Und plötzlich sind 400 Schüler ohne Schule: Wie gefährlich es ist, sich als Gemeinde auf die Spenden privater Geldgeber zu verlassen, zeigt das Beispiel aus East Palo Alto: Frau Zuckerberg hat es sich anders überlegt, und plötzlich steht die Bildung auf dem Spiel.
Als Priscilla Chan 2016 mit ihrem Ehemann, dem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, eine Schule für benachteiligte Kinder eröffnete, hat sie sich einer der größten Baustellen und schwierigsten Herausforderungen Amerikas angenommen: der Bildung. Denn die „anhaltende Kluft zwischen weißen und farbigen sowie zwischen wohlhabenderen Kindern und ihren Altersgenossen aus Elternhäusern mit geringerem Einkommen ist es, was die schulischen Leistungen der Kinder definiert, heißt es auf der Website der Grundschule „The Primary School“ in East Palo Alto. „Auch die ähnlich große Lücke im Gesundheitswesen spiegelt diese Unterschiede wider.“
Die Grundschule in East Palo Alto, Kalifornien, um die es nun geht, bot kostenlosen Unterricht sowie kostenlose Gesundheitsversorgung und Beratung für Schüler und Eltern an, um zu zeigen, dass die richtige Unterstützung von Kindern diese Unterschiede verringern kann. 2018 sagte Chan, eine Kinderärztin, gegenüber CNN, die Unterstützung sei auf „lange Sicht“ angelegt, denn um die volle Wirkung dieser Arbeit wirklich zu verstehen, müsse man auch Geduld mitbringen.
Kein Geld mehr, Pech gehabt
Mit dieser Geduld scheint es nun ein Ende zu haben: Im April 2025, weniger als zehn Jahre nach der Eröffnung der Grundschule, teilte Chan den Mitarbeitern mit, dass die beiden Standorte nach dem Schuljahr 2025/26 geschlossen werden. Wochen zuvor hatte der Vorstand einstimmig für die Schließung gestimmt, da die Finanzierung ausblieb: Die philanthropische Chan Zuckerberg-Initiative (CZI) des Milliardärspaares, der einzige Geldgeber der Schule, zog sich zurück.
Sowohl von Chan als auch CZI erfährt man nicht, warum das Paar die Grundschule aufgegeben hat. Ehemalige Schulleiter, die anonym bleiben wollen, sagen, Chan habe sich in den vergangenen Jahren aufgrund der nachlassenden schulischen Leistungen von der Schule distanziert.
Versprochen ist versprochen. Oder?
Eltern und Lehrer, die im April in letzter Minute von der Schließung erfuhren – viele von ihnen per Videochat – äußerten sich schockiert. Mehrere Eltern sagten gegenüber der „Washington Post“, Chan habe ihr Versprechen vor allem den Kindern gegenüber gebrochen.
Fast 90 Prozent der rund 400 Schüler der Grundschule identifizieren sich als Latinos, Asiaten, Pazifikinsulaner, Schwarze oder gemischtrassig. In der dazugehörenden Vorschule am anderen Ende der San Francisco Bay verfügen zwar 98 Prozent der Familien über ein Einkommen, das für staatlich subventionierte Schulgebühren an einer herkömmlichen Schule mit Schulgeld ausreichen würde. Und viele Familien werden sich daher wahrscheinlich an den örtlichen Schulbezirk Ravenswood wenden, der jedoch, etwa zur gleichen Zeit, als die Grundschule eröffnet wurde, zwei Schulen schloss. Der stellvertretende Finanzminister des Bezirks, William Eger, weiß, dass die Schließung „langfristig finanziellen Druck“ auf den Bezirk ausüben werde, obwohl sich CZI verpflichtet hatte, die Kosten für die Ausbildung aller Grundschüler bis 2031 zu übernehmen. Um die Kosten zu decken, erwägt der Bezirk, einen seiner Campusse in ein Wohngebäude umzuwandeln. Chan und ihre Stiftung stehen für ein Interview nicht zur Verfügung.
CZI hat der Gemeinde ein „Abschiedsgeschenk“ in Höhe von insgesamt 50 Millionen Dollar versprochen. Den Eltern wurde mitgeteilt, dass die Schüler je nach Alter 1000 bis 10.000 Dollar für ihre zukünftige Ausbildung erhalten; der Schulbezirk erhielt im vergangenen Monat Zuschüsse in Höhe von 26,5 Millionen Dollar. Der Bezirk lehnt es ab, zu diesen Aussagen Stellung zu nehmen. „Wir sind sehr stolz auf die Arbeit, die wir in den letzten zehn Jahren an der Grundschule geleistet haben, und auf das, was unsere Kinder und Familien erreicht haben“, so Carson Cook, ein Sprecher der Grundschule, in einer E-Mail.
