Die ersten schäumenden Masskrüge gehen raus, die ersten gebratenen Hendl landen auf den Tischen. Aus den Lautsprechern auf dem Vaterstettener Volksfest erklingen die Alpen Casanovas. Sie singen „Bayern, I mog di“ und an einem Tisch sitzt gegen halb eins am Freitagmittag eine Gruppe Männer in Arbeitermontur und in Lederhosen, die sich die erste Mass schmecken lassen. Alles ist bestens. Aber auf die Gastropreise im Zelt angesprochen, werden die Mienen ernster. Einer deutet stumm auf die Karte, wo die „Große Wiesnbreze“ mit sieben Euro angeschrieben ist. Und die sei nicht mal wirklich groß. „4,90 Euro für 100 Gramm Emmentaler“, sagt er noch. Und ein anderer halb im Scherz: „Mit Safranfäden drin.“ Lustig finden sie das nicht. Nur richtig teuer.
Die Volksfestsaison im Münchner Umland ist voll im Gang. Ob in Ismaning, Unterschleißheim oder eben erst in Haar und Vaterstetten. Die Menschen waren in Feierlaune, als hätten sie die Einschränkungen der Corona-Pandemie gerade hinter sich gelassen. Doch der Blick auf die Preise in den Festzelten dämpft die Stimmung. Denn die haben nur noch wenig mit dem zu tun, was vor den Lockdowns üblich war. Die Mass Bier kostete 2019 auf dem Lohhofer Volksfest 8,20 Euro. Heuer mussten die Besucher 12,30 Euro hinlegen. Eine Steigerung um 50 Prozent. Ähnlich entwickelten sich die Preise auf den anderen Festen. Wer in Vaterstetten ein halbes Hendl bestellte, ohne irgendwas dazu, war 16,50 Euro los. Eine Mass Wasser: 11 Euro, eine Mass Bier: 12,70 Euro. „12,70 Euro fürs Bier, das ist in Ordnung“, sagt einer der Männer am Tisch, „aber die Essenspreise passen nicht.“
Die Härten der Inflation haben die Menschen die vergangenen Jahre kennengelernt und erlebt, dass Lebensmittel und Besuche im Gasthaus deutlich teurer geworden sind. Doch die Preissteigerungen auf den Volksfesten toppen alles noch mal. Sind das noch Volksfeste, wenn sich die Mehrheit Speis und Trank nicht mehr leisten kann? Welche Familie mit zwei Kindern kann das noch stemmen? Werden die Volksfeste zu exklusiven Events für die Besser-Verdienenden?
Der Festwirt in Vaterstetten, Lorenz Stiftl, hört sich solche Fragen an. „Man versteht das schon alles“, sagt er. Aber: Die Kosten seien für ihn auch deutlich gestiegen, besonders die für Volksfeste relevanten Dinge seien teurer. „Die Gema-Gebühren verdreifacht“, sagt er. Der Strom: ebenso, auf 70 Cent die Kilowattstunde. Die Sicherheitsauflagen: wie auf dem Oktoberfest. Er brauche mehr teures Wachpersonal, Sanitäter machten ihren Job nicht ehrenamtlich und die Bedienungen wollten was verdienen. „Das kostet richtig Geld.“ Und dann die Lebensmittel aus der Region. „Wenn du beim Bauern einkaufst, kostet das mehr als beim Aldi.“ Man dürfe nicht nur von Regionalität reden, man müsse das machen.
In Cham gehen sie einen anderen Weg: Standgebühren runter, Bierpreise senken – dafür hilft die Gemeinde beim Aufbau
Dass ein Volksfestbesuch nicht immer teurer werden muss, haben dieses Jahr die Veranstalter des Frühlingsfests in Cham in der Oberpfalz gezeigt, wo es gelungen ist, die Preise für die Mass Bier und das halbe Hendl jeweils auf unter zehn Euro zu senken, ein Euro weniger als noch im Jahr zuvor. Obwohl es auch dort Inflation, gestiegene Löhne und höhere Energiekosten gibt. Funktioniert hat das durch eine Senkung der Standgebühren, die Unterstützung des Bauhofs beim Zeltbau und bei den Vorbereitungsarbeiten. Auch der Sicherheitsdienst war nicht mehr Sache des Festwirts – das berichtete der BR. So habe man sogar den Umsatz gesteigert.
Aber Cham ist eben nicht München und auch nicht Unterhaching. Darauf weist der dortige Rathaussprecher Simon Hötzl hin, der wenige Tage vor dem Beginn des Bürgerfests im Unterhachinger Ortspark fast reflexartig gleich mal auf die Preise beim Oktoberfest hinweist. Gut, Unterhaching ist natürlich auch nicht München und daher wesentlich moderater in der Preisgestaltung und auch in der Preissteigerung, findet Hötzl. Auf den Bierpreis ist man im Rathaus fast ein wenig stolz. Harte Verhandlungen seien dem vorausgegangen, damit von 10,70 nur auf 11,40 Euro erhöht wird. Für das halbe Hendl legt man hier aber von Freitag, 4. Juli, bis Sonntag, 13. Juli, immerhin 13,80 Euro hin. Das Haferl Kaffee gibt es für 4,90 Euro, für 200 Milliliter Weißwein zahlt man 7,10 Euro und wer Ketchup will, sollte sich überlegen, ob ihm das 80 Cent wert ist.
