Kent Nagano bedankt sich beim Publikum

Stand: 01.07.2025 18:05 Uhr

Mit Brahms‘ vierter Sinfonie verabschiedet sich Kent Nagano nach zehn Jahren als Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters und Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper. Sein Abschied markiert das Ende einer Ära.

von Annette Yang

Kent Nagano wirkt gerührt und bewegt: Die Zuschauerinnen und Zuschauer in der Elbphilharmonie stehen geschlossen und jubeln, der Applaus reißt nicht ab. „Ich nehme aus Hamburg ein ganz neues Verhältnis zu Johannes Brahms mit: Wir sind beide jetzt Hamburger“, sagt Kent Nagano mit einem Lächeln.

Zehn Jahre im Zeichen der Musik

Seit 2015 prägt Nagano das Musikleben der Hansestadt. Sein Amtsantritt fiel in eine Zeit des Wandels. Die Eröffnung der Elbphilharmonie 2017 bot ihm eine Bühne, wie sie kaum ein Orchesterchef zuvor in Hamburg bekommen hat. Und Nagano packte an. Während andere skeptisch auf das neue Konzerthaus blickten, sah Nagano er hier eine Jahrhundert-Chance. Er nutzte sie – nicht für Show, sondern für Substanz. „Wir haben diesen Saal gebaut, weil wir an die Tiefe und an die Bedeutung von Kultur glauben. Das müssen wir unseren Kindern weitergeben. Wir haben diesen Saal gebaut für die nächste Generation – für unsere Kinder und Enkel“, so Kent Nagano.

Dirigent Kent Nagano bei DAS! auf dem Roten Sofa am 03.05.2025.

Nagano, seit 2015 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters, immt Abschied.

Vom Michel bis G20 – ein gefragter Dirigent

Geboren in Kalifornien mit japanischen Wurzeln, zählt Kent Nagano zu einem der gefragtesten Dirigenten unserer Zeit. Auch Hamburg schmückt sich gerne mit ihm: Beim Staatsakt für Altkanzler Helmut Schmidt dirigiert Nagano im Michel, bei G20 trat er vor Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt auf. Seine Liebe zur Stadt geht über die Musik hinaus: „Eine Sache, die ich in Hamburg liebe ist das Wetter. Es ist wie in San Francisco. Hafenstädte haben immer Regen, Wind und Nebel. Wenn die Sonne auftaucht, dann oft nur für einen kurzen Moment. Das hat seinen eigenen Charme. Hamburg hat mich sehr beeinflusst. Und einer der Einflüsse ist, dass ich meine Heimat San Francisco besser verstehe.“

Anspruchsvoll, intellektuell, konsequent

Naganos Handschrift war stets intellektuell: Anspruchsvolle Programme, Werktreue, klare Dramaturgie. Er brachte selten gespielte Werke seines Lehrers Olivier Messiaen und von Paul Hindemith zur Aufführung, setzte sich für zeitgenössische Komponisten ein und baute Brücken zwischen Avantgarde und Repertoire. Gleich zu Beginn brachte er die Uraufführung von Toshio Hosokawas „Stilles Meer“ auf die Bühne, eine seiner letzten Opern „Die dunkle Seite des Mondes“ von Unsuk Chin. „Ob etwas von Nagano bleiben wird? Auf eine Art sind zehn Jahre eine lange Zeit“, sagt er. „Im Vergleich zu 350 Jahren Staatsoper Hamburg ist es nur ein Augenblick. Aber eine Tradition lebt nur weiter, wenn sie gepflegt wird. Sonst bleibt sie ein Museum.“

Das Bühnenbild der Oper "Die dunkle Seite des Mondes".

Die Oper erzählt von Wolfgang Pauli – Wissenschaftler und Nobelpreisträger und ist die letzte Premiere unter Kent Nagano.

Musik für die Stadt – nicht nur im Konzertsaal

Immer wieder forschte Kent Nagano nach dem „Hamburger Klang“, vertieft sich in die Werke Hamburger Komponisten wie Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach, Johannes Brahms. Nagano suchte immer wieder den „Hamburger Klang“. Er vertiefte sich in Werke lokaler Komponisten wie Telemann, C.P.E. Bach oder Brahms – und brachte die Musik aus dem Konzertsaal hinaus in die Stadt. Mit Open-Air-Konzerten auf dem Rathausmarkt, Opernübertragungen auf dem Jungfernstieg oder Projekten wie der „Philharmonischen Akademie“ schuf er niedrigschwellige Angebote – für Kinder, Jugendliche und Laien ebenso wie für das Stammpublikum.

Zwischen Lob und Kritik – und einer neuen Aufgabe

Kritik blieb nicht aus: Manchen galt sein Dirigat als zu distanziert, anderen waren seine Programme zu kopflastig. Doch selbst Kritikerinnen und Kritiker erkennen an: Unter Nagano wuchs das Philharmonische Staatsorchester künstlerisch und gewann an internationaler Strahlkraft. Sein nächstes Kapitel schreibt Nagano in Spanien: Ab 2026 wird er das spanische Nationalorchester in Madrid leiten. „Was ich mitnehme? Vielleicht überraschend – Labskaus! Ich liebe es. Ich bin zum echten Connaisseur geworden“, sagt er augenzwinkernd.

Ein musikalisches Erbe, das bleibt

Sein Abschied markiert das Ende einer Ära. Kent Nagano hat Hamburg nicht revolutioniert, aber es mit Tiefgang, Präzision und einem offenen Geist weiterentwickelt. Und er wird zurückkehren: Das Philharmonische Staatsorchester hat ihn zum Ehrendirigenten ernannt. Was er hinterlässt, wird nachklingen – in der Elbphilharmonie, in der Staatsoper, und in den Köpfen und Herzen seines Publikums.

Ein grauhaariger Mann mit Brille und Anzug blickt nach vorn

Die Ära von Kent Nagano als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper geht zu Ende. Wie blickt er auf seine Zeit in Hamburg zurück?

Die Fassade der Hamburgischen Staatsoper aus der Untersicht.

Hamburg bekommt eine neue Oper am Hafen geschenkt. Doch wie steht es um das derzeitige Opernhaus an der Dammtorstraße?