisieren.“ Weitere Interessenten sind Marokko, Katar und Saudi-Arabien; die üblichen Verdächtigen sozusagen. Aber auch Australien ist interessiert. Im Dezember hatte es noch geheißen, dass die USA erneut Spielort sein könnten. Aber, da hat Watzke recht: Ohne die Südamerikaner wäre hier kaum was los! Nordamerika hat sich erst mal disqualifiziert.
Die Gründe dafür waren vorhersehbar. Dass es parallel zum Turnier auch viele andere sportliche Höhepunkte gab, die Finalserien in NBA und NHL, die US Open im Golf – fast geschenkt. Da sind die Zielgruppen bisweilen andere. Aber, das ist das größere Problem: Gleichzeitig zur Klub-WM läuft tatsächlich noch ein anderer Soccer-Wettbewerb in den USA, nämlich das Kontinental-Länderturnier Gold Cup. Und die heimische Liga MLS hat just am Mittwoch den Spielbetrieb wieder aufgenommen, mit elf Partien. Warum sollen sich die Leute in Cincinnati bei fast 40 Grad ins Stadion zu BVB-Ulsan schleppen, wenn sie abends in einer der vielen Fußballkneipen in der Stadt den 3:1-Auswärtssieg des FC Cincinnati in Montréal feiern können? Oder die Partien der WM-Teilnehmer Seattle Sounders und Los Angeles FC anschauen, die auch schon wieder in der US-Liga gespielt haben.
Drei gleichzeitig stattfindende Wettbewerbe in den USA, allesamt als Premium-Produkt vermarktet?
Das führt direkt zur nächsten Frage: Ist diese Klub-WM ein Premium-Produkt? Das Beste vom Besten, wie es der Weltverband den Amerikanern und dem Rest der Welt zu erklären versucht? Europäische Nationalspieler hatten am Ende der Saison noch Nations-League-Partien, danach bloß eine Woche Urlaub. Es folgte die Reise auf einen anderen Kontinent, zu Partien, die wegen der Sendezeiten in Europa in der Mittagshitze angepfiffen werden. „All das muss man in den Kontext setzen“, sagt BVB-Trainer Niko Kovac: „Jedem Trainer ist klar, dass es hier keine Höchstleistungen geben kann.“ BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl fand: „Die Qualität war nicht hoch, das sieht man aber auch auf anderen Plätzen. Ich glaube nicht, dass überragende Spiele über 90 Minuten zu sehen sind.“
Also, auch aus Zuschauersicht eher keine Werbung für den Fußball. Was der US-Sport-Fan aber immer und grundsätzlich will: das Beste vom Besten, deshalb nennen sie ihre Meister im Football und Baseball ganz selbstverständlich „World Champions“. Deshalb werden bei der richtigen WM die Stadien auch rappelvoll sein. Was die US-Sport-Fans noch akzeptieren: Spektakel wie bei den Sommerbesuchen der europäischen Fußballvereine zu Marketingzwecken. Die sportliche Qualität darf dann überschaubar sein, wenn es dafür Unterhaltung gibt. Wie auch bei den All-Star-Spielen ihrer Profiligen.
Die Klub-WM bietet beides nicht. Für allzu viel Drumherum ist keine Zeit. Und die Vereine nehmen das Turnier wegen des üppigen Preisgeldes zwar sehr ernst – doch es sind eben jene Südamerikaner, die nicht nur für Stimmung auf den Tribünen sorgen. Sondern auch für mehr Spektakel auf dem Platz.
Botafogo aus Rio de Janeiro besiegte in der Vorrunde den Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain; der Verein stand damit im Achtelfinale – wie alle anderen brasilianischen Vertreter, Palmeiras aus São Paulo sowie die zwei weiteren Rio-Klubs Fluminense und Flamengo. Das Achtelfinale Botafago gegen Palmeiras am Samstag in Philadelphia bot dann bei Temperaturen bis zu 36 Grad, obwohl es nur 1:0 ausging, durchaus Prachtbilder. Etwa vom Ex-Leverkusener Paulinho, wie er nach feinstem Abschluss zum Siegtreffer in 100. Spielminute zu den ekstatischen Palmeiras-Fans sprintete und mit ihnen feierte.
Was man dazu wissen muss: Die Saison der brasilianischen Serie A begann am 29. März, sie pausiert nun wegen der Klub-WM; die Akteure sind voll im Saft und zudem mit der Hitze vertraut. Die Europäer hingegen kamen nach Abschluss ihrer jeweiligen Spielzeiten, sie brachten Blitz-Zugänge, neue Trainer und Transferdebatten mit. Die Begeisterung in Südamerika ist freilich umso größer, weil sie es den Europäern mal ordentlich gezeigt haben. Auch das sei ihnen gegönnt – man sollte den Verantwortlichen europäischer Vereine aber auch gestatten, die Ergebnisse einzuordnen, ohne ihnen gleich Abgehobenheit zu unterstellen.
Damit zurück zu den Fragen: Wann ist diese Klub-WM erfolgreich, und: aus wessen Sicht? Und wie geht es mit ihr dann weiter?
Eine Erkenntnis, die die europäischen Vereine aus dieser Klub-WM wohl mitnehmen müssen: Sie werden auch künftig auf andere Kontinente reisen müssen. Europa ist für das Turnier als TV-Markt gedacht – sogar zur allerbesten TV- und Streamingzeit. Und Europas Ligen sollen bitte ihre Premium-Klubs entsenden, mit denen sonst nur die von Infantino gehasste Uefa Kasse macht, in der Champions League. Ansonsten lautet die klare Botschaft an die Europäer: Als Ausrichter brauchen wir Euch nicht. Wenn Ihr die Millionenprämien haben wollt, steigt in die Flugzeuge.