Eine Frau mit einer dunklen Brille und einem schwarzen Oberteil schaut lächelnd nach vorne.

AUDIO: Dagmar Schlingmann verabschiedet sich vom Theater (54 Min)

Stand: 30.06.2025 06:00 Uhr

Dagmar Schlingmann blickt emotional auf ihre Zeit als Intendantin zurück, spricht über ihren Kampf in der Männerdomäne Theater und ihren Einsatz für ein vielfältiges, zukunftsfähiges Publikum.

Acht Jahre war sie Intendantin, jetzt gibt Dagmar Schlingmann den Staffelstab weiter an Tobias Wolff. Highlights in ihrer Zeit gab es einige: Als erste Frau in der Intendanz am Staatstheater Braunschweig mischte sie das Programm auf, initiierte das jährliche „Tanzwärts-Projekt“ oder inszenierte eine ganz eigene Version des Fidelio während der Corona-Pandemie. Vor allem aber ist es ihr gelungen, das Theater in der Braunschweiger Gesellschaft nachhaltig zu verankern. Dagmar Schlingmann blickt in NDR Kultur à la carte mit Janek Wiechers zurück auf abwechslungsreiche Theaterjahre.

Es gab vor einigen Wochen eine große Abschiedsgala für Sie am Staatstheater Braunschweig, ein richtig rauschendes Fest mit ganz vielen Gästen und diversen Darbietungen. Was macht das Ganze mit Ihnen?

Dagmar Schlingmann: Das ist sehr emotional. Ich freue mich natürlich wahnsinnig darüber. Gerade wenn Sie von der Abschiedsgala sprechen. Da waren viele Menschen, die auch Wegbegleiter waren. Im Programm haben sie sehr viele Ausschnitte aus Inszenierungen gezeigt, obwohl das wirklich nur ein Teil meines Intendantenberufes ist. Das war unglaublich bewegend zu sehen, was in den vergangenen acht Jahren alles entstanden ist. Es war eine totale Überraschung für mich, was Mitarbeitende für mich organisiert haben. Ich hatte keine Ahnung. Das ist schon ein Zeichen von Wertschätzung. Ich habe das jedenfalls so empfunden. Ich fand die Reden auch sehr berührend und unglaublich bewegend. Gleichzeitig muss man noch auftreten und etwas sagen. Das mache ich auch sehr gerne, aber man kann sich jetzt auch nicht so ganz und gar den Tränen hingeben, sondern ist immer noch ein Stückweit in einer öffentlichen Rolle. Deswegen kommt das eigentlich immer erst im Nachgang. Jetzt zum Beispiel habe ich die Zeit, das alles vor meinem inneren Auge noch mal Revue passieren zu lassen. Das ist dann fast noch stärker, wenn das vorbei ist und man das im Nachgang durchlebt. Das ist jetzt für mich ein Quell der Freude gewesen.

Video:
Musik-Revue „Geile Zeit“ im Staatstheater Braunschweig (3 Min)

In der langen Geschichte des Staatstheaters Braunschweig waren Sie die erste Intendantin. Eine Pionierin könnte man pathetisch sagen. Das war in Saarbrücken und Konstanz, wo Sie auch schon in Leitungsfunktionen waren, übrigens ganz genauso. Sie haben mal gesagt, Sie hätten sich ihre Position in dieser patriarchalen Männerwelt hart erkämpfen müssen. Was haben Sie da erlebt? Wie schwer war das?

