Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein Löwe über Stuttgart fliegt. Am Dienstag war so ein Tag. Nach fast zweijährigen Restaurierungsarbeiten wurde der geflügelte Löwe der Markuskirche, der vom Schwanz bis zur Bibel, auf der einer seiner Pranken ruht, 2,45 Meter misst und ein Spannweite von 1,90 hat, per Kran in Millimeterarbeit auf das Kirchendach gehoben und dort verschraubt. Michael Schrem, Vorstand und Steinmetzmeister der auf Restaurierungsarbeiten spezialisierten Firma AeDis AG aus Ebersbach-Roßwälden, verfolgte zusammen mit neugierigen Passanten das Geschehen vom Boden aus. Per Handy hielt er Kontakt mit seinen Leuten auf dem Kirchendach, einen Höhenkletterer, einem Dachdecker und einem Helfer. Am Nachmittag war das Werk großteils vollbracht und der Markuslöwe wieder an seinem angestammten Platz.
In schwindelerregender Höhe wird der Löwe auf dem Kirchendach befestigt. Foto: Jan Sellner
Das letzte Mal war der um die 250 Kilogramm schwere Löwe vor mehr als 20 Jahren von der Kirche geholt und restauriert worden. Wind und Wetter hatten dem aus getriebenen Kupfer hergestellten Löwen zugesetzt. Auch jetzt bestanden wieder Bedenken wegen seiner Standfestigkeit. Bewohner im Süden war aufgefallen, dass sich der in etwa 30 Meter thronende Löwe, der den Evangelisten Markus symbolisiert, vermutlich infolge eines Blitzschlags „mehr als üblich bewegt“, wie Michael Schrem erzählte. Daraufhin war die Tierfigur im Dezember 2023 abgenommen und eingehend begutachtet worden.
Die Prüfung ergab einige Risse an dem aus nur 0,5 Millimeter starken Kupferblech hergestellten Löwen. Die Restaurierung übernahm der renommierte Kunstschmied Martial Herbst. In dessen Werkstatt in Beilstein-Maad wurde der Markus-Löwe in rund 150 Stunden auseinandergenommen, im Inneren verstärkt und wieder zusammengesetzt. Lang war voll des Lobes über die Arbeit des Bildhauers und Medailleurs Hermann Lang, der den Kupfer-Löwen 1909 geschaffen hat. „Wenn ich mir diese Leistung anschaue, bin ich einfach nur fasziniert“, erklärte er.
„Obendrauf der romantisierende Löwe!“
„Eine Wahnsinnsarbeit“, fand auch Projektleiter Schrem. Überhaupt sei die zwischen 1906 und 1908 von dem Stuttgarter Architekten und Kirchenbauer Heinrich Dolmetsch errichtete Markuskirche ein „verrückter Bau“. Die Jugendstilkirche mit innovativer Stahlbeton-Konstruktion ist romanisch und orientalisch angehaucht. „Und obendrauf dann der romantisierende Löwe!“ Dort thront er, runderneuert, jetzt wieder bis zum nächsten Werkstattbesuch in vielleicht 20 oder 30 Jahren.