Nach zehn Jahren als Hamburgischer Generalmusikdirektor verabschiedet sich der amerikanische Dirigent Kent Nagano in der Elbphilharmonie vom Philharmonischen Staatsorchester. Vor dem geglückten Spagat zwischen einer Uraufführung und einer Brahms-Sinfonie ereilte den Künstler eine Lobrede des Kultursenators auf der Bühne.
Nach zehn erfolgreichen Jahren als Generalmusikdirektor der Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg wechselt der amerikanische Dirigent Kent Nagano im kommenden Jahr als Chefdirigent und künstlerischer Direktor des spanischen Nationalorchesters und -chores nach Madrid. Jetzt gab er mit dem Philharmonischen Staatsorchester in der Elbphilharmonie ein bewegendes Abschiedskonzert. Bei der Aufführung wurde hörbar, welche Qualitätssteigerung dem Klangkörper unter seiner Leitung in nur einer Dekade gelang.
Auf der Suche nach dem „Hamburger Klang“
Auch der von Nagano beschworene „Hamburger Klang“, dem er von Beginn seiner Amtszeit in der Musiktradition der Hansestadt nachspürte, wurde im zweiten Teil des Konzerts lebendig, als die Sinfonie Nr. 4 e-Moll von Johannes Brahms in einer quicklebendigen Interpretation von Anfang bis Ende begeisterte. Vor der Pause spielten die Philharmoniker unter Naganos souveräner Leitung die Uraufführung der dritten Sinfonie des argentinischen Komponisten Alex Nante, 33, die den Titel „Anahata“ trägt, nach dem vierten der sieben Hauptchakren im Yoga. Es liegt im Zentrum des Brustkorbs in der Nähe des physischen Herzens. Der Name bedeutet auf Deutsch „unberührt“ oder „unbeschädigt“. Nantes Sinfonie setzt sich aus 15 Abschnitten zusammen, die sich allesamt auf das Herz beziehen, von „Herz im Exil“ bis zum starken Epilog „Herz auf dem Weg“.
Das Hörerlebnis der gemeinsamen Aufführung mit dem großen Chor der Audi Jugendchorakademie rührte also nicht zufällig das Herz. Dessen Energie wurde in Nantes Komposition in steten Klängen und Bewegungen als Lebensenergie spürbar, ohne dass seine Schläge plump in den Vordergrund drängten. Eher geriet die Sinfonie zu einem Gefühlsbad im Strom des Seins – den Nagano unter Spannung hielt. Als Solisten steuerten Sopranistin Mojca Erdmann und Bariton Evan Hughes Töne und Strophen bei, die den sakralen Charakter des Werks unterstrichen. Die Anmutung einer Elbphilharmonie-Kathedrale wurde auch durch den Einsatz der Orgel betont, gespielt von Olivier Latry.
Nagano dirigiert im Kreis: vorn Orchester, hinten Chor
Die Texte zur Sinfonie entstammen östlichen wie westlichen Traditionen. Den Auftakt macht ein geistlicher Lobgesang aus Spanien. Nante ergänzte die traditionellen Texte durch eigene Dichtung. Besonders beeindruckend: Der Chor setzt sich im Epilog in Bewegung und durchschreitet zwischen dem Publikum die Elbphilharmonie. Kent Nagano dreht sich einfach gelegentlich um und dirigiert einen kompletten Kreis von Musikern – das Orchester vor, den Chor hinter sich.
Vor Beginn des Konzerts verabschiedete Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) den Dirigenten Kent Nagano herzlich mit einer Lobrede auf sein segensreiches Wirken in der Musik- und Kulturstadt Hamburg, die lediglich in ihrer Ausführlichkeit etwas über das Ziel hinausschoss.
Lobreden von Weggefährten
Nach dem Konzert schlossen sich bei einem Empfang zu Naganos Abschied einige Weggefährten seiner Hamburger Dekade an: Opernintendant Georges Delnon – der wie Nagano sein Amt an der Staatsoper nach zehn Jahren nicht verlängerte –betonte Naganos Bescheidenheit, mit der sich stets in den Dienst der Musik stelle – und freute sich über zehn gemeinsame, fruchtbare Jahre im Dienst der Oper. Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter erinnerte an stark komponierte Programme der Philharmoniker, die Neue Musik elegant mit der Klassik verbanden und an musikhistorische Uraufführungen wie jene des Oratoriums „Arche“ von Jörg Widmann zur Eröffnung der Elbphilharmonie im Januar 2017. Das Orchester, das Kent Nagano vor einer Weile zu seinem Ehrendirigenten ernannte, lobte den scheidenden GMD in den höchsten Tönen und schenkte ihm zum Abschied unter anderem eine Krawatte, denn diese habe immer zuverlässig angezeigt, wann es bei den Proben ernst wurde.
Nagano selbst dankte vielen Mitstreitern seiner Hamburger Dienstjahre namentlich ausführlich und erklärte, er freue sich auf den 350. Geburtstag der Staatsoper im Jahr 2028. Maestro Nagano wird im September 2026 in Spanien anfangen und pro Saison acht Programme des Orquesta y Coro Nacionales de España dirigieren, wie das spanische Kulturministerium kürzlich mitteilte. Engagiert ist er in Madrid für fünf Spielzeiten.