Shannon Todd, eine Mutter, deren drei Kinder die Schule seit ihrer Gründung besuchen und die sich erfolglos dafür eingesetzt hatte, dass Chan sich mit den Familien trifft, sagt, die Schließung werde für ihre Familie schwierig. Die Schule bot zwar Coaching und Hilfe bei der medizinischen Versorgung an, so Todd. Dass Chan den Familien in East Palo Alto Hoffnung auf eine bessere Zukunft gemacht habe und jetzt den Geldhahn zudreht, sei diesen Kindern gegenüber jedoch nicht fair, so die Mutter.
Es war einmal … eine Traumschule Hintergrund
East Palo Alto grenzt an wohlhabende Silicon-Valley-Städte wie Palo Alto, wo die Kinder von Mitarbeitern von Google und Meta, wie Zuckerbergs Unternehmen heute heißt, kostenlos erstklassige öffentliche Bildung erhalten. Aufgrund historischer Diskriminierung sind die Einwohner von East Palo Alto überwiegend farbige Familien mit niedrigem Einkommen. Viele kämpfen schon allein mit den Lebenshaltungskosten. Die Grundschule wurde 2016 mit 40 Schülern eröffnet und verfolgte einen ganzheitlichen Ansatz, der kostenlose Gesundheitsversorgung für Schüler und Familien sowie Coaching und psychologische Unterstützung für Eltern bietet.
Chan, die Tochter von Flüchtlingen aus Vietnam, die sich in einem ärmeren Bostoner Viertel niedergelassen hatten, hatte hehre Ziele: Sie wollte beweisen, dass der Zugang zu guter Gesundheitsversorgung und Schulbildung auch wirtschaftlich benachteiligten Schülern zu besseren Leistungen verhelfen kann. „Wir arbeiten auf eine Welt hin, in der jedes Kind eine Ausbildung erhält, die ihm eine faire Chance gibt“, sagte sie in einer Rede im Jahr 2019.
Das Projekt in East Palo Alto war der zweite große Eingriff des Milliardärspaares in das städtische Bildungssystem, nach einer umstrittenen Spende von 100 Millionen Dollar an die öffentlichen Schulen in Newark im Jahr 2011. Einige Experten und Gemeindemitglieder behaupteten, das Geld sei größtenteils verschwendet worden. Eine von CZI finanzierte Harvard-Studie aus dem Jahr 2017 ergab immerhin, dass sich die Schülerleistungen in Englisch bis 2015 deutlich verbessert hatten – in Mathematik gab es jedoch keine nennenswerten Veränderungen.
Geheimhaltungsvereinbarungen
Chans Partnerin bei ihrer Mission war die Bildungsexpertin Meredith Liu, die sie von der Bostoner Codman Academy angeworben hatte. „Die Leute dachten, sie würden die Schule ihrer Träume bekommen“, erzählt eine ehemalige Schulleiterin, die zum Schutz ihrer Karriere anonym bleiben möchte, der „Washington Post“. Die derzeitigen Mitarbeiter der Grundschule wurden gebeten, Geheimhaltungsvereinbarungen zu unterzeichnen.
In der rauen Wirklichkeit stieß die Schule immer wieder auf Hindernisse: Zwei Schulleiter gingen bereits in den Anfangsjahren, was laut drei anderen ehemaligen Schulleitern den Aufbau von Stabilität für die Schüler erschwerte. Die Grundschule setzte auch immer wieder innovative Ideen durch, verfügte gleichzeitig aber nicht über die Standards anderer Schulen. Es habe weder das Sonderschulsystem noch die Disziplinarregeln gegeben, die sonst vorgeschrieben seien, so ein anderer ehemaliger Schulleiter. Die Schüler trugen dafür aber Aufnahmegeräte, sogenannte „Sprachschrittzähler“ (Speedometer), mit denen eine Software die Sprachmuster der Kinder und der Erwachsenen, die mit den Kindern zu tun hatten, analysieren konnte. Die Technologie wurde von einer gemeinnützigen Organisation entwickelt, um die Mitarbeiter zu mehr Gesprächen mit den Schülern zu animieren. Studien zufolge fördert dies die Gehirn- und Sprachentwicklung. Oder generell das Wissen über die Schüler und ihre Umgebung? „Das war mehr als nur Naivität“, so ein ehemaliger Schulleiter, „es war eher eine maßlose Arroganz, zum Scheitern verurteilt“.
In den Jahresberichten wurden die Geräte als maßgeblich dafür genannt, dass sie den Mitarbeitern halfen, die Sprachentwicklung der Schüler zu verfolgen und zu verbessern. Im vierten Jahr der Grundschule brachte die Corona-Pandemie trotzdem Störungen mit sich, insbesondere bei der Alphabetisierungsrate. In einem Blogbeitrag auf der Schulwebseite von 2023 wunderte sich eine ehemalige Mitarbeiterin der Schulleitung, dass die Mitarbeiter keine wissenschaftlich fundierten Methoden im Leseunterricht anwendeten: „Es braucht drei bis fünf Jahre beständiger Führung, bis eine Schule richtig durchstartet. Das hat diese Grundschule nie erlebt.“
Das Ende
Im Jahr 2023 starb Liu – Chans Mitbegründerin und Schulpräsidentin – unerwartet. Die beiden standen sich sehr nahe. Laut der ehemaligen Schulleitung war Liu „die Visionärin“. Die Tragödie kostete die Grundschule ihre engste Verbindung zu Chan, die inzwischen als Vorstandsvorsitzende zurückgetreten war. In den vergangenen Jahren sei sie nur noch selten in der Schule gesehen worden, heißt es.
