Es war der große Moment der Erneuerung. Nach 14 Jahren konservativer Regierungszeit schien die britische Labourpartei nach ihrem Wahlsieg im Sommer 2024 bereit für den Aufbruch. Keir Starmer, der nüchterne Reformer, zog in die Downing Street Nummer 10 ein – getragen von einem großen Versprechen: Wandel. Alles sollte besser werden.

Ein Jahr später ist davon wenig geblieben. Denn nicht nur von außen wächst der Druck, auch im Inneren der Partei drohen Probleme. Parteichef und Premierminister Keir Starmer steht schon jetzt vor einer ersten großen Bewährungsprobe. Konkret geht es um Einschnitte bei staatlichen Leistungen für Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten, über die am kommenden Dienstag im Parlament abgestimmt werden soll.

Labour-Abgeordnete gegen Sparpläne ihrer eigenen Finanzministerin

Finanzministerin Rachel Reeves will sparen, um Spielräume für künftige Investitionen zu schaffen. Über 120 Labour-Abgeordnete lehnten die Pläne ab, viele öffentlich. Zugeständnisse der Regierung konnten offenbar einen Teil von ihnen besänftigen, doch in der Fraktion brodelt es weiter, und das aus nachvollziehbaren Gründen. Denn die Maßnahme trifft einen sensiblen Bereich.

Labour ist stark in der sozialdemokratischen Tradition verwurzelt. Die Menschen in der Partei glauben an Armutsbekämpfung, an die Verringerung von Ungleichheiten und an grundlegende, auf soziale Gleichheit ausgelegte Ziele. Doch in traditionellen Bereichen wie der Reduzierung von Kinderarmut, die vielen Mitgliedern am Herzen liegen, hat diese Regierung im ersten Amtsjahr praktisch so gut wie nichts unternommen.

Labour rechtfertigt diesen heiklen Kurs mit dem Anspruch, ökonomisch verlässlich zu handeln. Die Partei will nach Jahren, in denen ihr wirtschaftspolitische Kompetenz abgesprochen wurde, das Vertrauen der Märkte und Unternehmen zurückgewinnen. Steuererhöhungen bei zentralen Abgaben wie der Einkommens- oder Mehrwertsteuer wurden früh ausgeschlossen. Statt auf klassische Umverteilung setzt die Regierung auf eine wachstumsorientierte Strategie, in der Stabilität und Haushaltsdisziplin Priorität haben.

Das Problem: Die äußeren Umstände sind schlecht. Eine stagnierende Konjunktur, schwierige globale Rahmenbedingungen und hohe Zinsen erschweren das Regieren. Viele ehrgeizige Versprechen geraten ins Stocken, weil das Geld fehlt. Doch wer mit dem Anspruch angetreten ist, öffentliche Dienste wie den nationalen Gesundheitsdienst NHS nach Jahren der Austerität für die Menschen spürbar zu verbessern, muss auch bereit sein, zu investieren – sonst wird der versprochene Wandel schnell zur Enttäuschung.

Labour macht Politik gegen die Stammwählerschaft

Innerhalb der Bevölkerung wächst der Unmut: Warum wird gerade im sozialen Bereich gespart – dort, wo Labour traditionell verankert ist? Starmer bemüht sich in öffentlichen Auftritten, Orientierung zu geben, zu erklären, dass Wachstum die Grundlage für Investitionen und soziale Gerechtigkeit schaffen soll – doch die Botschaft verfängt nicht und wird durch Kehrtwenden weiter verwässert. Nach knapp einem Jahr ist den Briten nicht mehr klar, wofür Labour noch steht. Für sozialen Ausgleich oder Budgetstrenge? Für Reform oder Verwaltung?

Labour präsentiere sich in der Regierung weniger als gestaltende Kraft mit eigener Vision, sondern als Gegenmodell zur rechtspopulistischen Reform UK unter Nigel Farage. Klare linke Inhalte treten in den Hintergrund, stattdessen dominiert vorsichtiges, defensives Handeln. Im Bereich Migration übernimmt die Labour-Regierung sogar rechte Rhetorik – ein weiterer Ausdruck ihrer strategischen Anpassung.

Doch wer sich dauerhaft nur durch Abwehr definiert, ohne ein eigenes politisches Projekt voranzutreiben, riskiert langfristig, an Bedeutung zu verlieren. In aktuellen Umfragen legt Reform UK weiter deutlich zu – ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass die Rechten gestärkt werden, wenn man ihre Botschaften übernimmt. Gibt es für Labour einen Ausweg? Eine grundlegende politische Neuausrichtung der Regierung scheint derzeit unwahrscheinlich, wirtschaftliche Erholung könnte zumindest neuen Spielraum verschaffen.

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