Manchmal hängen Petitionen sehr lange im Verfahren fest. Auf 18 Monate brachte es eine Petition von Aaron Reichhardt, mit der er eigentlich nur forderte, jenen Erinnerungsort an der Parthe, der seit 1988 an die Deportation der Leipziger Juden durch die Nationalsozialisten erinnert, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. Aber vielleicht kann man hier sogar noch mehr machen, fanden sechs Stadträt/-innen und schrieben sogar einen Ergänzungsantrag zum Vorschlag des Petitionsausschusses, der die Petition natürlich befürwortete.
Aaron Reichhardt schilderte in seiner Petition kurz, was hier 1938 passierte: „Im Kanal der Parthe an der Pfaffendorfer Brücke wurden am 9. November 1938 und in den Tagen danach (Novemberpogrome) hunderte jüdische Bürgerinnen und Bürger Leipzigs vor Ihrer Deportation zusammengetrieben. Ein Mob antisemitischer Schaulustiger begaffte, verhöhnte und bespuckte sie. Der Ort wurde damit auf tragische Weise zum Schauplatz der Weltgeschichte und sollte eine zentrale Rolle im städtischen Gedenken an die Opfer des Holocaust einnehmen.“
Seit 1988 erinnert ein Gedenkstein daran.
Die Petition von Aaron Reichhardt
Aber eigentlich müsste hier mehr möglich sein, meinte Aaron Reichhardt und regte an: „Die Stadt lobt einen Gestaltungswettbewerb für den Kanal sowie die angrenzenden Abschnitte der Pfaffendorfer und Parthestraße aus, der den Grundstein für die mittel- und langfristige Weiterentwicklung als Bildungs- und Gedenkstätte legt.“
Kein Zugriff auf das Parthebett
Der Petitionsausschuss fand dazu einen eher zurückhaltenden Vorschlag. Der Grund dafür: Die Parthe ist ein Gewässer 1. Ordnung, gehört deshalb zur Hoheit der Landestalsperrenverwaltung. Das schließt auch das Gewässerbett bzw. den hier gemauerten Kanal mit ein. Die Stadt kann hier nicht aus eigener Regie Veränderungen vornehmen.
„Die Petition fordert die Aufwertung des Kanals an der Pfaffendorfer Brücke als zentrale Holocaust-Gedenkstätte. Da dies aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, wird im VSP ein Alternativvorschlag unterbreitet, mit welchem dem Anliegen der Petition Rechnung getragen wird“, formulierte deshalb der Petitionsausschuss.
Und schlug vor: „1. Der Oberbürgermeister wird den Gedenkstein und seinen historischen Hintergrund stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken. Hierzu werden Kooperationspartner wie das Ariowitsch-Haus, die Gedenkstätte für Zwangsarbeit und das Capa-Haus um Unterstützung gebeten.
2. Der Gedenkstein und der historische Hintergrund finden Einbettung in die Plattform Erinnerungskultur, z.B. in einer thematischen Route zum Holocaust und der jüdischen Geschichte Leipzigs.“
Hier sollte mehr möglich sein
Aber das war den Stadträt/-innen Dr. Sabine Heymann (CDU), Julian Schröder (CDU), Dr. Tobias Peter (Grüne), Chantal Schneiß (Grüne), Christina März (SPD) und Pia Heine (SPD) zu wenig. Sie wollten die Idee von Aaron Reichhardt, den Ort am Gedenkstein deutlich aufzuwerten, nicht einfach verschwinden lassen und verfassten einen gemeinsamen Änderungsantrag.
Wesentlicher Kern des Antrags, den Julian Schröder in der Ratsversammlung am 25. Juni begründete: „Der Oberbürgermeister prüft in Abstimmung mit der Landestalsperrenverwaltung umfassend die Möglichkeiten zur baulichen bzw. gestalterischen Weiterentwicklung des Gedenkortes unter Berücksichtigung der Belange des Hochwasserschutzes und legt dem Stadtrat bis zum 4. Quartal 2025 entsprechende Vorschläge vor. Eine Umsetzung der Ergebnisse im Rahmen des ‚Jahres der jüdischen Kultur in Sachsen 2026‘ wird vorbereitet.“
So schnell wird es freilich nicht gehen, denn natürlich kostet auch so etwas Geld. Oberbürgermeister Burkhard Jung bat sich deshalb das 2. Quartal 2026 als Zieldatum für mögliche Vorschläge aus.
Der Stadtrat ist gefragt
Aber wenn man mit der Landestalsperrenverwaltung zu einer Einigung kommt, ist hier eben mehr möglich als nur ein Blick auf den Gedenkstein. Das beschrieben die sechs Stadträt/-innen in ihrem Antrag auch: „Neben dem Standort der ehemaligen Synagoge in der Gottschedstraße, die als Gedenkort entwickelt und etabliert ist, gebührt auch dieser Stelle im Verlauf der Parthe an der Pfaffendorfer Straße gegenüber dem Zoo ein größerer Stellenwert im Stadtbild wie im städtischen Gedenken.
Weder das derzeitige Erscheinungsbild – irgendwo zwischen unscheinbar und unsichtbar – noch die daraus resultierende missbräuchliche Verwendung als Fahrradabstellplatz werden sich nach Einschätzung der Antragsteller dadurch verändern, dass der Ort einfach in seiner derzeitigen Form in eine virtuelle Plattform eingebunden wird.
Eine Entscheidung über eine bauliche bzw. gestalterische Weiterentwicklung ist und bleibt städtische Aufgabe, für die früher oder später ein Beschluss des Stadtrats notwendig ist. Diese Entscheidung kann daher letztendlich nicht an die Akteure der Zivilgesellschaft übertragen werden; so wichtig deren Expertise und Engagement in so einem Prozess auch ist.
Die Voraussetzungen sind größtenteils vorhanden; so befindet sich unmittelbar neben dem Gedenkstein bereits eine Treppe, die einen Zugang zur darunter gelegenen Fläche ermöglichen würde sowie ein farblich hervorgehobener Bereich neben dem Flusslauf, der Ausgangspunkt für die weitere Gestaltung sein könnte oder sogar aus einer vorherigen Intervention oder Nutzung als Gedenkort resultiert.
Eine gewisse Beharrlichkeit gegenüber einer übergeordneten Behörde mag bei diesem Ansinnen erforderlich sein; insofern kann ein gemeinsamer Austausch vor Ort mit Sicherheit zum gegenseitigen Verständnis und zu einer Lösungsfindung beitragen.
Der Stadt Leipzig und auch der sächsischen Landestalsperrenverwaltung stünde es jedoch gut zu Gesicht, sich in Vorbereitung des ‚Jahres der jüdischen Kultur in Sachsen 2026‘ an dieser Stelle gemeinsam für eine Ermöglichungskultur für ein würdiges Gedenken einzusetzen.“
Auch OBM Jung gestand zu, dass der jetzige Zustand des Ortes nicht wirklich des Gedenkens würdig ist. Und es wurde an diesem 25. Juni ein sehr deutliches Zeichen, sogar erstaunlich einstimmig, was bei der derzeitigen Zusammensetzung der Ratsversammlung durchaus verblüfft: Sowohl der Änderungsantrag bekam die volle Zustimmung aller anwesenden Ratsmitglieder als auch der Beschlussvorschlag des Petitionsausschusses selbst.
Das heißt: Bis 2026 können jetzt Vorschläge auf den Tisch kommen, wie dieser Ort, an dem Leipzigs Juden schikaniert wurden, ein würdigeres und sichtbares Gedenken bekommen kann.