Digitale Souveränität ist das Gebot der Stunde. Mit einem erratisch agierenden US-Präsidenten merkt Europa gerade, wie abhängig es bei digitalen Diensten von großen US-Konzernen wie Microsoft, Google, Apple oder Amazon ist. Nicht anders ist das bei der Stadt München. Die Leiterin des IT-Referats, Laura Dornheim, sprach am Freitag auf dem Digitaltag der Stadt, zu dem 450 interessierte Bürgerinnen und Bürger ins IT-Rathaus am Agnes-Pockels-Bogen gekommen waren, von einem „Wake-up-call“.

„Donald Trump lehrt uns, wie wichtig es ist, zu diversifizieren und nicht nur auf ein Pferd zu setzen“, sagte Dornheim. Und ein Hebel, um nicht in Abhängigkeiten bei der digitalen Transformation zu geraten, sei Open-Source-Software. Open Source heißt, dass die Entwicklerinnen und Entwickler den Quellcode ihrer Programme veröffentlichen. Er ist für jeden (der sich auskennt) einsehbar und kann ohne Lizenzgebühren genutzt und weiterentwickelt werden.

Nun hat die Stadt München eine eher wechselvolle Geschichte mit dem Thema: 2003 hatte der Stadtrat beschlossen, die Verwaltung auf Open-Source-Software umzustellen – weg von Windows und Office. Die Stadt wollte nicht nur teure Lizenzkosten für den US-Techkonzern Microsoft einsparen, die Verwaltung sollte auch unabhängiger und flexibler, heute würde man sagen: digital souveräner werden.

Doch das Linux-Projekt namens LiMux scheiterte im Jahr 2017, nach nur drei Jahren Einsatz in der Verwaltung. Das Programm sei zu kompliziert und nicht mit anderen Anwendungen kompatibel. Man wolle zurück zum „Industriestandard“, sagte seinerzeit Oberbürgermeister Dieter Reiter.

Die 43 000 städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen also mittlerweile wieder Word, Outlook und PowerPoint. Doch sie, und auch die 1,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt, kommen durchaus in Kontakt mit Open-Source-Anwendungen; auch wenn sie das auf den ersten Blick nicht erkennen können.

München bietet mittlerweile rund 300 digitale Dienstleistungen an, vom Anmelden des Hauptwohnsitzes über das Beantragen des Anwohnerparkausweises bis zum Stellen eines Bauantrags. 100 davon basieren auf Open-Source-Software, sagte am Freitag Dirk Gernhardt, der Open-Source-Beauftragte der Stadt und Leiter der Entwicklungsabteilung.

München hat sich mit dem Ende von LiMux also keineswegs von offener und freier Software verabschiedet – auf der Website opensource.muenchen.de kann sich jeder ein Bild davon machen und sich die Projekte anschauen.  Eines davon ist beispielsweise „Zammad“ (bayerisch für „zusammen“). Das System teilt den Münchnerinnen und Münchnern mit, wie weit die Bearbeitung ihres digitalen Anliegens bereits gediehen ist.

Die Stadt hat sich mittlerweile dem Grundsatz „public money, public code“ verpflichtet, also dass öffentliche Gelder in offene Software fließen sollen. So muss seit Januar 2024 bei neuen Projekten geprüft werden, ob eine Open-Source-Alternative zu kommerzieller und proprietärer Software möglich und sinnvoll ist.

„Das hat den Effekt, dass Open Source im Entscheidungsprozess stärker eingebunden wird“, sagt Gernhardt. Allerdings gebe es in manchen Fachbereichen so spezielle Anforderungen, dass sich für diese oft keine ausgereiften alternativen Lösungen finden lassen.

IT-Sicherheit

:Wie sich die Stadt München gegen Cyber-Angriffe schützt

Die digitale Infrastruktur von Kommunen vor Kriminellen abzuschirmen, wird immer wichtiger. In München gibt es darum nun eine eigene Hauptabteilung im IT-Referat. Pro Monat werden hier allein vier Millionen Phishing- oder Spam-Mails aussortiert. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.

Die IT-Landschaft der größten Kommunalverwaltung Deutschlands mit 15 verschiedenen Referaten ist extrem vielfältig. „Wir sind kein Industrieunternehmen, das sagen kann, wir fokussieren uns auf unsere Kernkompetenz“, sagt Gernhardt. „Klar, wir geben Personalausweise aus, aber im Gesundheitsamt arbeiten Ärzte, und die brauchen Software, um Röntgengeräte zu betreiben. Im Baureferat arbeiten Ingenieure, die CAD-Systeme am Laufen haben.“

Einfacher sei die Software-Frage bei den Servern im städtischen Rechenzentrum zu beantworten. Zwar haben man durchaus auch Windows-Server, aber die meisten laufen mit Linux, so Gernhardt. Ungefähr 20 Prozent der genutzten Software entwickle man im Haus selbst, 80 Prozent werden eingekauft.

Nun wurde München vom Branchenverband Bitkom 2024 zum zweiten Mal nacheinander zur „smartesten Stadt“ Deutschlands gekürt, vor Hamburg und Köln. Und so könnte man auf die Idee kommen, dass sich die Städte untereinander austauschen und vielleicht auch gemeinsam eine Software entwickeln oder die einer anderen Kommune nutzen.

Zwar gibt es mittlerweile die Plattform opencode.de, die vom Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung (ZenDiS) betrieben wird und auf der Verwaltungen den Code ihrer Software veröffentlichen können. Und dort finde sich auch ein Programm des Mobilitätsreferats, mit dem Verkehrsdaten analysiert und visualisiert werden können, sagt Gernhardt, für das sich andere Kommunen schon interessiert hätten. Aber bis heute habe man es nicht geschafft, dass es auch andere Städte betreiben. Vor allem kleinere Städte hätten oft nicht die Fachleute, um eine selbst entwickelte Anwendung in die eigene IT-Infrastruktur zu integrieren.

Und Kooperationen über Bundeslandgrenzen scheiterten häufig am Föderalismus, weil Projekte nur mit Partnern aus dem eigenen Land gemacht werden dürfen, so Gernhardt. So wollte München Pläne mit dem Land Schleswig-Holstein umsetzen, das seine Verwaltung frei von Microsoft-Produkten machen und auf Open Source umstellen will, durfte es aber letztlich nicht.

Auch von landeseigenen Identifizierungssystemen wie der Bayern ID hält Gernhardt nicht viel. „Was macht ein Bayer damit, wenn er nach Hamburg zieht?“  Ideal wäre für ihn eine europaweit einheitliche EU-ID. Aber bis zur digitalen Souveränität Europas dürfte es noch ein weiter Weg werden.