Der Probenraum ist ein geschützter Ort. Publikum hat hier nichts zu suchen. Die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Regie, das künstlerische Team, sie alle geben viel von sich her und preis, sodass der Prozess, an dessen Ende eine Premiere steht, auch Abgeschlossenheit benötigt. Es ist deshalb verblüffend, im Deutschen Theatermuseum Filmaufnahmen aus diversen Proben von „Romeo und Julia“ am Residenztheater sehen zu können. Zudem die vielen Details drum herum, die alle zur Entstehung einer Aufführung gehören.

Keine Frage: Hier durfte jemand Einblicke in etwas nehmen, was sonst nicht unbedingt geteilt wird. Das Ergebnis ist die Ausstellung „Making Theatre. Wie Theater entsteht“. Wer neugierig auf Theater ist, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Für die Schau sind ein paar Umstände glücklich zusammengekommen. Als sich das Team des Theatermuseums und Kuratorin Maren Richter dazu entschlossen, den Theaterprozess zu erklären, hatte sich das Residenztheater gerade entschieden „Romeo und Julia“ auf der großen Bühne herauszubringen – ein Text, der so bekannt ist, dass er in einer Ausstellung kaum erläutert werden muss. Resi-Hausregisseurin Elsa-Sophie Jach wurde mit der Inszenierung beauftragt, was ein zweiter Glücksfall sein dürfte, da diese Regisseurin zugewandt, klug und offen ist.

Theater

:Das Auge bleibt trocken

Die berühmteste aller Liebesgeschichten: Elsa-Sophie Jach inszeniert „Romeo und Julia“ am Münchner Residenztheater mit einem spektakulären Bühnenbild.

Hinzu kam, dass „Romeo und Julia“ mit Premiere am 16. Mai 2025 auf der großen Bühne, eine – wie Staatsintendant Andreas Beck sagt – gute Arbeit geworden ist. Das ließ sich freilich vorher nicht abschätzen, auch bei besten Voraussetzungen kann eine Inszenierung misslingen. So aber ist es auch fürs Residenztheater ein gern gesehenes Thema für eine Ausstellung. Und nicht zuletzt nahm auch das Team des Theatermuseums eine ungewöhnliche Arbeitsweise in Kauf: die „Live-Kuration“. Mit Kameras, durch Mitschriften oder Zeichnungen wurden Probenmomente festgehalten und das Material gleich verwendet. Bleibt sonst viel Zeit für Objektauswahl, Betextung, Ausstellungsbau, musste alles schnell gehen. Von der Beobachtung und Auswahl wanderten die Dinge direkt ins Museum, ohne historische Distanz.

Dass diese Umstände sich alle gefügt haben, macht viel aus. Auch für das Publikum, dass sich vermutlich nie so ausführlich über eine aktuell laufende Inszenierung informieren konnte. Die Ausstellung ist quasi keine Trockenübung über Theater, sie arbeitet am Live-Modell. Das schafft Nähe.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit am Theater?

Im Kern geht es Kuratorin Richter natürlich um Grundsätzlicheres als eine Aufführung. Zu zeigen, wer alles am Theater an einer Produktion mitwirkt und wie diese Zusammenarbeit funktioniert. Deswegen findet sich ziemlich am Anfang der Runde ein „Wald der Vielen“. Er besteht aus dem Bühnenbauelement „Theaterlatten“, das wesentliche Gestaltungselement der Schau (Gestaltung: Sigi Colpe). Der „Wald“ symbolisiert, dass viel Arbeit im Theater sich der direkten Wahrnehmung entzieht.

Wer nicht aufpasst, tappt übrigens an dieser Stelle im Erdgeschoss an einem seltenen Prunkstück vorbei, einer „First Folio“-Ausgabe von 1623, einer Leihgabe aus Köln. Shakespeare-Fans hüpft hier das Herz. Von dieser sehr wertvollen ersten Ausgabe seiner gesammelten Dramen existieren nur noch 234 Exemplare.

Ein großer Schatz unter Glas: Relativ zu Beginn der Ausstellung ist das Exemplar der First Folio zu sehen.Ein großer Schatz unter Glas: Relativ zu Beginn der Ausstellung ist das Exemplar der First Folio zu sehen. (Foto: Joel Heyd)

Insgesamt geht es im Erdgeschoss um eine Kontextualisierung von Shakespeares Werk, von „Romeo und Julia“ und der Arbeit am Theater. Auch erste Stimmen aus dem künstlerischen Team kommen dazu, an Hörstationen etwa, oder auch in Form von ein paar Buchtiteln, die zur Vorbereitungslektüre von Regisseurin Jach gehörten. Das Herzstück von „Making Theatre“ allerdings liegt im oberen Stockwerk. Und auch, wenn es dort nicht viele Exponate gibt, so braucht man doch Zeit, denn das Gros wird mit kurzen Filmen vermittelt. Sie laufen in Dauerschleife, wer zuhören will, hält sich eine Hörmuschel ans Ohr.

