Äußerlich macht der Katalog zur 31. Leipziger Jahresausstellung, die am 27. Juni eröffnet wurde, nicht viel her. Auf der Vorderseite zeigt er das Motto der diesjährigen Ausstellung „TON“, auf der Rückseite dessen Umkehrung: „NOT“. Denn wie kaum eine Jahresausstellung vorher war die diesjährige von den Malaisen in der öffentliche Förderung betroffen. Sowohl Freistaat als auch Stadt sahen sich nicht in der Lage, die diesjährige Ausstellung zu fördern. Da war also echter Rat in der Not gefragt. Und es fanden sich Helfer in der Not, die die Ausrichtung der Ausstellung mit ihren Spenden dann trotzdem noch ermöglichten.

Es ist nicht irgendeine Ausstellung. Das weiß jeder, der die vorhergehenden 30 Ausstellungen besucht hat. Es ist im Grunde die jährliche Leistungsschau der Leipziger Künstlerinnen und Künstler – und all jener, die sich auch von außerhalb um eine Teilnahme an der Ausstellung bewerben. Vom Namen her knüpfte die Ausstellung ab 1992 an ihre berühmte Vorgängerin in den Jahren 1910–1927 an, die sich als eine Ausstellung der Moderne im deutschen Kunstraum etabliert hatte.

Und die 31. Jahresausstellung der Gegenwart zeigt dementsprechend auch die Vielfalt dessen, was heute an Kunst geschaffen wird. Und Vielfalt trifft es wirklich.

Wer die Ausstellung in der Werkschauhalle in der Spinnerei besucht, sieht es mit eigenen Augen, auf wie vielfältige Weise Künstlerinnen und Künstler die Gegenwart ins Bild setzen, ins Foto, die Installation oder in die Skulptur. Die Moderne ist ja längst zur Postmoderne und zur Post-Postmoderne geworden. Heißt: Die Vielfalt der Stile hat längst jeden Rahmen gesprengt. Künstler/-innen lassen sich nicht mehr in Schulen und Stilrichtungen pressen.

Und sie müssen sich auch nicht mehr gegen einen konservativen Kunstgeschmack durchsetzen, der noch bis in die 1920er Jahre die Sicht des kaufkräftigen Bürgertums (auch in Leipzig) auf die Kunst prägte. Damals spielte auch der Begriff Sezession noch eine ganz zentrale Rolle. Man setzte sich ab vom Altbackenen und Überlebten. Kunst war auch Protest und Rebellion.

Wie fängt man die Blicke ein?

Was natürlich schwierig ist in einer Zeit, in der nicht mehr reiche Kaufleute mit einem konservativen Kunstgeschmack bestimmen, was verkäuflich ist und was nicht, sondern ein Kunstmarkt, auf dem es auch darum geht, aufzufallen, ins Auge zu fallen, die potenziellen Käufer zu frappieren.

Und das passiert längst auf vielfältigste Weise. Das komplette Repertoire der modernen Stilrichtungen steht zur Verfügung. Und die Ausstellenden in der LJA 2025 nutzen es, wo sie nur können. Zur Freude der Ausstellungsbesucher, die beim Rundgang selbst erleben, wie sich das anfühlt, wenn man beim Ablaufen der Bilder und Objekte immer wieder seine Herangehensweise, seine Interpretation und oft auch den Blickwinkel ändern muss. Kunst als Herausforderung. Und als Spiel.

Denn die ausgewählten Arbeiten zeigen natürlich auch, wie anspruchsvolle künstlerische Arbeiten ihre Betrachter dazu bringen, auf die Wirklichkeit mit anderen Augen zu schauen. Vielleicht gar ihre Schönheit, ihr Geheimnis, ihre Hintergründigkeit wieder zu sehen. Ausstellungen wie die LJA schulen diese Freude am Schauen.

Und der Katalog, der die Arbeiten der beteiligten Künstlerinnen und Künstler enthält, tut das genauso. Auch hier kann man Entdeckungen machewn, wird manchen bekannten Künstler wiederfinden, der sich die Teilnahme an der LJA einfach nicht nehmen lässt – so wie Rof Münzner oder Hans-Hendrik Grimmling, der einst zu den enfants terribles der Leipziger Kunst gehörte.

Die Lust am Blättern

Aber man wird auch den eindrucksvollen Arbeiten der Jüngeren begegnen, die zeigen, wie man sich mit Fantasie und Kreativität die Welt aneignen kann. Seien es die leuchtende Aquatinta-Arbeiten von Ute Hellriegel oder die bestechenden Foto-Arbeiten von Jan Stradtmann, um einfach mal von hinten in den Katalog hineinzublättern. Und das Blättern ist eine Lust, egal, wo man anfängt, sich in die Bilder zu vertiefen.

Einige der beitragenden Künstler/-innen haben auch kurze Texte beigesteuert, die die Leser/-innen in das Besondere ihres Kunstschaffens einführen. Texte, die – wie etwa bei Nelly Schmücking – auch davon erzählen, dass Kunst durchaus die brennenden Themen unserer Gegenwart aufgreift, in ihrem Fall das bedrohliche Artensterben, das – so sieht sie es – durch unseren anthropozentrischen Blick auf die Welt bedingt ist. So sehen wir Leid und Not der Tiere nicht.

Christian Schmidt erklärt, wie man Skulpturen nach Noten baut – immerhin stabile Skulpturen aus Stahl. Und Dirk Richter erzählt, wie er seine Holzskulpturen direkt aus dem Stamm der Bäume schneidet – Eichenstämme in diesem Fall, die sich unter seiner Säge in filigrane Gebilde verwandeln.

Bei jedem Blättern entdeckt man etwas Neues, im Grunde eine völlig andere Welt des Sehens – ob in den „Erinnerungsikonen“ Metulczkis oder den „Sternen von Amazon“, mit denen Rebecca Korb die ganze bunte Widersprüchlichkeit eines Logistikriesen zum namengebenden Ökosystem des Amazonas sichtbar macht. Und damit die Widersprüche in unserem eigenen Kopf, wenn wir uns vom einen die ganze bunte (und überflüssige) Warenwelt frei Haus liefern lassen, während der Amazonas und seine Urwälder gleichzeitig zerstört werden.

Und so wird der Katalog auch dann noch von all den Themen erzählen, die die ausstellenden Künstlerinnen und Künstler zu bewältigen versuchen, wenn die 31. Jahresausstellung schon wieder vorbei ist. Aber man kann den Katalog auch danach noch bestellen. Nur eins sollte man nicht tun: Ihn sich vom Online-Giganten liefern lassen. Das wäre ziemlich schizophren.

Leipziger Jahresausstellung e.V. (HRSG.) „TON. 31. Leipziger Jahresausstellung“, Passage-Verlag, Leipzig 2025.