Die Grundschule bestand erst seit neun Jahren, als der Vorstand im April einstimmig für die Schließung aufgrund fehlender Finanzierung stimmte. „Jedes Modell, das sich auf einen einzigen Hauptfinanzierer stützt, ist meiner Meinung nach nicht tragfähig“, so der Vorstandsvorsitzende Jean-Claude Brizard in einem Interview mit der „Washington Post“, lobt jedoch grundsätzlich die Arbeit der Schule.
Die Gründe
Der Rückzug von CZI aus der Grundschule erfolgte in den ersten Monaten der zweiten Amtszeit von Präsident Donald Trump: Dazu gehörten Entlassungen, die Beendigung von Diversity-Richtlinien und der Rückzug aus der Arbeit in den Bereichen Gemeinschaft, Bildung und Soziales.
CZI wurde zeitgleich mit dem Start des Grundschulprojekts im Jahr 2015 gegründet. Dies geschah im Rahmen eines Versprechens von Chan und Zuckerberg, Bill und Melinda Gates nachzueifern und den Großteil ihres Vermögens zu spenden. Allerdings leitet das Gründerpaar CZI, obwohl Zuckerberg weiterhin CEO von Meta ist – was ihre philanthropischen Aktivitäten zu Politikern und Aufsichtsbehörden erschweren könnte. Im Jahr 2020, während Trumps erster Amtszeit, pries Zuckerberg CZIs Arbeit für Rassengleichheit noch, und im selben Jahr spendete das Paar 400 Millionen Dollar, um die bundesstaatlichen und lokalen Regierungen bei der Durchführung der Pandemiewahlen zu unterstützen. Einige Republikaner bezeichneten die Spende jedoch als „Zuckerbucks“ und behaupteten, sie sei Teil eines angeblichen Komplotts zur Bevorzugung der Demokraten.
Andere Zeiten
Unter der neuen Trump-Administration könnten einige der etablierten Programme von CZI im Widerspruch zu den Bestrebungen des Weißen Hauses stehen, Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion abzuschaffen. Kurz nach der Wahl 2020 begannen Zuckerberg und Chan dann auch, CZI aus sozialen Themen zurückzuziehen: Ihre Arbeit von CZI zur Reform des Strafrechts beispielsweise wurde in eine separate Organisation ausgegliedert. Insider bezeichnen das als Teil einer Strategie, den Namen CZI von einem sensiblen politischen Thema zu trennen. Außerdem stellte CZI die Einführung neuer Programme zur Gleichberechtigung von ethnischen Minderheiten und zur Strafjustiz ein, das Thema Einwanderung wurde an FWD.US – eine Interessenvertretung, die sich für eine Ausweitung der Einwanderung einsetzt – übertragen.
Nach Trumps Wiederwahl im vergangenen Jahr revidierte Zuckerberg einige seiner zuvor geäußerten Positionen zur Diversität, beendete Metas Faktencheck-Programme und viele seiner Diversitätsinitiativen. Parallel dazu kam es bei CZI zu weiteren Veränderungen: Das Unternehmen entließ Mitglieder seines Community-Teams, das sich mit bezahlbarem Wohnraum beschäftigte, lokale zivilgesellschaftliche Gruppen unterstützte und unterrepräsentierte Unternehmer förderte. Wenige Tage nach der öffentlichen Bestätigung zur Schließung der Grundschule stellte sich heraus, dass die Wohltätigkeitsorganisation auch ihr landesweites Wohnungsbauprogramm beendete, das den Bau von bezahlbarem Wohnraum ankurbelte. Begründung: „Da wir uns auf die Wissenschaft konzentriert haben, haben wir unsere Finanzierung für soziales Engagement reduziert“, so Chief Operating Officer Marc Malandro in einer E-Mail an die CZI-Mitarbeiter.
Hat man sich in East Palo Alto zu abhängig gemacht von Milliardären wie Zuckerberg und seiner Frau? Kyra Brown lebt in vierter Generation in East Palo Alto und ist Aktivistin. Sie schreibt über die durch die Tech-Industrie verursachte Vertreibung und Gentrifizierung: „Man kann noch so viel versprechen“, so Brown, „wenn aber nichts rechtlich bindend ist, ziehen sie sich zurück – und wir bleiben mit den Folgen zurück.“ Als sich das politische Klima unter Trump änderte, so Brown, änderte sich dementsprechend auch das Engagement von Chan und Zuckerberg für East Palo Alto.