Das Chorwerk Ruhr ist eines der führenden Vokalensembles des deutschsprachigen Raums zu Gast in Nürnberg. Seit seiner Gründung 1999 als ein Projekt der Kultur Ruhr GmbH, gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und den Regionalverband Ruhr, hat sich der Chor unter der künstlerischen Leitung von Florian Helgath eine europaweite Reputation erarbeitet. Klangliche Präzision, stilistische Bandbreite und eine tiefgreifende musikalische Ausdruckskraft zeichnen das Ensemble aus – und genau diese Qualitäten traten auch an diesem Abend in der einzigen barockisierten Kirche Nürnbergs St. Egidien deutlich zutage.
Den Auftakt bildeten die Drei Psalmen op. 78 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Schon im eröffnenden „Warum toben die Heiden“ verschmolzen Expressivität und feine Dynamik zu einem dichten klanglichen Gebet. Besonders im zentralen „Richte mich, Gott“ gelang es dem Chor, zwischen dramatischer Wucht und feingliedriger Deklamation zu balancieren. Der dritte Psalm, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, war von einer Intensität geprägt, die unter die Haut ging – die Sängerinnen und Sänger ließen Mendelssohns Klangsprache in erschütternder Klarheit aufleuchten.
Danach erklang die selten zu hörende Motette „O Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens“ op. 37/1 von Kurt Hessenberg. Hier verband sich der asketische Ernst der Musik mit dem tiefen humanistischen Geist des Franz-von-Assisi-Textes. Chorwerk Ruhr überzeugte mit einem transparenten, geistlich durchdrungenen Klangbild – eine stille, aber eindrucksvolle Meditation über die Macht der Versöhnung.
Erinnerung an die zerstörten Städte Nürnberg und Dresden
Den Abschluss des offiziellen Teils bildete mit Francis Poulencs „Figure humaine“ ein monumentales Werk des 20. Jahrhunderts – das ebenso wie Hessenbergs Motette kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges uraufgeführt wurde und für Dirigent Helgath für dieses Programm wie geschaffen schien. Die auf Gedichten von Paul Éluard basierende zwölfstimmige Kantate gilt als musikalischer Schrei nach Freiheit – entstanden im Schatten des Zweiten Weltkriegs. Die Ausführung durch Chorwerk Ruhr war ein Glanzstück vokaler Kraft, rhythmischer Präzision und poetischer Tiefe. Besonders das finale „Liberté“ entfaltete in seiner wachsenden Intensität eine überwältigende emotionale Wucht: Der Chor legte dieses vielschichtige Bekenntnis zur Freiheit mit kluger Dramaturgie und vokaler Brillanz aus – ein würdiger, bewegender Höhepunkt.
Als Zugabe erklang die Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“, die der Dresdner Kreuzkantor Rudolf Mauersberger unter den Eindrücken der Zerstörung seiner Stadt nach Texten aus den Klageliedern Jeremias komponierte. Helgaths Verweis auf das spätestens ab dem Januar 1945 ebenfalls in Schutt und Asche liegende Nürnberg ließ bei den Besucherinnen und Besuchern schaurig eindringliche Bilder im Kopf entstehen. Der reine, wuchtige Klang des Ensembles tat dann sein Übriges.
Das Konzert in St. Egidien war mehr als ein musikalischer Abend – es war ein eindringlicher Appell an Menschlichkeit, Frieden und Hoffnung. Ein Abend, wie ihn das Musikfest ION nicht schöner hätte inszenieren können. Das Musikfest ION selbst präsentiert noch bis 6. Juli insgesamt 21 Konzerte sowie begleitende liturgische Veranstaltungen. Schon das ausverkaufte Eröffnungswochenende offenbarte das immense Interesse des Publikums. „Die Lust des Publikums auf das Musikfest ION, auf unser Programm, aber auch auf Begegnung, Austausch und Beteiligung ist nochmals größer geworden“, betont Moritz Puschke, geschäftsführender Intendant des Festivals – und empfiehlt dringend, sich rasch um Restkarten zu bemühen.