Gladbeck. In der Selbsthilfegruppe „Aufbau“ kommen psychisch Kranke in den Dialog. Gruppenleiter erklärt, warum Selbsthilfe funktioniert.

Zwei Stunden Anlauf, um die Spülmaschine auszuräumen – für gesunde Menschen unvorstellbar, für Depressive Alltag. „Tiefgehende Traurigkeit, Gefühlsleere, bleierne Schwere“: Michael Skerstinat aus Gladbeck ist überzeugt, dass psychisch stabile Menschen nicht nachvollziehen können, wie sich eine Depression anfühlt. Weil Betroffene in ihrem Umfeld oft auf Unverständnis stoßen, hat er die Selbsthilfegruppe „Aufbau“ gegründet.

Die Gruppe richtet sich an Menschen mit Depressionen, Angst- und Panikstörungen. Skerstinats Ziel: „Ein offenes Ohr für jedermann“ zu haben. Den Gruppenmitgliedern helfe es, sich anderen Betroffenen anzuvertrauen. Denn die könnten das Erzählte oft viel besser nachvollziehen als Nicht-Betroffene. Skerstinat nimmt sich bei den Gesprächsrunden als Gruppenleiter übrigens nicht aus. Er leidet selbst seit seiner Jugend an Depressionen und erzählt wie alle anderen Gruppenmitglieder von den Herausforderungen, die die Krankheit mit sich bringt.

Depressionen machen vor niemandem Halt: So vielfältig sind die Mitglieder der Selbsthilfegruppe

Neben dem Zuhören gehe es in der Selbsthilfegruppe außerdem darum, den Teilnehmenden einen „bunten Blumenstrauß an Lösungen“ anzubieten, so Skerstinat. Die Mitglieder sollten lernen, mit ihrer Situation umzugehen und diese für sich zu verbessern. Dazu gehöre auch die Suche nach einem Therapieplatz. Das medizinische Fachpersonal könne den Betroffenen auf andere Weise helfen als die Selbsthilfegruppe.

Dass Depressionen vor niemandem Halt machen und nicht nur als Folge von Traumata oder anderen einschneidenden Erlebnissen auftreten, kann man an der Selbsthilfegruppe „Aufbruch“ ablesen. „Quer durch alle Schichten der Gesellschaft“ ziehe sich das Spektrum der Teilnehmenden. Das jüngste Mitglied der Gruppe sei 39 Jahre alt, das älteste 66. Einige der Mitglieder würden arbeiten, manche seien krankgeschrieben, wieder andere in Rente.

Selbsthilfegruppe „Aufbruch“ ist offen für neue Mitglieder

Die Selbsthilfegruppe ist stark gefragt. Lange habe sie keine neuen Mitglieder aufnehmen können, erzählt Skerstinat. Einige hätten monatelang auf der Warteliste gestanden. Vor kurzem jedoch habe Skerstinat die Kapazität der Gruppe von zwölf auf 14 Teilnehmende erhöht. Mittlerweile nehme die Gruppe wieder neue Mitglieder auf, darauf weist ihr Leiter hin.

„Das erwärmt mein Herz sehr“

Michael Skerstinat über positives Feedback

Gründer der Selbsthilfegruppe „Aufbau“ in Gladbeck

Skerstinat empfiehlt allen Menschen, die an einer Krankheit leiden, sich in einer Selbsthilfegruppe anzumelden. Egal, ob die Krankheit psychischer oder physischer Natur sei. Er selbst profitiere nämlich auch als Mitglied einer Selbsthilfegruppe des Kreuzbundes in Gladbeck von dem Austausch mit anderen Erkrankten. Seit dem Jahr 1999 besuche er die Gruppe für alkoholkranke Menschen.

Für Skerstinat ist Selbsthilfegruppe mittlerweile eine „erweiterte Familie“

Ihn stört, dass psychischen Erkrankungen noch immer Stigmata anhaften. Vor allem Menschen, die an Depressionen leiden, würden seiner Erfahrung nach häufig als „Drückeberger“ oder „Verweigerer“ missverstanden. Er weist darauf hin, dass Erkrankte oft arbeiten wollen, es aber einfach nicht schaffen. Trotzdem hat er den Eindruck, die Gesellschaft sei in den elf Jahren seit der Gründung seiner Selbsthilfegruppe „offener für Depressionen“ geworden.

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Nicht nur als Betroffener, sondern auch auf menschlicher Ebene profitiert Skerstinat von der Selbsthilfegruppe „Aufbau“. Er bezeichnet die Gruppe als „erweiterte Familie“. Nicht selten würden gemeinsam traurige, aber auch glückliche Tränen geweint. Wenn er miterlebt, wie eine Person, die wegen psychischer Beschwerden krankgeschrieben war, wieder zurück in den Beruf und ins Leben findet, sei das „Balsam für seine Seele“. Auch das Feedback von Teilnehmenden berühre ihn: „Das erwärmt mein Herz sehr.“

Die Selbsthilfegruppe „Aufbruch“ trifft sich jeden Mittwoch von 16 bis 18 Uhr. Weitere Informationen finden Interessierte auf der Internetseite der Gruppe.