Schlingmann: Man brauchte schon fast ein gewisses Maß an Naivität. Der Beruf der Regisseurin war mein ursprünglicher Berufswunsch. Ich bin Regisseurin und das war noch schwerer, würde ich sagen, weil man als junge Regisseurin kämpfen musste, überhaupt wahrgenommen zu werden. Nur wenn Intendanten, ich sage es jetzt bewusst männlich, die Aufführung anschauen und für gut befinden, dann bekommt man neue Aufträge. Und zwar haben alle Theater, wo ich gearbeitet habe, mich auch immer wieder geholt. Ich konnte von dem Beruf sehr gut leben. Aber es war doch sehr deutlich, dass eine Frau besser sein musste, dass man unheimlich viel Energie darauf verwenden musste, gesehen zu werden. Das hat mich auch dazu bewogen, in die Führungspositionen einer Intendantin zu gehen. Ich wollte das auch gerne ändern und einfach mehr mitgestalten. Es stimmt, ich war in jedem Haus die erste Frau. Ich habe das ein Stückweit ignoriert. Es war für mich schon als junges Mädchen ganz klar, dass mir alle Türen offen stehen, dass ich selbstbewusst bin, dass ich meine Ziele habe und die möchte ich auch verfolgen. Da musste man schon ganz schön viel ausblenden. Man kann sagen, ich musste Scheuklappen aufsetzen, weil es so schwer war. Es gab fast keine Regisseurinnen. Trotzdem bin ich es geworden. Es gab die Möglichkeit, aber man musste auch sehr kämpferisch sein.

Theater befinden sich mitten im Generationenwechsel beim Publikum, Stichwort: demografischer Wandel. Das sogenannte Bildungsbürgertum schrumpft, demnach müssen Kultureinrichtungen auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren. Sie müssen weniger elitär sein und weniger Blasen bilden. Das Theater sollte in der Gesellschaft verankert werden, so haben Sie es selbst mal gesagt. Was war da Ihr persönlicher Ansatz?

Schlingmann: Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass man für ein spezielles Publikum Programm macht. Das ist nicht mehr möglich. Das Stammpublikum oder das sehr treue Theaterpublikum ist ein wunderbares Publikum. Die gehen auch wirklich in alle Stücke rein. Aber diese Menschen reichen einfach zahlenmäßig nicht mehr, um unsere Häuser zu füllen. Wir müssen gucken, wie wir auch parallel neues Publikum aufbauen. Wie gewinnen wir junges Publikum? Wir haben extra eine Sparte, die heißt „Junges Theater“, da haben wir sehr viel Programm. Aber wichtig ist auch zu wissen, was interessiert diese Menschen? Wir müssen schon auch mal die Perspektive wechseln und gucken, was sind denn die Themen, was trifft den Nerv einer bestimmten Zielgruppe? Wir arbeiten tatsächlich auch teilweise für bestimmte Zielgruppen, auch themenbezogen. Wir hatten zum Beispiel einen Abend über Demenz und haben im Vorfeld auch ganz stark mit Pflegepersonal und Einrichtungen gearbeitet und haben natürlich auch die ganzen Einrichtungen in diesen Theaterabend eingeladen, auch betroffenen Menschen, die einen Verwandten haben, selber dement sind oder wissen, dass sie dement werden. Das war ein sehr gutes Beispiel, für eine ganz bestimmte Zielgruppe zu arbeiten.

Dagmar Schlingmann im Porträt

Ihre Ära am Staatstheater Braunschweig war von vielen neuen Projekten und Herausforderungen gekennzeichnet. Ein Rückblick.

Wir haben im Musiktheater Aufführungen gehabt, die dezidiert ein junges Publikum angesprochen haben. Das tut sich schwer, das kommt nicht sofort. Wir müssen auch eine gewisse Zähigkeit entfalten und dürfen nicht gleich aufgeben und sagen, das hat nicht funktioniert, das machen wir nicht mehr. Das sind alles Methoden und Mittel. Wir überlegen uns, welche Autoren spielen wir, wie erreichen wir auch ein diverses Publikum? Das ist insbesondere im „Jungen Theater“ sehr wichtig. Es gibt tausend Gedanken, die wir uns machen, bevor wir einen Spielplan veröffentlichen. Das ist sehr wichtig, dass wir uns sehr viele Gedanken machen und überlegen, wie schaffen wir Gemeinschaften?

Das Gespräch führte Janek Wiechers. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.