Der Zettel begleitet Florian Bieberbach seit nunmehr 16 Jahren. Der Chef der Stadtwerke München (SWM) hat ihn erstmals 2009 in seinem Büro an die Wand gepinnt. Auf dem Papier findet sich ein Beschluss des Stadtrats aus jenem Jahr, wonach die SWM bis 2025 in ihren eigenen Anlagen mindestens so viel Strom ökologisch erzeugen sollen, wie in München verbraucht wird.

„Damals kam uns das arg ehrgeizig vor“, sagt Bieberbach. Doch offenbar habe es dieses „bisschen Wahnsinn“ gebraucht. So könne er heute verkünden, dass die SWM das gesteckte Ziel erreichen werden. Aktuell erzeugen alle ihre Anlagen 6,7 Terawattstunden (TWh) Ökostrom – mehr als der jährliche Stromverbrauch in der Stadt, der heuer bei 6,2 TWh liegen soll.

„Mit dem Erreichen des 2025-Ziels setzen die Stadtwerke ein starkes Zeichen – für Klimaschutz, für Versorgungssicherheit und für unternehmerische Weitsicht“, lobt der Wirtschaftsreferent im Rathaus, Christian Scharpf. Ihm zufolge ist das städtische Tochterunternehmen bei der Energiewende ein „europaweiter Vorreiter“. Daher sei er froh, betont Scharpf, dass München – anders als andere Kommunen – den Energieversorger in eigener Hand behalten und keine Anteile verkauft habe.

Die von den SWM bezifferte Stromerzeugung über 6,7 TWh bezieht sich freilich auf ein Durchschnittsjahr. In der Realität werde der Wert heuer wohl niedriger liegen, sagt Bieberbach, da 2025 bislang europaweit ein „besonders schlechtes Windjahr“ gewesen sei. Und die Windenergie wiederum spielt bei den SWM die mit Abstand wichtigste Rolle bei der Ökostromerzeugung: 90 Prozent der 6,7 TWh stammen aus Windkraftanlagen in ganz Europa – an Land vor allem in Skandinavien, im Meer insbesondere vor der Nordseeküste.

Dabei fristete die Windenergie zum Zeitpunkt des Stadtratsbeschlusses 2009 noch ein Nischendasein bei den SWM – ebenso wie andere erneuerbare Energien. „Unser Erzeugungsmix war typisch für einen Energieversorger der damaligen Zeit“, erinnert sich Bieberbach. „Wir hatten einen Riesenblock Kernenergie, zwei große Blöcke Erdgas und Kohle, aber nur 0,4 Terawattstunden Ökostrom.“ Im Zuge der damals gestarteten „Ausbauoffensive Erneuerbare Energien“ habe man den Erzeugungsmix durch den Bau und Kauf von Anlagen „einmal auf links gedreht“, so der SWM-Chef. Heute haben die erneuerbaren Energien die größte Bedeutung bei der Stromerzeugung des Unternehmens – wiewohl 2,1 TWh immer noch aus Gas gewonnen werden. Daran werde man auch festhalten, betont Bieberbach. Schließlich dienten die zugehörigen Heizkraftwerke der Fernwärmeversorgung.

Die Stadtwerke München erzeugen nur wenig Ökostrom in Bayern

Derweil wollen die SWM ihre Ökostromproduktion weiter ausbauen – auch weil der Stromverbrauch in München Prognosen zufolge ansteigen werde, so Bieberbach. Verantwortlich hierfür sei der zunehmende Einsatz von Wärmepumpen, vor allem aber das Thema E-Mobilität. So rechnen die Stadtwerke damit, dass 2030 in München 6,8 TWh Strom verbraucht werden; zehn Jahre später sollen es sogar 8,2 TWh sein. Daher planen die SWM weitere Projekte, vor allem im Bereich Windkraft. Aktuell gebe es etwa „sehr rege Aktivitäten“ mit zwei Firmen, die in Deutschland große Windparks bauen wollten, sagt Bieberbach. Zudem hoffe man auf eine weitere Offshore-Anlage in Großbritannien.

Dass sich die Ausbauoffensive der Stadtwerke größtenteils außerhalb der Region München abgespielt hat, ist in der Vergangenheit immer wieder kritisiert worden. Und Karin Thelen, die bei den SWM die Sparte Regionale Energiewende verantwortet, räumt mit Blick auf das 2025-Ziel auch offen ein: „Das Regionale hat daran keinen großen Anteil gehabt.“ Ein entscheidender Grund hierfür sei jedoch die 10H-Regel gewesen, sagt Florian Bieberbach. „Sie hat unsere komplette Projektpipeline bei der Windenergie in Bayern getötet.“ Die 10H-Regel legte seit 2014 in Bayern Mindestabstände von Windkraftanlagen zu Wohnbebauung fest und wurde erst 2022 gelockert.

Noch in diesem Jahr soll eine Freiflächen-Photovoltaikanlage im Kreis Erding in Betrieb gehen

Aktuell werden bloß 7,6 Prozent des SWM-Ökostroms in Bayern erzeugt. Und das, obwohl es laut Thelen fast 250 Projekte in der Region München gibt – allen voran Photovoltaikanlagen, aber auch die zwei Windräder in Fröttmaning. Perspektivisch werde die SWM im Raum München vor allem auf Sonnenenergie setzen, sagt Thelen. Beispielhaft hierfür sei eine Photovoltaik-Freiflächenanlage in Zengermoos im Kreis Erding, die heuer in Betrieb gehen und 44 GWh Ökostrom pro Jahr produzieren soll.

Insgesamt sei die Ausbauoffensive nicht nur aus ökologischer Sicht, sondern auch wirtschaftlich ein Erfolg, betont Bieberbach. Ihm zufolge haben die SWM 4,2 Milliarden Euro seit 2009 investiert, von denen bereits 3,5 Milliarden Euro zurückgeflossen sind. Seit 2020 habe das Segment Ökostrom im Schnitt einen jährlichen Gewinn von 130 Millionen Euro abgeworfen. Ohne diese Einnahmen hätten die SWM laut Bieberbach vieles nicht finanzieren können, etwa im öffentlichen Nahverkehr und in ihren Schwimmbädern.

Das erreichte 2025-Ziel bezieht sich indes nur auf den Bereich Strom. Eine vollständige Klimaneutralität – also auch beim Thema Wärme – visieren die Stadtwerke bis 2040 an. Dieses Ziel könnte nun also bald als Ausdruck im Bieberbach’schen Büro hängen. Was mit dem alten Zettel passieren wird? „Für mich ist das ein wichtiges Zeitdokument, das auch schon angemessen vergilbt ist“, sagt der SWM-Chef. „Schauen wir mal, was ich damit mache.“