Wie genau speichert das Gehirn Gesichter ab? Lange dachte man: in abstrakten Kategorien, losgelöst von konkreten Merkmalen. Jetzt zeigt sich: Das Gehirn reagiert direkt auf bestimmte Merkmale im Gesicht – und zwar auf der Ebene einzelner Nervenzellen.
Neuronen-Entdeckung: So funktioniert Gesichtserkennung
Amygdala und Hippocampus – zwei Hirnregionen, die für Gefühle und Erinnerungen zuständig sind – galten bisher als Orte, an denen das Wer abgespeichert wird: Wer jemand ist, ob man ihn kennt, ob man ihn wiedererkennt. Doch die neue Studie von Runnan Cao, Wang und Kollegen stellt diese Vorstellung auf den Kopf. Nicht nur wer jemand ist, sondern auch wie er aussieht, scheint in einzelnen Nervenzellen kodiert zu sein – präzise, selektiv und regionsspezifisch.
Der Schlüssel waren 19 Epilepsie-Patienten, denen im Rahmen ihrer Behandlung winzige Elektroden ins Gehirn eingesetzt wurden – eine gängige Methode, um krankhafte Aktivitäten zu überwachen. In 111 Sessions nahmen sie an einem Experiment teil: Sie betrachteten Gesichter – bekannte, unbekannte, mal vertraut, mal fremd. Währenddessen zeichneten die Implantate die Aktivität von 3.581 Neuronen in Echtzeit auf. Und dabei fiel etwas auf.
Die Ergebnisse identifizieren eine neue Klasse von Nervenzellen, die eine Brücke schlagen zwischen dem, was wir visuell wahrnehmen – also einzelne Gesichtszüge -, und dem, was wir uns inhaltlich merken. Diese Verbindung könnte eine Grundlage dafür sein, wie das Gehirn bewusste Erinnerungen an Personen bildet.
Runnan Cao et al.
Manche Nervenzellen reagierten gezielt auf bestimmte Gesichtszüge – etwa die Form der Augen oder den Abstand zwischen Mund und Nase – ganz gleich, wer auf dem Bild zu sehen war. Die Forscher fanden heraus, dass diese Zellen Gesichter nicht nach Namen oder Bekanntheit unterscheiden, sondern nach gemeinsamen Merkmalen. Dabei zeigte sich: Wenn ein Gesicht neue, aber ähnliche Merkmale aufwies, reagierten diese Zellen erneut. So konnten die Reaktionen auf unbekannte Gesichter anhand der erkannten Muster erstaunlich genau vorhergesagt werden.
Zellen erkennen genau
Diese Nervenzellen schlagen eine Brücke zwischen dem, was wir sehen, und dem, was wir uns merken. Amygdala und Hippocampus sind also nicht nur für Gefühle oder Erinnerungen zuständig – sie scheinen auch ganz genau auf bestimmte Gesichtszüge zu achten. Das zeigt: Unser Gehirn speichert nicht nur, wer jemand ist, sondern auch wie jemand aussieht.
Nach den neuen Erkenntnissen geschieht das über einzelne Nervenzellen, die auf typische Merkmale reagieren – etwa auf die Form der Augen oder den Abstand zwischen Mund und Nase. Sie ordnen Gesichter also nach wiederkehrenden visuellen Bausteinen, nicht nur nach Bedeutung oder Vertrautheit.
Was sind Nervenzellen?
Nervenzellen (Neuronen) sind die grundlegenden Bausteine des Nervensystems und für die Informationsverarbeitung im Körper verantwortlich. Sie nehmen Reize auf, verarbeiten diese und leiten sie in Form von elektrischen Impulsen an andere Zellen weiter.
Ein typisches Neuron besteht aus einem Zellkörper (Soma), verzweigten Dendriten, die Signale empfangen, und einem Axon, das Signale weiterleitet. Diese spezialisierte Struktur ermöglicht die komplexe Kommunikation zwischen den schätzungsweise 86 Milliarden Nervenzellen im menschlichen Gehirn.
Wie kommunizieren Nervenzellen?
Nervenzellen kommunizieren hauptsächlich über Synapsen, spezialisierte Verbindungsstellen zwischen Neuronen. An diesen Synapsen werden elektrische Signale in chemische umgewandelt, indem Neurotransmitter freigesetzt werden, die dann an Rezeptoren der Zielzelle binden.
Diese synaptische Übertragung kann entweder erregend oder hemmend sein und erfolgt in Millisekunden. Die Stärke dieser Verbindungen kann sich durch Lernprozesse verändern, was als neuronale Plastizität bezeichnet wird und die Grundlage für Gedächtnis und Lernfähigkeit bildet.
Können Nervenzellen regenerieren?