Die Mass Bier beim Bürgerfest in Unterhaching kostet heuer 11,40 Euro. (Foto: Claus Schunk)
Hötzl findet dennoch, dass das „Gesamtpaket“ stimme, das Augustiner aus dem Holzfass, die Bands, das Rahmenprogramm. Das Unterhachinger Bürgerfest sei schließlich das größte Volksfest im südlichen Landkreis München und die Resonanz immer sehr gut. Trotz steigender Preise. Im Jahr 2018 hat das halbe Hendl auf dem Unterhachinger Bürgerfest noch 8,90 und die Mass Bier 8,70 Euro gekostet. Dass man das nicht vergleichen kann, das verstehen die meisten. 2018 war vor Corona, vor dem Krieg in der Ukraine, vor der Inflation und so weiter. Also geht man trotzdem hin und zahlt. „Die Leute gehen ja auch weiter aufs Oktoberfest“, sagt Hötzl. Wichtig sei beim Unterhachinger Bürgerfest, dass die Menschen zusammenkommen, dass man sich trifft.
Eben drum. Deshalb findet die parteifreie Gemeinderätin Julia Stifter, dass es so nicht weitergehen kann. Sie hat stets die Unterhachinger mit schmalem Geldbeutel im Blick, diejenigen, die nicht so hohe Löhne haben, die Alleinerziehenden, die Rentner. Was, wenn die sich das Bürgerfest nicht mehr leisten können? Denn so spendabel die Gemeinde es mal war, ist sie aufgrund der Haushaltslage nicht mehr. Senioren über 75 Jahre bekommen zwar weiterhin eine Hendlmarke, die ja inzwischen auch viel teurer ist. Aber ein Getränk dazu müssen sie selbst zahlen. Im vergangenen Jahr haben sich viele daher ihr Essen im Zelt abgeholt und mit nach Hause genommen. So allerdings, das sagt auch Hötzl, sei der Seniorentag beim Bürgerfest nicht gedacht. Wer also seine Marke einlösen will, muss das Hendl im Zelt essen. So hofft man, dass so auch Menschen mal rauskommen und andere treffen, die sonst vielleicht einsam sind.
Julia Stifter (links) beim Bürgerfest in Unterhaching 2024. (Foto: Claus Schunk)
Julia Stifter aber fürchtet, dass das ohne Getränke nicht gut funktioniert. Jemand, der jeden Cent umdrehen müsse, überlege sich gut, ob er 11,40 Euro für ein Bier oder 5,30 Euro für einen halben Liter Wasser ausgibt. „Wenn die Leute dann lieber zu Hause bleiben, wäre das sehr, sehr schade“, sagt sie, denn das Bürgerfest gehöre einfach zur Gemeinde, „da sollte man bei der Preisgestaltung die Kirche im Dorf lassen. Wir sprechen hier ja nicht vom Oktoberfest.“ Dort soll die Mass Bier heuer zwischen 14,50 und 15,80 Euro kosten wird, was durchschnittlich 3,5 Prozent mehr ist als vor einem Jahr.
Viele sehen die kleinen Feste im Umland immer noch als günstigere, unkompliziertere Alternative zur Wiesn. Ohne Reservierungsstress, dafür immer öfter auch mit ausgelassener Partystimmung. So gesehen war das Lohhofer Volksfest in Unterschleißheim ein bezahlbares Vergnügen. Bürgermeister Christoph Böck (SPD) hat den Eindruck, dass die Preise heuer wenige vom Besuch abgehalten haben. Er war an jedem der zehn Tage da und bezeichnet sich als den wohl „eifrigsten Volksfestgänger“. „Das ist mir auch wichtig“, sagt er. Das Fest bringe die Menschen zusammen und es habe sich in den vergangenen zehn Jahren gut entwickelt. „So gut wie noch nie“ war es heuer seinem Eindruck nach. Und? Gab es Beschwerden wegen hoher Preise? „Wenn ich ehrlich bin, nein, nicht ein einziges Mal.“ Doch er vernehme schon indirekt die kritischen Stimmen. Für Familien sei ein Besuch „kein Sparvergnügen“.
Jugendliche sitzen im Festzelt und spielen Karten. Das Bier besorgen sie sich anderswo
Annegret Harms (SPD) ist Mitglied im Sozialbeirat der Stadt und erzählt von einer Familie mit zwei Kindern, die ihr berichtet habe, 150 bis 160 Euro für einen Volksfestbesuch hingelegt zu haben. Ein Problem, wie sie findet. „Wir müssen alle mitnehmen.“ So ein Fest dürfe keinen ausschließen. Die Stadt Unterschleißheim unternehme deshalb viel, um weniger Betuchte mit Freimarken und Vergünstigungen zu unterstützen. 75 000 Euro habe die Stadt eingeplant nur für die Senioren-Vergünstigungen, die jeden Tag in Anspruch genommen werden könnten. 25 Euro für jeden, der 65 Jahre und älter sei.
Die Stadt spreche sich mit sozialen Einrichtungen ab, wie der Pfennigparade, um von dort Menschen aufs Festgelände zu holen. Ärmere Familien, Geflüchtete, vor allem Kinder müssten einbezogen sein. Beim Familientag gebe es günstige Preise. Toll sei eine organisierte Schatzsuche für Kinder angekommen. Es gehe um Gemeinschaft. „Das muss die Stadt subventionieren.“
Die Jüngeren mit wenig Geld in der Tasche helfen sich auf pfiffige Weise selbst. Auf dem Vaterstettener Volksfest sitzt mittags eine Clique Teenager an einem Tisch. Sie spielen das Kartenspiel Uno. Beim Bestellen halten sie sich zurück. Ein Mädchen hat einen Teller Pommes mit Mayo auf dem Tisch stehen. Na ja, meinen sie, beim Discounter sei das Bier billiger. Klar. Sie wollen aber nicht meckern. So ein Fest müsse sich für den Wirt auch „lohnen“, meint Annelie. „Der Preis für die Mass ist okay“, sagt Nikolas. Aber Bier müsse man nicht nur im Zelt kaufen. „Man versucht auch, zu tricksen.“