Seltsam auch: „Da an der Fundstelle keine weiteren Elfenbeinfragmente gefunden wurden, muss die Sichel anderswo hergestellt und in die Obłazowa-Höhle gebracht worden sein, was ihren besonderen Status unterstreicht“, schreiben die Archäologen. Aber wer hat diese Elfenbeinsichel hergestellt und wozu?

Aborigine hält zwei Bumerang-Varianten in der HandNur die in einem bestimmten Winkel gebogene Bumerang-Variante kommt zum Werfer zurück, der flachere “Queensland”-Bumerang hingegen nicht. © chameleonseye/iStock
Bumerang ohne Wiederkehr

Jetzt enthüllen neue Analysen des Fundstücks: Bei der Sichel handelt sich um einen vollständig erhaltenen Bumerang. „Das Obłazowa-Artefakt ähnelt stark dem Queensland-Typ der australischen Bumerange”, berichten Talamo und ihre Kollegen. Bei diesen Bumerangen handelt es sich um stark gebogene Wurfstöcke, die nicht zum Werfer zurückkehren. Wurfexperimente mit einer Nachbildung aus Epoxidharz belegten eine solche Flugbahn auch für die Obłazowa-Sichel.

Die Wurftests zeigten auch, dass die abgeflachte Form den Steinzeit-Bumerang besonders weit fliegen ließ. Das legt nahe, dass die Menschen den Mammutzahn damals absichtlich abflachten, um die Flugeigenschaften dieser Wurfwaffe zu verbessern. 

Ritualobjekt statt Jagdwaffe?

Australische Aborigines nutzen solche „Queensland“-Bumerange seit tausenden Jahren als Jagdwaffe für kleinere Tiere, Multifunktionswerkzeug, als Spielzeug und für Zeremonien. Doch welchen Zweck erfüllte der in Polen gefundene Bumerang? Einen Hinweis darauf liefern dekorative Kerben im Elfenbein und die Farbe des Bumerangs: Er und die anderen Gegenstände in der Höhle wurden mit einem roten Ocker-Mineral überzogen, wie Spuren belegen. 

Aus der Bemalung und der kunstvollen Bearbeitung dieser Gegenstände schließen die Archäologen um Talamo, dass sie höchstwahrscheinlich eine rituelle Funktion hatten. Der Bumerang spielte demnach womöglich eine wichtige Rolle in steinzeitlichen Ritualen. Ob das Wurfwerkzeug neben seiner symbolischen Bedeutung auch als Waffe oder Jagdwerkzeug diente, ist noch unklar.

Aus anderen Fundstellen von frühen Homo sapiens in Europa sind weitere kunstvoll verzierte Waffen und Werkzeuge bekannt, bei denen der primäre Zweck umstritten ist. „Beispiele in dieser Diskussion sind durchbohrte Schlagstöcke, die seit ihrer Entdeckung unterschiedlich interpretiert wurden, als Symbole der Autorität, Zeltpflöcke, Speerschleudern oder Werkzeuge zur Seilherstellung“, berichten Talamo und ihre Kollegen.
Fotos des Bumerangs aus verschiedenen PerspektivenDer Bumerang aus Mammutstoßzahn aus der Schicht VIII in der Obłazowa-Höhle. © Talamo et al., 2025, PLOS One/CC-by 4.0

Der vielleicht älteste Bumerang der Welt

Um das Alter des Bumerangs aus der Obłazowa-Höhle zu bestimmen, hatten frühere Archäologenteams bereits die Sedimente, in denen er gefunden wurde, umliegende Artefakte und den Bumerang selbst untersucht. Die Tests lieferten jedoch widersprüchliche Ergebnisse, vermutlich wegen Kontaminierungen der Proben. Neue Radiokarbondatierungen und Modellierungen von Talamo und ihren Kollegen ergaben nun ein konkretes Alter des Elfenbein-Bumerangs zwischen 42.290 und 39.280 Jahren.

Damit handelt es sich um einen der bislang ältesten Funde eines Bumerangs aus Europa – möglicherweise sogar um den ältesten Bumerang der Welt, wie das Team erklärt. In Österreich wurde zwar ebenfalls ein Bumerang aus Mammut-Elfenbein aus dem Jungpaläolithikum gefunden, sein genaues Alter ist aber unbekannt. Der älteste bekannte Bumerang aus Holz wurde in Südaustralien entdeckt und auf ein Alter zwischen 10.200 und 8.990 Jahren datiert.

Wer hat den Bumerang erfunden?

Das hohe Alter des Bumerangs aus Polen unterstreicht, dass schon die ersten Vertreter des Homo sapiens in Europa komplexe und innovative Werkzeuge erschufen. Die Datierung beleuchte sowohl die technischen Fähigkeiten als auch die kognitiven Fortschritte des Homo sapiens bei der Herstellung dieser komplexen Werkzeuge beleuchtet, erklären Talamo und ihre Kollegen. Da der Bumerang zudem rituelle oder symbolische Zwecke erfüllte und weit aufwendiger herzustellen war als der simple Körperschmuck der ersten Steinzeit-Menschen in Europa, zeugt er auch von frühen Innovationen im Kunstverständnis des Homo sapiens.

Doch wem genau sind diese Innovationen zuzuschreiben? Aus den Artefakten in der Höhle sowie Tierknochen und einem menschlichen Daumenknochen geht hervor, dass damals Menschen aus zwei frühen Kulturen zeitgleich in dieser Region in Mitteleuropa lebten: der Pawlow-Kultur und der frühen Aurignacien-Kultur, wie die Forschenden erklären. Welche dieser beiden Kulturen den Steinzeit-Bumerang erschuf, ist jedoch nicht geklärt, denn in der Höhle finden sich Hinterlassenschaften von beiden.

Mehrfach unabhängig entwickelt?

Klar scheint aber, dass der rund 40.000 Jahre alte Elfenbein-Bumerang auf eine dieser Kulturen zurückgeht. Diese Menschen könnten damit vielleicht sogar die Erfinder des ersten Bumerangs überhaupt gewesen sein. Die Aborigines und andere Kulturen wie die Ägypter könnten die Bumerang-Form unabhängig davon zu späteren Zeitpunkten für sich entdeckt haben, betont das Team angesichts der insgesamt seltenen Bumerang-Artefakte weltweit.

„Die verstreuten Beweise legen nahe, dass der Bumerang zwar kein allgegenwärtiges Werkzeug war, seine Präsenz in verschiedenen Kulturen jedoch eher auf unabhängige Innovationen als auf eine direkte Übertragung zurückzuführen ist, was seine Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Umwelt- und Kulturkontexte belegt.“ (PLOS One, 2025; doi: 10.1371/journal.pone.0324911

Quellen: PLOS, Małopolska-Kulturinstitut in Krakau







30. Juni 2025

– Claudia Krapp