Manchmal sieht man sie auch am helllichten Tag. Sie leben unter uns. „Auf jeden Deutschen kommen vier Ratten“, stellte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am Mittwoch, dem 25. Juni, trocken fest, als ein Antrag aus dem Stadtbezirksbeirat Ost zum Aufruf kam. Dort haben Ratten in den letzten zwei Jahren für einige Aufregung gesorgt.
Bürger riefen bei der Stadt an, bei der LWB, im Stadtbezirksbeirat. Sie wandten sich ans Quartiersmanagement. Am Ende wandte sich der Stadtbezirksbeirat direkt an die Ratsversammlung. Und da wurde das Thema dann heiß diskutiert.
Hat Paunsdorf ein besonderes Rattenproblem? Im Antrag des Stadtbezirksbeirats klang das zumindest so: „Das Quartiersmanagement Paunsdorf machte die Stadtbezirksbeiräte Ost Ende letzten Jahres auf die Lage eines starken Rattenbefalls im Stadtteil Paunsdorf an mehreren Standorten aufmerksam. Es wurden durch entsprechende Wohnungsbauunternehmen bereits Maßnahmen in deren Zuständigkeit getroffen. Das Problem weitet sich jedoch stark aus und macht die getroffenen Maßnahmen nahezu obsolet.“
Entsprechend dringlich trug Christoph Sedlaczek, Mitglied des Stadtbezirksbeirats Ost, am 25. Juni das Anliegen vor. Denn im Stadtbezirksbeirat wird das Thema seit über zwei Jahren immer wieder angesprochen. Und das, was die Wohnungsunternehmen gegen die Rattenplage machen, scheint nicht zu genügen.
„Es wird befürchtet, dass sich die Nester noch stärker verbreiten als bisher einschätzbar ist und sich die Plage auf weitere Stadtteile ausweitet. Trotz der Beschreibung durch das Quartiersmanagement Paunsdorf, dass nicht alle Bereiche einsehbar sind, reichen die Sichtungen aus, um von einer überdurchschnittlichen Anzahl Ratten im Stadtteil (einer Großstadt) und einer Plage zu sprechen.
Das Quartiersmanagement Paunsdorf hat uns gebeten, aufgrund eigener Kapazitätsgrenzen erneut Meldung und Handlungsaufforderung zu stellen“, so der Stadtbezirksbeirat.
So sieht es an den Papierkörben in den Leipziger Parks regelmäßig aus. Foto: Ralf Julke
Das Quartiersmanagement war in einer Mail im Januar um dringliche Worte auch nicht verlegen: „Die Rattenplage in Paunsdorf wird von den ansässigen Wohnungsbauunternehmen sehr ernsthaft verfolgt. Ratten-Nester im Bereich der Flächen der Wohnungsbauunternehmen werden zeitnah beködert. Leider bewegen sich die Tiere auch in/auf/unter Flächen, die der Stadt gehören, z.B. im Parkstreifen Platanenstraße, der von kleinen Grünflächen mit Bodendeckern begrenzt wird.
Die Bodendecker sind so stark wuchernd, dass ein Einblick nicht möglich ist und daher auch schwer zu sagen, ob und wo sich unter ihnen Nester befinden. Besonders offensichtliche Nester befinden sich z. B. in der Goldsternstraße, angrenzend an den Aldi Parkplatz.
Um das Problem in seiner Gänze zu dokumentieren und einschätzen zu können, wäre eine gründliche Begehung sämtlicher öffentlicher Flächen erforderlich, für die das Quartiersmanagement im Moment und in Anbetracht des knappen Zeitfensters keine Kapazitäten hat. Nur durch eine gründliche Prüfung sind einzelne Maßnahmen der Wohnungsbauunternehmen nachhaltig und zielführend.“
Tut die Stadt denn nichts?
Ist der Alarm nicht bei der Stadt angekommen? Oder ist das Problem nicht doch ein Menschliches? Darauf ging Linke-Stadträtin Beate Ehms in einem durchaus launigen Beitrag ein, in dem sie eben darauf verwies, dass Ratten Kulturfolger sind. Sie folgen dem Menschen, weil der sie mit Nahrung versorgt. Meist ungewollt.