Im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) ist die Regenerationsfähigkeit von Nervenzellen stark eingeschränkt. Einmal abgestorben, werden diese Zellen in der Regel nicht ersetzt, was erklärt, warum Hirnverletzungen oft dauerhafte Schäden verursachen können.
Im peripheren Nervensystem hingegen besitzen Nervenzellen eine gewisse Regenerationsfähigkeit. Unter günstigen Bedingungen können durchtrennte Axone mit einer Geschwindigkeit von etwa 1-3 mm pro Tag nachwachsen, wobei dieser Prozess durch verschiedene Faktoren wie Alter und Verletzungsart beeinflusst wird.
Wie schnell leiten Nervenzellen?
Die Leitungsgeschwindigkeit von Nervenzellen variiert erheblich und hängt maßgeblich von der Myelinisierung und dem Durchmesser des Axons ab. Myelinisierte Nervenfasern können Impulse mit Geschwindigkeiten von bis zu 120 Meter pro Sekunde leiten.
Nicht myelinisierte Nervenfasern leiten deutlich langsamer mit etwa 0,5 bis 2 Meter pro Sekunde. Diese Unterschiede erklären, warum manche Reflexe wie der Kniereflex zügig ablaufen, während komplexere Reaktionen mehr Zeit benötigen.
Was ist die Myelinscheide?
Die Myelinscheide ist eine isolierende Schicht aus Lipiden und Proteinen, die das Axon vieler Nervenzellen umhüllt. Sie wird von speziellen Gliazellen gebildet – im zentralen Nervensystem von Oligodendrozyten und im peripheren Nervensystem von Schwann-Zellen.
Diese Isolierung ermöglicht die saltatorische Erregungsleitung, bei der das elektrische Signal von einem Ranvier-Schnürring zum nächsten „springt“, was die Leitungsgeschwindigkeit erheblich erhöht. Erkrankungen wie Multiple Sklerose schädigen diese Myelinscheide, was zu Störungen der Nervenfunktion führt.
Wie entstehen Gedanken?
Gedanken entstehen durch komplexe Aktivitätsmuster zwischen Millionen von Nervenzellen im Gehirn. Dabei werden verschiedene Hirnareale gleichzeitig aktiviert und bilden funktionelle Netzwerke, die für unterschiedliche kognitive Prozesse verantwortlich sind.
Wissenschaftlern zufolge spielen sowohl elektrische Signale als auch chemische Botenstoffe eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Gedanken. Moderne bildgebende Verfahren wie fMRT können die Hirnaktivität während des Denkens sichtbar machen, dennoch bleibt der genaue Übergang von neuronaler Aktivität zum subjektiven Erleben von Gedanken ein aktives Forschungsgebiet.
Was sind Gliazellen?
Gliazellen sind Nicht-Neuronen-Zellen im Nervensystem, die Nervenzellen unterstützen und etwa 90% aller Zellen im Gehirn ausmachen. Sie umhüllen, schützen und versorgen Neuronen mit Nährstoffen, entfernen Abfallstoffe und bilden die Myelinscheide.
Es gibt verschiedene Arten von Gliazellen mit unterschiedlichen Funktionen: Astrozyten regulieren die chemische Umgebung der Neuronen, Oligodendrozyten und Schwann-Zellen bilden die Myelinscheide, und Mikroglia fungieren als Immunzellen des Gehirns. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass Gliazellen auch aktiv an der Informationsverarbeitung beteiligt sein könnten.
Was sind Neurotransmitter?
Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die von Nervenzellen freigesetzt werden, um Signale an andere Zellen zu übertragen. Sie werden in Vesikeln am Ende des Axons gespeichert und bei Ankunft eines elektrischen Impulses in den synaptischen Spalt freigesetzt.
Zu den wichtigsten Neurotransmittern zählen Acetylcholin, Dopamin, Serotonin, GABA und Glutamat. Jeder dieser Botenstoffe hat spezifische Funktionen – Dopamin ist beispielsweise an Belohnungssystemen beteiligt, während GABA hemmend wirkt. Störungen im Neurotransmitter-Haushalt werden mit verschiedenen neurologischen und psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Zusammenfassung
- Neue Studie stellt bisherige Theorien zur Gesichtserkennung infrage
- Einzelne Neuronen in Amygdala und Hippocampus codieren Gesichtsmerkmale
- Elektroden bei Epilepsie-Patienten zeichneten Aktivität von 3.581 Neuronen auf
- Spezielle ‚Feature-Neuronen‘ reagieren auf bestimmte Gesichtszüge
- Das Gehirn speichert nicht nur Identität, sondern auch visuelle Merkmale
- Reaktionen auf unbekannte Gesichter sind anhand bekannter Muster vorhersagbar
Siehe auch: