Hat sich Katrin Göring-Eckardt einen Gefallen getan, als sie den dramaturgischen Überlegungen der „Maischberger“-Redaktion folgte und sich gegen Wolfram Weimer aufstellen ließ? Die beiden sollten sich über Cancel Kultur streiten, diesem vom Kulturstaatsminister Weimer unverdrossen hochgehaltenem Thema, also über die Frage: Darf man sagen, dass man in Deutschland nicht alles sagen dürfe, was man meint?

Das Thema ließe sich mutmaßlich rasch entsorgen, wäre es nicht von der Grünen-Politikerin Göring-Eckardt in immer neuen Anläufen lebendig erhalten worden. Denn sie sagte bei „Maischberger“ Dinge, die es Weimer leicht machten, seine Sorge um die Meinungsvielfalt in Deutschland plausibel erscheinen zu lassen. Allein dass sie, Göring-Eckardt, dem Kulturstaatsminister vorschreiben wollte, was er zu sagen hätte anstelle dessen, was er tatsächlich sagte, ließ sich natürlich als Beleg für Weimers Steckenpferd einer in Deutschland eingeschränkten Meinungsfreiheit werten. Er dürfe die falsche Meinung, in Deutschland dürfe man immer weniger frei seine Meinung sagen, nicht noch „verstärken“, indem er diese unberechtigte Sorge aufgreife. Darf er nicht?

Ich will, sagte Göring-Eckardt, ich will, dass sich der Kulturstaatsminister hinstellt und sagt: „Sie können in Deutschland sagen, was Sie wollen.“ Die Menschen, so solle der Kulturstaatsminister fortfahren, müssten nur damit rechnen, dass ihnen auch widersprochen wird, wenn sie sagen, was sie wollen. Und dieser Geist des Widerspruchs, den müssten die Menschen zu ertragen lernen, statt bei Widerspruch zu meinen, sie dürften nicht alles meinen, was sie meinen wollen.

Göring-Eckardt und die gefühlte Freiheit

Weimer hatte nun aber eben ein anderes Verständnis der diskursiven nationalen Problemlage. Er möchte meinen dürfen, die Diskursräume in Deutschland gehörten „geweitet“; und zwar möchte er dies von einem „Standpunkt der bürgerlichen Mitte“ her meinen, welcher der seinige sei, wenn er die Freiheit des Wortes gegen links wie gegen rechts verteidigen zu müssen meint. Am Ende schien es nur noch darum zu gehen: Darf der Kulturstaatsminister das meinen oder nicht?

Tatsächlich nahm die Frage im Laufe der Sendung immer mehr einen Test-Charakter für die Triftigkeit von Weimers Cancel Cultur-Thesen an. Je mehr ihm Göring-Eckardt seine Meinung ausreden und eine andere, die „richtige“ Meinung vorschreiben wollte, desto schlüssiger erschien seine Sorge darüber, dass in Deutschland immer mehr Menschen meinten, man könne in Deutschland seine Meinung nicht frei sagen. Eben eine solche Sorge gehöre sich für einen Kulturstaatsminister nicht, formuliert zu werden, hielt Göring-Eckardt ein ums andere Mal dagegen. Und schien damit wiederum nur Weimers Meinung zu bestätigen, dass wenn in Deutschland „der gefühlte Freiheitsbegriff enger wird“, dass es sich dann für einen Mann der bürgerlichen Mitte wie ihn gehöre, „den wieder zu weiten“.

Streiten sollen nur die Richtigen

Das war gewissermaßen der Zirkelschluss, auf den der Dialog Göring-Eckardt versus Weimer redaktionell festgelegt war: eine über Jahre ausgewiesene grüne Haltungspolitikerin gegen einen Kulturstaatsminister, der Haltungsgebote inklusive des Gebots, welcher Meinung widersprochen gehört, als Einengung der Meinungsfreiheit wahrnimmt, als „gefühlte Bevormundung“ doch jedenfalls, vor dieser meint warnen zu müssen und „Weitung“ des Sagbaren anmahnt.

Wie meinte es denn Katrin Göring-Eckardt, als sie sagte, dem Kultursstaatsminister entgegenkommend, auch sie sei dafür, dass „wir“ (mit starker Betonung ausgesprochen) miteinander streiten (ergänze: in dieser Maischberger-Sendung hier), „und dass dann andere nicht streiten“ (mit starker Betonung auf dem „nicht“ ausgesprochen), in dem Sinne, so Göring Eckardt präzisierend, „sich nicht Platz und Raum nehmen, das ist schon in Ordnung“. Ist ein solches Meinungsplätze an die „Richtigen“ vergebendes Denken nicht gerade das, was der Kulturstaatsminister für „nicht“ in Ordnung hält?

Eine Sendung voller Anschauungsmaterial

So schien Göring-Eckardt ihm die Belege zu liefern, wenn sie nur den Mund auftat. Mit der nun in der Tat beunruhigenden Pointe, diese performative Fatalität nicht zu bemerken, sich selbst, ihr eigenes Agieren als Teil des von Weimer entworfenen Problems offenkundig nicht wahrzunehmen, je länger nicht, je lieber. So dass der Kulturstaatsminister nach gesprächsweiser Lage der Dinge nur noch die Folgerungen im Namen einer „Freiheit“ zu ziehen braucht, die begrifflich nicht näher unterschieden wird.

Damit Weimers Plot einer durch Haltungsdikate geknebelten Meinungsfreiheit funktioniert, brauchte es augenscheinlich nur diese „Maischberger“-Sendung als Anschauungsmaterial. Weimer ging aus ihr als Sieger hervor, gleichsam ohne sein Zutun war durch das kurze Aufeinandertreffen mit der Grünen-Politikerin der Eindruck entstanden, als befreie er die Kultur von den Göring-Eckardts dieser Nation, von deren Vorgabe: „Ihr müsst Haltung zeigen für dieses oder jenes!“.

Weimer verfuhr, anders gesagt, nach dem Motto: Wer Göring Eckardt gegen sich und damit auf seiner Seite hat, braucht die Freiheitsvokabel nicht näher zu bestimmen; er kann ihren hermeneutischen Mehrwert für sich arbeiten lassen und sich selbst als Teil des politischen Betriebs gleich mit relativieren. Ein so schön zurechtgelegter Satz wie dieser schien es dann doch wert zu sein: „Die Kultur ist keine Platzanweiserin unserer politischen Korrektheit.“