Aber in der Regel fahrlässig. Auch in Leipzig. Da hilft es nicht die Bohne, wenn Wohnungsgesellschaften ihre Grundstücke mit Ködern bestücken und die Stadtreinigung öfter durchkommt, um die Papierkörbe zu leeren. Denn der bequem gewordene Mensch der Gegenwart entsorgt seine Essensreste oft genug völig gedankenlos. Worauf auch SPD-Stadtrat Andreas Geisler einging, der dasselbe Problem aus dem Umfeld einer Schule in Gohlis-Nord kennt.
Es taucht überall auf, wo Menschen Essbares gedankenlos in die Landschaft entsorgen. Ob nun in Papierkörben oder unverschlossenen Mülltonnen. Oder auch einfach auf Weg und Steg, wo man gerade lief und aß. Selbst die Leipziger Krähen wissen das und finden dort ihr Futter. Und wenn dann Essensreste auch noch in die Kanalisation gespült werden, sind auf einmal auch die Wasserwerke involviert.
Brauchte es also wirklich erst eines Antrags aus dem SBB Ost, damit die Stadt handelt? Das fragte SPD-Stadträtin Anja Feichtinger. Nein, sagte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, der das Problem durchaus kennt und auch weiß, dass man mit verstärkten Maßnahmen gegen Ratten auch das Gegenteil bewirken kann. Das klingt dann für die Betroffenen so, als wolle er gar nichts machen. Oder – wie Grünen-Stadträtin Marsha Richarz erklärte – die Bürger würden zwischen den Ansprechpartnern der Stadt nur hin und her geschoben.
Was so freilich auch in der Stellungnahme des Ordnungsamtes nicht stand. Man habe die zehn erfassten Bürgerhinweise durchaus ernst genommen und die Grundstückseigentümer (in einem Fall auch die Stadt) zum Handeln aufgefordert.
Eine Arbeitsgruppe für Paunsdorf
Aber den Wunsch des Stadtbezirksbeirats zu Gründung einer Arbeitsgruppe, die sich dem Rattenbefall in Paunsdorf widmet, wolle man durchaus nachkommen: „Um über den konkret gefahrenabwehrrechtlichen Anlass hinaus einen objektiven Überblick über die Lage im Stadtteil Paunsdorf zu erlangen, sollte die umfangreiche Prüfung und Begutachtung der Situation durch die zuständigen Fachämter, in Form einer dezernats- und ämterübergreifenden Arbeitsgruppe, erfolgen.
Aus den gesammelten Ergebnissen inkl. der Ermittlung der Ursachen können im Anschluss Handlungsempfehlungen und das gemeinsame Vorgehen abgestimmt werden.
Ein gemeinsam abgestimmtes umsetzungsfähiges Verfahren aller Flächeneigentümer, Trinkwasser- und Abwassernetzbetreiber, beteiligte Ämter ist notwendig. Ziel sollte ein langfristiges ineinandergreifendes Handeln sein, welches nicht nur bei Bekanntwerden eines Befalls greift, sondern auch zu einem frühzeitigen, vorbeugenden Unterbinden des Problems beiträgt (Prävention). Ein gesamtheitliches Herangehen dient ebenso der Vermeidung von weiteren Schäden in der Infrastruktur – defekte Fußwege und Wasserleitungen.“
Und zur Prävention gehört nun einmal auch der Mensch, der mit seinen gedankenlos in die Landschaft geworfenen Essensresten die Ratten regelrecht anlockt: „Neben abgestimmten baulichen Maßnahmen sind auch bildungsgesellschaftliche Aspekte, wie z.B. gezielte Wissensvermittlung über Müllentsorgung, Mülltrennung u.ä., zu unterstützen und weiter auszubauen“, so das Ordnungsamt.
Dem Anliegen des Stadtbezirksbeirats, so eine umfassende Prüfung zu initiieren, folgte die Ratsversammlung dann mit klarer Mehrheit. Vielleicht könnte Paunsdorf ja beispielhaft werden für das Vorgehen Leipzigs gegen zu viele Ratten. Ganz wird man die Tierchen ganz bestimmt nicht los. Dazu gibt es viel zu viele Futterquellen, die die Tiere in die Stadt locken. Und viel zu viele gedankenlose Zeitgenossen, denen das völlig egal ist.