Die Aufnahmen sind vor und während der Probenzeit entstanden – sie stellen seltene Einblicke in die künstlerische und handwerkliche Arbeit am Theater dar. Ein Beispiel: Bühnenbildnerin Marlene Lockemann hat für „Romeo und Julia“ ein spektakuläres Bühnenbild entworfen, Zentrum ist eine Mischung aus Gerüst und Brücke. Durch die Bewegung der Drehbühne fächert sich das Gerüst auf, links und rechts der Brücke entstehen Treppen.

Das Bühnenbildmodell ist in der Ausstellung im Theatermuseum zu sehen. Im Video dazu erfährt man, welche Idee dahinter steht und wie es gebaut wurde.Das Bühnenbildmodell ist in der Ausstellung im Theatermuseum zu sehen. Im Video dazu erfährt man, welche Idee dahinter steht und wie es gebaut wurde. (Foto: Joel Heyd)

Lockemann erzählt nun im Film, wie sie hier die „Spirale der Gewalt“ versinnbildlichen will, die Regisseurin Jach in dem Drama erkennt. Das erzählt sie nicht in die Kamera, sondern im Austausch im Team. Man sieht, wie der Entwurf in die technische Abteilung kommt, aus dem Entwurf, eine Skizze wird, wie über Gelenke, Material, Bau nachgedacht wird. Alles Herausforderungen, für die Lösungen gebraucht werden.

Oder: die Frisur von Julia. In der Inszenierung gibt es am Anfang eine alte Julia, dann kommt eine junge. Wie sollen ihre Haare aussehen? Am Residenztheater werden viele Perücken geknüpft, so auch hier. Doch schaut das Haar der jungen Julia nicht „zu vital“, zu „sehr nach Haarshampoo-Werbung“ aus. Die Gespräche zwischen Lea Ruckpaul, die die Julia spielt, und den Maskenbildnern lassen sich verfolgen, ebenso die Kleinteiligkeit der Entscheidungen, der ästhetischen Überlegungen. Tatsächlich wurde die Perücke der jungen Julia im Verlauf aussortiert, sie ist nun eines der Objekte im Theatermuseum.

Stück für Stück puzzelt sich in der Ausstellung der Entstehungsprozess zusammen. Von den Gesprächen über Textstellen zwischen Regisseurin Jach und Dramaturgin Katrin Michaels, über die Arbeiten im Malersaal, die Schlosser und Schreiner beim Bühnenaufbau, die Transportfahrer. Man schaut Kostümbildnerin Johann Stenzel zu, sieht die Handgriffe in der Kostümabteilung, die Musiker beim Proben.

In einem der vielen Filme sieht man beispielsweise Maskenbildnerin Laura Kaiser beim Modelieren der Shakespeare-Maske.In einem der vielen Filme sieht man beispielsweise Maskenbildnerin Laura Kaiser beim Modelieren der Shakespeare-Maske. (Foto: Johanna Seggelke)

Ergänzt werden die Filme durch Objekte aus dem Residenztheater, Stoffe etwa, ein Probenbuch, eine technische Skizze der Beleuchtung und mehr. Dazu kommen Themeninseln zum Arbeitsalltag am Theater. Es ist eine Fülle, die auch einiges abverlangt.

Aber das macht gar nichts. Wer eine Pause braucht, der hat den idealen Rückzugsort im letzten Ausstellungsraum. Auf drei Seiten werden mit einer Länge von drei Stunden Live-Mitschnitte von der Generalprobe gezeigt – Backstage. Man sieht den Menschen, die an einer Aufführung arbeiten, quasi über die Schulter, blickt aufs Ton- und Lichtpult, auf die Seitenbühnen, auf die Hinterbühne. Betrachtet die Schauspieler beim Auf- und Abtreten, auch beim Warten, verfolgt einen schnellen Kostümwechsel, hört die Dialoge auf der Bühne, ohne das Spiel dazu zu sehen.

„Kunst“, sagt Staatsintendant Andreas Beck, „bleibt immer ein Geheimnis.“ Der Zauber, der in den Live-Momenten auf der Bühne entsteht, lässt sich nur in der Annäherung erfassen. Diese Annäherung ist dem Theatermuseum beeindruckend geglückt.

Making Theatre. Wie Theater entsteht, bis 12. April 2026, Deutsches Theatermuseum, www.deutschestheatermuseum.de