Bis zuletzt beharrte er darauf, er habe niemandem schaden wollen und eine zulässige Machtkritik ausgeübt: Doch das Amtsgericht verurteilte den früheren Leipziger Stadtrat Jürgen Kasek am Freitagnachmittag zu einer Geldstrafe wegen übler Nachrede. Hintergrund waren Tweets über einen Staatsanwalt, den der 44-Jährige vor zwei Jahren im Zusammenhang mit dem „Tag X“ in ein falsches Licht gerückt haben soll.
Ein vermummter Staatsanwalt, der sich mitten im „Schwarzen Block“ aufhält, der zuvor eskaliert hatte? Es war unter anderem eine solch brisante Nachricht auf Twitter (heute: X), die dem Grünen-Politiker und früherem Leipziger Stadtrat Jürgen Kasek einen Strafprozess eingebracht hatte. Der Vorwurf: Verleumdung. Am Freitag sprach das Amtsgericht sein Urteil.
„Tag X“ in Leipzig: Stadt im Ausnahmezustand
Hintergrund war der „Tag X“ in Leipzig: Am 3. Juni 2023 war es im Leipziger Süden kurz nach der Verurteilung von Studentin Lina E. und Weiterer zu einer Menschenansammlung in der Südvorstadt gekommen. Jürgen Kasek war Leiter einer neu angemeldeten Versammlung, nachdem eine Solidaritätsdemo wegen Eskalations-Bedenken untersagt worden war. Aus der Menge wurden dann Polizeikräfte mit Flaschen, Steinen und Molotowcocktails angegriffen, Beamte verletzt.
Die Polizei kesselte daraufhin etwa 1.300 Personen, darunter viele unter 18, auf dem Heinrich-Schütz-Platz ein, die bis zu elf Stunden und über Nacht ausharren mussten, meist ohne Wasser, Nahrung, Decken und Toiletten. Ein Umstand, der bis heute für Kritik sorgt. Ein Großteil der Verfahren wegen Verdachts auf Landfriedensbruch ist inzwischen eingestellt.
Staatsanwalt und Kriminalbeamtin sorgten für Diskussionen
17 Tage später hatte Kasek getwittert, was dem stadtbekannten Grünen-Politiker und Aktivisten Ärger einbrachte: Zwei vermummte Personen, die sich am „Tag X“ mit vor Ort aufhielten, waren eine Kriminalbeamtin und ein Staatsanwalt, wie sich herausstellte. Ein Foto verbreitete sich im Netz, sorgte für Zündstoff.
Der Polizeikessel am 3. Juni 2023 auf dem Heinrich-Schütz-Platz. Foto: LZ
Den Tweet eines Reporters, der die Staatsbediensteten zutreffend „am Rande des Geschehens“ einordnete, soll Kasek über eine Nachricht im damaligen Twitter mit einer falschen Angabe weitergesponnen haben: „Mitten im schwarzen Block dabei, der für die Eskalation sorgte ein Staatsanwalt. Wäre mir neu, dass Staatsanwälte Straftaten (hier Vermummung) begehen dürfen …“
Außerdem soll der 44-Jährige den Staatsanwalt auch beschuldigt haben, er habe sich, nachdem er mutmaßlich rechtswidrige Maßnahmen befehligte, im Outfit des „Schwarzen Blocks“ in die Versammlung begeben.
Staatsanwalt nach Bloßstellung im Netz unter Polizeischutz
Für die federführende Chemnitzer Staatsanwaltschaft handelte es sich um falsche Behauptungen und rechtlich eine Verleumdung, die den Staatsanwalt ehrenrührig angriff und nahelegte, er könnte sich als „Agent Provocateur“ an Straftaten beteiligt haben. Kasek selbst räumte im Prozess ein, die Tweets verfasst zu haben. Er wollte diese aber als Meinungsäußerung und allgemeine, zynische Machtkritik angesichts der Rechtsverletzungen rund um den „Tag X“ verstanden wissen.
Nie habe er um die konkrete Identität des heute 37-jährigen Justizmitarbeiters gewusst, so Kasek. Tage später wurde der Mann durch Dritte im Netz namentlich bloßgestellt, er bekam zeitweise Polizeischutz und habe Angst gehabt, wie er als Zeuge erklärte. Ein Sozialarbeiter war in diesem Kontext verurteilt worden, er hat Berufung eingelegt.
Gericht: Kasek handelte voreilig, aber nicht berechnend
Dass Kasek dies nicht vorhersah oder gar wollte, billigte ihm das Gericht zu. Dennoch habe er eine faktisch falsche Botschaft verbreitet, die weder eine Meinungsäußerung noch vieldeutig sei, sondern ein folgenschweres Bild aufwerfe, das bis in Justizkreise seine Bahnen zog, sagte Amtsrichterin Ute Fritsch am Freitag: „Wenn man etwas nicht genau weiß, darf man es, insbesondere mit Ihrer Reichweite, nicht in die Welt schicken.“
Zu Kaseks Gunsten nahm Fritsch an, dass er die Mitteilungen ohne Berechnung und unter dem Eindruck von Annahmen zu verdeckten Ermittlern abgesetzt habe, wofür auch die kurze Tweet-Frequenz spreche. Daher wurde Kasek wegen übler Nachrede verurteilt. Ursprünglich lautete die Anklage auf Verleumdung, die den Nachweis einer bewussten Lüge voraussetzt.
Verteidigung erhob Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft
Hierauf hatte die Staatsanwaltschaft plädiert, die unter Einbezug eines früheren Verfahrens 120 Tagessätze à 25 Euro forderte. Amtsrichterin Fritsch verhängte 100 Tagessätze à 30 Euro, auch hier floss das Altverfahren mit ein.
Kaseks Verteidigerin Christiane Götschel wollte einen Freispruch. Sie hatte im Verbund mit ihrem Mandanten wiederholt Vorwürfe gegen die Leipziger Anklagebehörde erhoben, die sich in die Ermittlung der Chemnitzer Kollegen eingemischt und einseitigen Verfolgungseifer gezeigt habe. Das Recht Kaseks auf ein faires Verfahren sei vielfach verletzt worden.
Dieser räumte zumindest ein, dass ihm die Überspitzung „nicht gelungen“ sei, auch das „Doxxing“ des Staatsanwalts tue ihm leid, so der zweifache Vater. Ebenso sei die Gewalt gegen die Polizei am „Tag X“ nicht zu rechtfertigen, sagte Kasek. Gegen seine Verurteilung will er Rechtsmittel prüfen.